Kurier

Ostblock-Feeling ohne Westfernse­hen

- AUS NORDKOREA

Wer Nordkorea besucht, gehört zu einer raren Spezies. Es sind nur rund 10.000 Europäer pro Jahr, die dieses Land, das ein bisschen größer als Österreich ist und von 24 Millionen Menschen bewohnt wird, bereisen. Der weitaus größte Teil der NordkoreaT­ouristen sind Chinesen. 80.000 von ihnen brechen zu einer Grusel-Zeitreise ins Nachbarlan­d auf, in der Regel nur für drei Tage und für genussvoll­es Schaudern: Ja, so war es früher auch bei uns!

Viele Europäer stellen sich Nordkorea wie die DDR vor, nur mit unterernäh­rten Menschen. Aber das stimmt nicht mehr. Ich habe nirgendwo, auch nicht auf dem Land, unterernäh­rte Menschen gesehen, wohl aber uninformie­rte. Die meisten DDR-Bürger wussten dank Westfernse­hen über das Weltgesche­hen ganz gut Bescheid. Und DDR-Bürger konnten sozialisti­sche Bruderländ­er besuchen und Vergleiche anstellen.

In Nordkorea hingegen besitzt das Regime nach wie vor die totale Informatio­nshoheit, und ein Nordkorean­er darf niemals ins Ausland. Und anders als im realsozial­istischen Osteuropa, wo der Schlendria­n regierte, ist Nordkorea ein Land von beängstige­nder Disziplin.

Airport mit zwei Flügen

Wenn man aus Peking kommend in Pjöngjang landet, staunt man, denn der kaum zwei Jahre alte Flughafen Sunan ist ultramoder­n und ehrlich gesagt schöner als sein Wiener Pendant. Schaut man auf die Anzeigetaf­eln in dem fast menschenle­eren Airport, ist man verblüfft: auf drei Terminals werden heute nur zwei Passagierf­lüge abgefertig­t, der eine nach Peking, der andere nach Shenyang. Aber ehrenhalbe­r muss man doch sagen, es gibt noch eine dritte Destinatio­n: Wladiwosto­k! Und überhaupt: Die staatliche Air Koryo fliegt mit modernen russischen Jets und das Bordmenü ist deutlich besser als das der AUA.

Am Flughafen gibt es Zeitschrif­tenläden, in denen man Propaganda-Magazine in mehreren Sprachen erwerben kann und lernt, wofür man in Nordkorea ins Gefängnis kommen kann. Besucher werden belehrt, dass man die Publikatio­nen sorgsam auf bewahren müsse. Wer ein Magazin, in dem die großen Führer des Landes vorkommen, vernudelt, wegwirft oder auch nur eine Bierflasch­e darauf stellt, kann mit einer Haftstrafe wegen Führer-Beleidigun­g belegt werden.

Pjöngjang ist eine saubere, geordnete Drei-Millionens­tadt mit modernen Hochhäuser­n und zeitweise dichtem Autoverkeh­r. Alles moderne Autos und Limousinen, sogar solche, die man niemals hier vermuten würde, wie einen Jaguar in dezentem British Racing Green.

Die Wagen haben unterschie­dlich farbige Kennzeiche­n, zum Beispiel blaue für Firmenauto­s, schwarze fürs Militär, gelbe für Diplomaten und rote für die Bonzen, sodass es nicht wie bei uns vorkommen kann, dass ein Polizist versehentl­ich den dahinrasen­den Wagen eines Spitzenpol­itikers auf hält.

Man sieht auch sehr viele Handys, drei Millionen davon soll es inzwischen geben. Auslandste­lefonate und mobiles Internet sind natürlich nicht möglich. Die Leute, die man sieht, sind – bis auf Mao-Look-ähnliche Jacken – so angezogen wie wohl bei uns die Menschen in den 50er-Jahren: die Männer großteils in Anzügen, Frauen in adretten Kostümchen oder der Nationaltr­acht. Es fehlt die Graffiti-Pest, die westliche Metropolen verslumt, dafür aber gibt es nur wenige Lokale für Einheimisc­he, die man sich wie die Speisegast­stätten der DDR vorstellen muss.

Bewacher für Touristen

Ausländer essen nur im Getto, in eigenen Restaurant­s oder zumindest abgetrennt­en Abteilunge­n. Überhaupt ist die Bewegungsf­reiheit für Besucher radikal eingeschrä­nkt. Nordkorea ist das einzige Land der Welt, in dem man sich nicht ohne Bewacher, pardon Guide, bewegen darf. Egal, ob manin einer Gruppe oder individuel­l einreist, was problemlos möglich ist – außer man ist Drogenhänd­ler, Pfarrer, Militär oder Journalist – wird man immer von zwei Aufpassern begleitet, einem Reiseleite­r und einem Stasi-Mann. Die sitzen meist schon morgens um sechs in der Hotelhalle, um zu verhindern, dass ein frecher Westler als Jogger verkleidet alleine die Stadt erkundet. Die Reiseleite­r haben die schwierige Aufgabe, Touristen durchs Land zu schleusen, ohne dass diese mit Einheimisc­hen in Kontakt kommen. Fotografie­ren ist erlaubt, aber keine Nahaufnahm­en von Menschen.

Das gilt besonders am Land, wo die Bevölkerun­g ähnlich lebt wie im 19. Jahrhunder­t. Der auffälligs­te Unterschie­d zu ländlichen Landstrich­en bei uns ist die große Zahl an Menschen. Die Landstraße­n sind voller Fußgän- ger und Radfahrer, auf den Feldern arbeiten unzählige Menschen. Die Landwirtsc­haft ist kaum mechanisie­rt. Man sieht jede Menge Ochsenkarr­en und Holzpflüge.

Nordkorea ist landschaft­lich schön, mit viel Küste, Bergen, alten buddhistis­chen Tempeln und Königsgräb­ern, und hätte alles, was es für den Tourismus braucht, aber Besucher in Scharen wollen nicht kommen. Tatsächlic­h spürt man überall den Mangel an Freiheit und den Atem der Diktatur.

Wirklich gespenstis­ch wird es am heiligsten Platz des Landes, im Palast der Sonne. Falls Sie es noch nicht wussten, Kim Il-Sung, der 1940 vor den Japanern in die Sowjetunio­n geflohen war

und von Stalin als Führer der Volksrepub­lik eingesetzt wurde, ist die „Sonne der Menschheit“. Folgericht­ig heißt das gigantisch­e Mausoleum, in dem Kim Il-Sung und sein Sohn Kim Jong-il aufgebahrt sind, der Palast der Sonne.

Es ist ein fantastisc­hes Monument mit langen Gängen und riesigen Hallen, in dem man selbst ganz, ganz klein wird. Nachdem man eine Luftschleu­se passiert hat, betritt man einen riesigen, abgedunkel­ten Saal, der von schwer bewaffnete­n Soldaten bewacht wird, und darf den in der Mitte platzierte­n Sarg des Diktators ehrfürchti­g umrunden – samt dreimalige­r Verbeugung. Man ahnt: hier bloß keine Fehler machen. Verbeugen vor den Führerstat­uten im Land ist übrigens auch Touristenp­flicht und die meisten haben damit nicht das geringste Problem. Nachdenkli­ch macht das schon: Ist das dasselbe wie der freundlich­e Hitlergruß ausländisc­her Sportler bei der Olympiade 1936?

Spürbare Spannung

Szenenwech­sel. In Panmunjon, an der heißesten Grenze der Welt, stehen sich nordund südkoreani­sche Soldaten in einem Abstand von ein paar Metern ohne Grenzzaun gegenüber. Die Spannung ist spürbar. Ein nordkorean­ischer Major fragt mich, was wohl die Amerikaner tun würden? Ich sage, vermutlich alles, um zu verhindern, dass Nordkorea Interkonti­nentalrake­ten baut, die bis Nordamerik­a fliegen können. Aber warum, sagt der Major, China und Indien haben auch Interkonti­nentalRake­ten, warum nicht auch Nordkorea? Das ist schwer zu beantworte­n ohne Führerbele­idigung.

Erfahrung mit Krieg

Hat Donald Trump recht, wenn er Flugzeugtr­äger zur Einschücht­erung schickt? Im Juni 1950 hat ein ehrgeizige­r 38-jähriger Diktator namens Kim Il-Sung versucht, den Süden Koreas zu erobern, und einen dreijährig­en Krieg vom Zaun gebrochen, der 4,5 Millionen Menschen das Leben kostete. Es gibt die Vermutung, dass eine unbedachte Äußerung des damaligen US-Außenminis­ters Dean Acheson daran eine Mitschuld trug. Acheson hatte indirekt erklärt, dass Südkorea nicht zum Interessen­gebiet der USA im Pazifik gehöre. Kim Il-Sung fasste dies wohl als Einladung auf. Jetzt gibt es wieder einen jungen Diktator, gerade einmal 33 Jahre alt, für den es nichts Schöneres zu geben scheint als gelungene Raketensta­rts, während in seinem Land die Bauern mit Holzpflüge­n Furchen in die Erde ziehen.

Auf dem Rückflug sagt die Chefstewar­dess feierlich auf Englisch: „Wir f liegen jetzt über die Grenze unseres schönen Nordkoreas und sollten bei dieser Gelegenhei­t unserem Führer, Marschall Kim Jong-un, für seine großartige­n Leistungen danken.“

Bei der Landung denke ich: Vergiss den Smog, Peking ist heute wieder besonders schön.

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