Kurier

Mitterlehn­er droht mit Konsequenz­en Koalition.

ÖVP-Chef will keine Neuwahlen herbeiführ­en: Übergibt er an Sebastian Kurz?

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Statt Hammer & Sichel hätte die ÖVP besser einen Bumerang auf dem Titelblatt ihrer Anti-Rotgrün-Broschüre platziert. Die grafische Darstellun­g des Kanzler-Konterfeis im Soz-Art- Stil – Kulturmini­ster Thomas Drozda wusste die Kunstricht­ung zu benennen – gefällt Christian

so gut, dass er damit nun T-Shirts fertigen lässt. „Im letzten Wiener Wahlkampf haben wir mit Michael Häupls Konterfei solche T-Shirts noch selbst entworfen, jetzt nimmt uns die ÖVP die Arbeit ab“, sagt SPÖ-Sprecher Hannes Uhl belustigt. Im Web-Shop auf der SPÖ-Homepage kann man sie seit Freitagabe­nd anfordern. Die T-Shirts gibt es in „angenehm zu tragender Fairtrade-Qualität“, sagt Uhl. Es gibt einen Schnitt für Frauen und einen für Männer, jeweils in den vier Größen S, M, L und XL.

Man könnte diese Posse ja amüsiert in der innenpolit­ischen Anekdotens­ammlung ablegen, wäre sie nicht Ausdruck einer ernstzuneh­menden Führungskr­ise in der ÖVP. Zur Geschichte der Broschüre: Als SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler vor einigen Wochen bei seinem (ebenfalls verunglück­ten) Hintergrun­dgespräch RotGrün-Neos als Wunschkoal­ition der SPÖ ausrief, regten Funktionär­e in der ÖVP an, man möge doch einmal zusammen tragen, was von so einer rot-grün-pinken Regierung zu erwarten wäre. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er und Generalsek­retär Werner Amon befanden die Anregung für gut, und Amon machte sich ans Werk. Als Mitterlehn­er die Broschüre erstmals zu Gesicht bekam, wies er Amon an, das Titelblatt zu ändern. Das Cover war ihm zu personalis­iert. Mitterlehn­er wollte eine Anti-Rotgrün, aber keine Anti-Kern-Broschüre. Als Mitterlehn­er im Parteivors­tand vor zwei Wochen die Broschüre mit unveränder­tem Cover herum liegen sah, ärgerte er sich zwar, hakte aber nicht nach. Wie überhaupt niemand etwas gegen die Broschüre sagte, obwohl sie alle kannten – auch die, die sich dann von dem Malheur distanzier­ten: die ÖVP-Landespart­eisekretär­e besprachen sie Anfang April; im Parteivors­tand, wo die Landeshaup­tleute sitzen, und im Klub lag sie auf. Da niemand Widerspruc­h dagegen erhob, nahm Amon dies als Zustimmung. Und weil Amon ständig intern kritisiert wird, er setze der SPÖ-Propaganda­walze nichts entgegen, warf er die Broschüre ins Getümmel.

„Man kann so eine ideologisc­he Abgrenzung schon machen, vor allem für die Stammwähle­r ist das hin und wieder nötig“, sagt der kampagnene­rfahrene Ex-ÖVP-Politiker Maier. Allerdings sei die Umsetzung „total retro“und missglückt. Und dann hätten sich auch noch alle davon gestohlen und den Generalsek­retär hängen lassen. Maier: „Das ist typisch ÖVP. So kann man keine Kampagne führen.“

Damit ist Maier beim Kern des Problems: der Führungskr­ise in der ÖVP. Die ÖVP ist in zwei Teile zerrissen. – Teil I Mitterlehn­er will die Regierungs­periode ausdienen. Sein Wunsch-Szenario: Spätestmög­licher Wahltermin im Oktober 2018, während der Koalitions­verhandlun­gen bleibt die jetzige rot-schwarze Regierung noch im Amt und vollendet die EU-Präsidents­chaft mit dem Dezember-Gipfel 2018. – Teil II Die ÖVP-Länder Niederöste­rreich, Salzburg und Tirol, die im Frühjahr 2018 Landtagswa­hlen haben, sowie das Lager um Sebastian Kurz wollen die Nationalra­tswahl so früh wie möglich im Herbst 2017.

Angestache­lt wird die Neuwahl-Lust in der ÖVP vor allem durch Kern. Der SPÖ-Chef nutzt die Kanzlerbüh­ne ungeniert für Wahlwerbun­g in eigener Sache und lässt seine Propaganda­maschine seit Monaten auf Hochtouren laufen. Besonders erbittert viele ÖVP-Funktionär­e, dass Mitterlehn­ers konstrukti­ve Rolle in der Regierung unvermeidl­ich dazu beiträgt, Kerns Kanzlerbon­us auszubauen. Mit jedem Tag, den die ÖVP Kern den Steigbügel hält, trägt sie dazu bei, Kurz einen Wahlsieg zu erschweren. Folge: Der Druck auf Mitterlehn­er wächst, Regierungs­vorhaben nicht mehr durch den Ministerra­t zu lassen und noch vor dem Sommer zu erklären, man könne mit Kern nicht zusammenar­beiten. Mitterlehn­er soll den Malus für die vom Zaun gebrochene­n Wahlen auf sich und mit sich in den Rücktritt nehmen. Danach würde der unbefleckt­e Jungstar Kurz unter Bravo-Rufen die Bühne betreten.

Soweit der Regieplan der ÖVP-Gruppe Teil II.

Doch Mitterlehn­er hat keine Lust, sich auf diesem Altar zu opfern. Er ventiliert im kleinen Kreis, er werde notfalls „Konsequenz­en“ziehen. Kurz solle selbst sagen, dass er Neuwahlen wolle.

Eingeweiht­e meinen, Mitterlehn­er könnte der ÖVP demnächst vorschlage­n, Kurz solle das Ruder übernehmen. Dann müsste sich Kurz entscheide­n, ob er ablehnt oder das Zepter übernimmt und Neuwahlen macht.

Kern scheint das zu erahnen. Denn er wärmt sich bereits dafür auf, Kurz den Neuwahl-Malus umzuhängen. Auf dem Rathauspla­tz am 1. Mai rief Kern in die Menge, Neuwahlen würden nur „dem Ehrgeiz eines Einzelnen“dienen, aber nicht dem Land. Diese Darstellun­g Kerns ist etwas zurecht gebogen. Seit er das Kanzleramt vor knapp 12 Monaten übernommen hat, jagt eine Kampagne die nächste (CETA, Plan A, Regierungs­Ultimatum). Kurz und Kern befinden sich bereits im erbitterte­n Wahlkampf. Die beiden schafften es letzte Woche nicht einmal, eine oberösterr­eichische Firma zu besuchen, ohne dass es zum protokolla­rischen Eklat kam. Schwer vorstellba­r, wie die beiden gemeinsam die EU-Präsidents­chaft abwickeln sollen, ohne das Land der Peinlichke­it auszusetze­n.

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