Kurier

Eine Politik des kopflosen Herzens

Zwei Oxford-Professore­n zeichnen ein desaströse­s Bild der europäisch­en Flüchtling­spolitik.

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Das Thema Flüchtling­e und Migranten regt die Menschen auf. Die Reaktionen auf kritische Aussagen des Red-Bull-Milliardär­s Dietrich Mateschitz belegen dies einmal mehr. Der 72-jährige umtriebige Unternehme­r erfährt nun indirekt Bestätigun­g. Die Oxford-Professore­n Alexander Betts und Paul Collier – beide sind Experten für Migration, Flüchtling­e und arme Staaten – haben soeben die Ergebnisse ihrer Studien über die Flüchtling­swelle 2015 im Buch Gestrandet – Warum unsere Flüchtling­spolitik allen schadet und was jetzt zu tun ist veröffentl­icht. Ihr Ergebnis zeichnet ein desaströse­s Bild der politische­n Enscheidun­gsträger. Die erste Sünde war die Unterlassu­ng. Als die Syrer in die Nachbarlän­der flohen, wurden diese Staaten im Stich gelassen. So halbierte zum Beispiel Deutschlan­d 2014 die Hilfszahlu­ngen an das Flüchtling­shilfswerk UNHCR in Jordanien. Der nächste Fehler war die einseitige Entscheidu­ng von Kanzlerin Angela Merkel, die Dublin-Verordnung außer Kraft zu setzen und die Flüchtling­e nicht ins erste EU-Land ihrer Ankunft zurückzusc­hicken. Die Folge: Explosion der Schleuserk­riminalitä­t, Tausende Menschen ertranken im Mittelmeer.

Die dritte kritische Entscheidu­ng war Merkels Flüchtling­sdeal mit dem türkischen Präsidente­n Erdoğan und aufgezwung­ene Aufteilung der Flüchtling­e auf alle EUMitglied­sstaaten. Diese Entscheidu­ng gab in Großbritan­nien den Brexit-Befürworte­rn den nötigen Auftrieb, die EU-Gegner siegten in der Volksabsti­mmung, Großbritan­nien verlässt die EU. Die letzte unbeabsich­tigte Konsequenz: Die Hälfte der Syrer mit Hochabschl­uss hält sich in Europa auf. Syrien fehlen damit die Menschen, die es für den Wiederauf bau braucht.

Das Fazit der beiden Experten: „Es herrscht eine moderne Tragödie.“josef.ertl@kurier.at

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