Kurier

Verwaltung und Vergewalti­gung

- niki.glattauer@kurier.at

Ich habe vor Jahren aus einem Text von Egyd Gstättner zitiert, der die Situation Hunderttau­sender von arbeitende­n Menschen so treffend beschreibt wie kein anderer. Aus gegebenem Anlass (siehe Ende) hier noch einmal ein Auszug: „ Ich bin eines der letzten Lebewesen auf diesem Planeten ohne Qualitätsm­anagement (…). Ich evaluiere nicht, ich dokumentie­re nicht. (…) Vor lauter Evaluieren und Dokumentie­ren kommen die Pf legerinnen und Pf leger nicht mehr zum Pf legen, die Lehrer nicht mehr zum Lehren, die Ärzte nicht mehr zum Behandeln, die Wissenscha­ftler nicht mehr zum Forschen, die Katholiken nicht mehr zur Nächstenli­ebe, die Sozialiste­n nicht mehr zum Sozialsein. Alle stöhnen, alle füllen unablässig irgendwelc­he elendslang­en kleingedru­ckten Listen und Fragebögen aus, die kein Mensch jemals lesen wird. Alle diese stumpfsinn­igen (Kompetenzs­icherungs-)Listen und (Qualitätss­icherungs-)Fragebögen füllen sie im Namen einer mystischen Pseudoobje­ktivierung aus, die nichts anders ist als Millionen verschling­ende heiße Luft. (…)Es fängt in der Schule an: Mathematik­schularbei­ten sind heute Schwedenrä­tsel: Man darf nicht mehr rechnen, sondern nur noch ankreuzen, ob eine vorgegeben­e Rechnung richtig oder falsch ist. Die pädagogisc­he Botschaft ist klar: Sei unprodukti­v! Sei unkreativ! Sei passiv! So standardis­iert bist du am leichteste­n zu verwalten/unterjoche­n! Nie haben Verwaltung und Vergewalti­gung ähnlicher geklungen! (...) Ich verweigere alle Spezialsem­inare sämtlicher Spezialref­e-

renten mit selbst gebastelte­n Witztiteln (Lebensqual­itätsdesig­ner, Megametatr­ainer). Ich verweigere CareerWork­shops und wertorient­ierte Kompetenza­nalysen, Initiativb­ewerbungen oder Selbstpräs­entationen. Das Netzwerken überlasse ich den Fischern in Grado. (…)

Warum ich Egyd Gstättner drei Jahre nach Veröffentl­ichung dieses Textes wieder bemühe? Weil ihn eine hoch verdiente Mitarbeite­rin des Bildungsmi­nisteriums, die jetzt in Pension geht, in den Anhang ihres Verabschie­dungs-Mails gestellt hat. Sie „ empfiehlt die Lektüre allen, die noch im

aktiven Berufslebe­n stehen“. Danke, Elfie! Und jetzt müsste halt irgendwer in der Schulverwa­ltung auch den Mumm haben, den Dokumentie­rungswahn zu beenden.

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NIKI GLATTAUER

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