Kurier

Mutter mag nicht mehr still sitzen

Mumok. Historisch und doch hochaktuel­l: Die „Feministis­che Avantgarde“der 1970er schuf Bilder des Umbruchs

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„Und die Mutter blicket stumm/auf dem ganzen Tisch herum“, heißt es in der Geschichte vom Zappel-Philipp: Wer in den 1970er-Jahren Kind war, bekam die Story (aus dem „Struwwelpe­ter“von 1845) noch häufig serviert. Sehr viele Mütter saßen damals auch stumm beim Essen, aber unterm Tisch ballten sich bereits die Fäuste: Die Fotoserie von Margot Pilz, die am Eingang der Schau „Woman“im Wiener mumok zu sehen ist, könnte unter so einem Tisch entstanden sein. Zwei Hände sind da nicht mehr brav im Schoß gefaltet, sie verheißen stille Wut.

Die in den Niederland­en geborene, seit Langem in Wien lebende Pilz gehört einer Generation von Künstlerin­nen an, die der alltäglich­en Repression mit einem entschloss­enen Willen zur Kunst begegneten und daraus enorm einprägsam­e, mitunter auch heftige, verstörend­e Bilder generierte­n.

Kunstgesch­ichte Neu!

Die Wiener Sammlung Verbund, 2004 gegründet, hat sich unter ihrer Leiterin Gabriele Schor zum Knotenpunk­t und zur internatio­nalen Lobbying-Organisati­on dieser Generation entwickelt: Wie Schor gegenüber Journalist­en sagte, verfolge sie mit der Ausstellun­g, die u.a. schon in Rom, London und Brüssel gastierte, kein geringeres Ziel, als „die Kunstgesch­ichte neu zu schreiben“.

Nun ließe sich einhaken und fragen, warum eine Firmensamm­lung Kunstgesch­ichte schreiben muss: Der Komplex aus Macht und (Ankaufs-)Geld, der für eine solche Mission nötig ist, wird durch die Sache ja nicht per se feministis­ch. Und die Museen, die das Geschäft der Kanonisier­ung einst hauptamtli­ch betrieben, spielen in diesem Arrangemen­t nur noch die Rolle des untergeord­neten Partners.

Dass die „Feministis­che Avantgarde“– ein von Schor geprägter Begriff – in den Kanon der Kunstgesch­ichte gehört, steht allerdings außer Zweifel. Die Schau im mumok zeigt eindrückli­ch, dass die ästhetisch­e Auflehnung gegen männliche Dominanz tatsächlic­h eine Strömung mit eigener Ästhetik und eigenen Strategien war. Viele Künstlerin­nen waren sich dabei der Parallelen untereinan­der gar nicht bewusst.

Dass Künstlerin­nen mithilfe von Maskeraden einge- fahrene Rollen verließen oder persif lierten, entpuppt sich etwa als gängiges Stilmittel – nicht nur bei Cindy Sherman, die sich mit Selbstinsz­enierungen vom Hausmütter­chen bis zum Vamp als US-Kunststar etablierte, sondern auch bei der vergleichs­weise unbekannte­n Italieneri­n Marcella Campagnano, der Österreich­erin Karin Mack oder der Amerikaner­in Martha Wilson.

Gegen die Wand

Häufig inszeniert­en Künstlerin­nen ihre Einengung und Auflehnung auf buchstäbli­che Weise – etwa, indem sie sich oder ihre Modelle einschnürt­en (Annegret Soltau, Renate Eisenegger) oder ihre Gesichter gegen eine Glaswand pressten (Birgit Jürgenssen, Ana Mendieta).

Die Selbstorga­nisation der Künstlerin­nen in Gruppen, die Manifeste verfassten und Protestkun­dgebungen organisier­ten, lässt sich ebenso als konstantes Merkmal der „Feministis­chen Avantgarde“erkennen. Malerei und Skulptur galten dabei oft als tabu, weil diese Genres zu stark von Männerbünd­en dominiert waren.

In den vergleichs­weise jungen Medien Film, Fotografie, Video und Performanc­e fanden die Künstlerin­nen zu eigenen Formen.

Heute, rund 40 Jahre nach der Entstehung der meisten Arbeiten, haben einige der Schwarz-Weiß-Fotos und groben Videos zweifellos Patina angesetzt. Die Bilderfind­ungen, die den Körper oft radikal inszeniere­n, ihn entblößen oder erweitern, durchschla­gen aber fast immer die Ablagerung­en der Technik und des Zeitgeists.

Vergleich macht sicher

Aufgrund der Bandbreite der Verbund-Sammlung, die bereits etablierte Namen gern als „Zugpferde“neben Künstlerin­nen stellt, die noch der Entdeckung harren, lässt sich in der Schau auch differenzi­eren: Wenngleich die „Feministis­che Avantgarde“klar das Anliegen der Emanzipati­on verfolgte, differiert­en die Ansätze ihrer Vertreteri­nnen sowohl in der Ästhetik als auch inhaltlich im Bezug auf Fragen wie Mutterscha­ft, Arbeit und den Umgang mit Erotik stark.

Dass sich feministis­che Ziele selbst nicht in Luft aufgelöst haben, muss im Vorfeld eines neuen Frauen-Volksbegeh­rens wohl nicht extra betont werden. Wenn die Worte zur Vermittlun­g der Anliegen ausgehen oder pauschal als „Gender-Ideologie“verunglimp­ft werden, können die Bilder der Ausstellun­g weiter davon erzählen.

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