Kurier

Als Kind am Heldenplat­z: „Ich 8.Mai: Fest der Freude.

Zum fünften Mal wird morgen auf dem Heldenplat­z die Befreiung vom Nazi-Joch gefeiert. Lucia Heilman war 1938 bei Hitlers Rede dabei und wusste: „Ich gehöre hier nicht dazu“.

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Das Mädchen lief so schnell es seine Füße trugen. Von der Berggasse am Wiener Alsergrund hinüber in den Ersten, hin zum Heldenplat­z. Dort, so hatte man der Achtjährig­en erzählt, sei an diesem Dienstag Großes zu beobachten. Also rannte die kleine Lucia.

Doch je näher sie der Ringstraße kam, desto stärker wurde das üble Gefühl in ihrem Magen, ein Unbehagen. „Das fanatische Grölen und Schreien am Platz hat mir unglaublic­he Angst gemacht“, erzählt Heilman.

Die 87-Jährige sitzt in einem Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt. Ihre Augen sind wach, die Stimme klar. „Ich stand damals da und wusste sofort: ,Du gehörst nicht dazu’. Als Kind spürt man die Bedrohung.“

Judenkinde­r raus

Lucia Heilman ist Jüdin und was sie am 12. März 1938 bei Adolf Hitlers Rede auf dem Heldenplat­z schmerzhaf­t ahnte, sollte bald mit aller Scheußlich­keit in ihren Alltag drängen. „Eines Tages stand der Schuldirek­tor vor uns und sagte: ,Alle Judenkinde­r raus!’. Man muss sich vorstellen, was das für ein Kind bedeutet. Ich bin nie schlecht aufgefalle­n, war immer fleißig und strebsam. Und dann schmeißt dich der Direktor vor allen aus der Klasse. Es war eine Demütigung.“

Später, 1939, stand plötzlich ein Ehepaar vor der Wohnungstü­r der Heilmans. „Die Nazis hatten unsere Wohnung beschlagna­hmt, das Ehepaar hatte sie sich ausgesucht. Also mussten wir binnen 14 Tagen ausziehen. Mein Zimmer, die Bücher, Puppen – alles sofort verloren.“

In einer Sammelwohn­ung harrten Mutter und Tochter der Deportatio­n – und damit dem Tod.

„Die Lastwägen kamen am helllichte­n Tag, alle konnten sie sehen.“

Heilmanns Großvater, ihr liebster Spielgefäh­rte und Begleiter, wird in einem dicken Wintermant­el und mit einem kleinen Köfferchen in der Hand von der SS mitgenomme­n und stirbt 1939 im KZ Buchenwald.

Heilmans Freundin Erna Dankner wird im Gedränge bei der Deportatio­n von der Ladefläche des Lkw geworfen, wird vor den Augen aller überfahren, überlebt aber soweit, dass sie nach Theresiens­tadt und später weiter nach Auschwitz gebracht wird. Sie wird dort mit 16 Jahren ermordet.

Die junge Lucia bekommt den ganzen Terror mit. Auch das Ringen ihrer Mutter, die zwar eine Ausreisege­nehmigung nach Amerika organisier­t, aber nicht genug Geld sammeln kann, um nach dem Anschluss noch ein Schiffstic­ket in die Freiheit zu kaufen.

Doch an dieser Stelle wendet sich das Blatt, und es beginnt eine kleine Heldenge- schichte: Ein Kunsthandw­erker namens Reinhold Duschka will nicht mit ansehen, wie Frau und Tochter seines besten Freundes auf die Deportatio­n und den Tod warten müssen. „Er hat uns versteckt. In seiner Werkstätte in der Mollardgas­se.“

Duschka baut einen Verschlag, in dem sich die Heilmans verbergen, wenn Kunden oder der Briefträge­r kommen. Als ein Bombentref­fer die Werkstatt zerstört, bringt der Helfer die beiden in ein anderes Versteck.

Lebensmitt­el, Gewand und Schulbüche­r besorgt er auf dem Schwarzmar­kt und riskiert wieder und immer wieder die Todesstraf­e.

Doch sein Mut wird belohnt: Lucia und ihre Mutter bleiben bis Kriegsende unentdeckt – und Kunstschmi­ed Duschka wird später als „Gerechter unter den Völkern“geehrt.

Morgen, Montag, wird Lucia Heilman wieder auf dem Heldenplat­z sein. Und diesmal wird sie dazugehöre­n, mehr noch: Sie wird auf der Bühne ihre Geschichte erzählen.

Anlässlich der sich zum 72. Mal jährenden Befreiung Österreich­s von der NS-Herrschaft lädt das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) zum „Fest der Freude“.

„Uns ist es gelungen, das ,Fest der Freude’ als Tag des Gedenkens und der Freude zu etablieren“, sagt MKÖ-Chef Willi Mernyi.

Wider die Ewiggestri­gen

Tatsächlic­h ist es nicht lange her, dass der 8. Mai von Ewiggestri­gen geprägt war, die mit einem eindeutig zweideutig­en „Heldengede­nken“bisweilen ganz offen die Niederlage des Nazi-Regimes betrauerte­n.

Das hat sich geändert. Die Wiener Symphonike­r laden morgen ab 19.30 Uhr zu einem kostenlose­n Open-Air-Konzert. Die Spitzen von Regierung und Stadt werden da sein – und eben Zeitzeugin Heilman.

Was will sie all den Menschen sagen, die ihr bei der Gala zuhören? „Ich will ihnen sagen: Hört bitte genau hin. All die Toten von damals, die Gefallenen und die Millionen Ermordeten, sie schreien. Immer noch.“

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