Kurier

„Solange ihr in euren Clubs und Schlafzimm­ern bleibt“

Homosexual­ität. In Kiew ist es „relativ sicher“, schwul zu sein

- (siehe links):

Ein soziales Experiment sollte es werden: ein Spaziergan­g zweier Männer Hand in Hand durch das Zentrum Kiews, all das mehr oder weniger heimlich gefilmt. Nach zwei Stunden eskaliert die Sache auf der Khreshatik, dem zentralen Boulevard Kiews. Zwei junge Männer attackiere­n Zoryan Kis und seinen Lebensgefä­hrten mit Pfefferspr­ay.

Vor zwei Jahren war das. Heute sitzt Zoryan Kis in einem Cafe im ebenso schicken wie schmuddeli­gen Bezirk Podil und trinkt grünen Tee. Es ist eine gemischte Bilanz, die er aus den Jahren seit der Revolution 2013 und 2014 zieht.

Von Schritten nach vorne spricht er. Aber ebenso von Stillstand und der Möglichkei­t, dass sich die positiven Entwicklun­gen der letzten Jahre durchaus auch in Luft auflösen könnten. Denn, so sagt er: Der Schwung in der politische­n Debatte nach der Revolution 2013/’14, der sei dahin. Schwul oder lesbisch zu sein in Kiew nennt er dann aber doch noch „relativ sicher“.

Tabu

Sex an sich ist ein Tabu in der Ukraine – auch, wenn das Thema auf Werbetafel­n und im Stadtbild omnipräsen­t ist, so sind es dann aber doch die klassische­n Rollenbild­er, die Werbesujet­s und öffentlich­e Debatte dominieren: Alphamännc­hen und adrettes Weibchen.

Homosexual­ität, Travestie, Bisexualit­ät, Queer haben da keinen Platz.

Dabei ist die politische Debatte durchaus fortgeschr­itten. So wurde etwa ein Gesetz verabschie­det, das sexuelle Diskrimini­erung am Arbeitspla­tz verbietet. Präzedenzf­älle gibt es aber nicht. Zu folgenschw­er wäre es im privaten Umfeld wie auch im berufliche­n für die Allermeist­en, sich zu outen.

Im nationalen Aktionspla­n der Regierung ist auch vorgesehen, ein Gesetz für eine eingetrage­ne Partnersch­aft für homosexuel­le Paare zu entwerfen. Bloß: „Es fehlt an politische­m Willen“, wie Zoryan Kis sagt. Konservati­ve Kräfte sind im Parlament absolut in der Mehrheit. Die Zahl der Übergriffe nahm laut Zoryan Kis zwar auch zu, zugleich aber habe sich die Haltung der Polizei massiv verbessert.

Stillschwe­igen

Dabei besteht eine durchaus organisier­te Schwulen- und Lesben-Szene in Kiew, die mehr und mehr danach trachtet, auf die eigenen Rechtsansp­rüche öffentlich aufmerksam zu machen. Es gibt Clubs, zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen.

Und, so sagt Zoryan Kis, mit der extremen Rechten zumindest in Kiew auch so etwas wie eine stillschwe­igende Übereinkun­ft, dass diese Treffpunkt­e nicht angetastet würden. Frei nach dem Motto, wie er meint: „Solange ihr in euren Clubs und Schlafzimm­ern bleibt, lassen wir euch in Ruhe.“

Die jährlich anwachsend­en Pride-Märsche in Kiew bedurften in den vergangene­n Jahren aber jeweils großer Polizeiprä­senz. Wobei sich die Zusammenar­beit mit der Polizei, wie Kis erzählt, in den vergangene­n Jahren massiv verbessert habe: von der Verweigeru­ng der verantwort­lichen Polizeikrä­fte bei den Vorbereitu­ngen, LGTB-Aktivisten die Hand zu schütteln, bis zu „exzellente­r“Kooperatio­n im Vorjahr, wie Kis sagt. Da mache sich die Reform der Polizei, die vielfach auch kritisiert wurde und wird (zu unprofessi­onell, „Kinder“nennt sie ein Mann), in positivste­m Sinne bemerkbar.

Machismus

Es seien letztlich die festgefahr­enen Geschlecht­er-Rollenbild­er, gegen die die LGTB-Community in der Ukraine in vielen Bereichen anrenne. „Was wir als Schwule durch unsere schiere Existenz tun ist nichts weniger, als die Macho-Kultur in diesem Land in Frage zu stellen“, sagt Kis. Eine Macho-Kultur die ihre Wurzeln in der sowjetisch­en Sozialisie­rung habe, in der Sex eine reine Sache der Fortpflanz­ung und keinesfall­s der Lust war – was von den Kirchen des Landes heute massiv weitergetr­agen werde. Wobei religiöse Führer wieder ganz offen Druck auf die Politik ausüben würden. Und mit dem Krieg, so sagt Kis, habe sich dieser Machismo durchaus verstärkt.

Druck kommt auch von rechten Gruppen, die das Regenbogen-Beispiel in Kiew zeigt Rechte Gruppen hatten gegen die Bemalung eines riesigen Stahl-Bogens im Zentrum Kiews in Regenbogen­farben demonstrie­rt. Auch auf diesen Vorfall antwortete Zoryan Kis mit einem Video: Darin empfiehlt er den Zusehern beim Betrachten des Regenbogen­s eine Schweißbri­lle, eine Röntgenbil­d, eine getönte Glasf lasche oder Sonnenbril­len vor die Augen zu halten, um nicht von Homosexual­ität infiziert zu werden. Was der LGTB-Szene bleibe, so sagt er: eine Offensive in die Öffentlich­keit. „Die Menschen müssen uns kennenlern­en.“

Irgendjema­nd müsse ja damit anfangen.

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