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Mathematik – Lust oder Frust?

Pädagogik. Mathematik hat häufig einen schlechten Ruf. Damit der Umgang mit Zahlen positiv erlebt werden kann, braucht es mehr Verständni­s und weniger stures Auswendigl­ernen. Das beginnt bereits im Vorschulal­ter.

- VON UTE BRÜHL

Der 10. Mai ist der Tag, vor dem sich viele Maturanten fürchten – denn da steht Mathematik im Prüfungska­lender. Ganz unbegründe­t ist diese Furcht nicht, haben doch im Vorjahr 22 Prozent die Mathe-Matura nicht auf Anhieb geschafft. Davon sollten sich Schüler allerdings nicht irre machen lassen: Immerhin haben zwei Drittel davon die Kompensati­onsprüfung positiv abgeschlos­sen. Und im Bildungsmi­nisterium wird man bei der Aufgabenst­ellung heuer wohl etwas vorsichtig­er sein.

Doch warum scheitern gerade so viele an Mathe? Menschen, bei denen bereits das Wort Mathematik Panik auslöst, suchen Rat bei Renate Höglinger-Lentsch und Ute Vonkilch vom Recheninst­itut Wien. Ihr Befund: „Angst ma- chen immer Dinge, die uns fremd sind. Genauso ist es mit der Mathematik: Wenn ein Kind die Zusammenhä­nge der elementare­n mathematik­spezifisch­en Grundlagen nicht verstanden hat, und sich schon im kleinen Zahlen- raum schwer zurecht findet, entstehen Defizite, die jedes Kind verunsiche­rn. Eine Rechenschw­äche ist vorprogram­miert.“

Didaktiker Timo Leuders von der PH Freiburg (Deutschlan­d) präzisiert: „Wenn ein Kind nicht versteht, was Operatione­n wie Addition oder Multiplika­tion bedeuten, versteht es auch nicht, wie sich Situatione­n in Rechnungen übersetzen lassen. Heißt: Er kann zwar die Mal-Sätze auswendig, versteht aber das Prinzip dahinter nicht. Da die Schüler meist f leißig rechnen, bemerken Lehrer und Eltern die Schwäche anfangs nicht. Wenn Jahre später das Verstehen des Multiplizi­erens gefragt ist – z.B. beim Bruchrechn­en – können die Kinder nicht darauf zurückgrei­fen. Sie flüchten sich darin, dass sie sagen: ,Ich lerne Regeln’.“

Das sei ein Teufelskre­is. Mathematik baue sich so auf eine Anhäufung von Regeln, die nichts bedeuten. „Für diese Kinder heißt Mathematik bloß das Erfüllen dieser Rechenrege­ln. Auf die Dauer sind sie überforder­t, weil der Unterricht von ihnen verlangt, viele Verfahren auswendig zu lernen. Am Ende machen die Schüler dicht, weil sie von der Fülle der Regeln überforder­t sind.“

Spätestens im Gymnasium komme dann die Frage: „Wozu brauche ich das?“Leuders meint, dass Lehrer diese Frage so nicht beantworte­n sollten: „Es geht nicht darum, wie ich das als Einzelpers­on nutze. Als 13-Jährgier kann ich oft nicht verstehen, was ich in der Zukunft benötigen werde. Die Frage des Schülers sollte eher lauten: Was bedeutet mir das? Warum soll ich mich jetzt damit beschäftig­en? Es ist z.B. einfach für einen Lehrer zu veranschau­lichen, wozu einen Mittelwert gut ist.“

Praktische, lebensnahe Beispiele verhindern Angst: „Diese entsteht, wenn Mathematik keine Bedeutung hat oder diese erst in der Zukunft liegt. Mathematik als Lösung für Probleme ist hingegen sinnstifte­nd und angstverme­idend.“

Frühwarnun­g

Was also tun? Renate Höglinger-Lentsch (Recheninst­itut) sagt, dass „schon im Vorschulal­ter wichtige Schritte für das mathematis­che Verständni­s gesetzt werden sollten und diese nicht vernachläs­sigt werden dürfen. Viele Studien zeigen, dass die Unterschie­de im Zahlenwiss­en bei Schuleintr­itt entscheide­nd sind für die zukünftige­n Leistungen in Mathematik. Mehr noch: Der (fehlende) Wissenstan­d bei Schuleintr­itt ist ein statistisc­h signifikan­tes Anzeichen dafür, dass ein Kind später eine Rechenstör­ung entwickeln könnte. Frühförder­ung ist im sprachlich­en Bereich heutzutage fast selbstvers­tändlich, die mathematis­che Förderung spielt leider eine untergeord­nete Rolle.“

Was sollte ein Kind bei Schuleintr­itt können? „Es braucht Wissen und Wissbegier­de. Einerseits ist das eine sichere Zahlwortre­ihe, das Erfassen von einer Anzahl oder das automatisi­erte ,Zeigen können’ der Anzahlen bis 10 mit den Fingern. Anderersei­ts sollte Mathematik bereits im Kindergart­en als etwas kennengele­rnt werden,

„Mathematik als Lösung für Probleme ist sinnstifte­nd und angstverme­idend.“Timo Leuders Didaktiker „Wenn ein Kind sich im kleinen Zahlenraum schwer zurecht findet, entstehen dauerhaft Defizite.“Ute Vonkilch Recheninst­itut

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