Die Forschung und das wahre Leben
Durchschaut. Eher machen wir uns selbst erfolgreich etwas vor als unserem Hund.
Neulich entdeckte ich folgende Agenturmeldung: „Neues aus der Veterinärforschung – Hunde können sich in Menschen hineinversetzen.“
Ich war nicht im Geringsten verblüfft. Eher hätte mich die gegenteilige Schlagzeile um den Schlaf gebracht. Aber manche Forscher arbeiten eben Jahre daran, im Experiment Fähigkeiten nachzuweisen, die einem Hundehalter ebenso klar sind wie die Anzahl der Beine seines Vierbeiners.
Schon als Daria klein war, wurde uns rasch bewusst: Der Hund durchschaut uns. Eher machen wir uns selbst erfolgreich etwas vor als diesem Hund.
Virtuos spielte ich Daria vor, ich hätte eine Belohnung in der Hand versteckt, um sie zu gewünschten Handlungen zu motivieren. Sie wusste die Wahrheit und beachtete mich nicht weiter.
Ich trainierte vor dem Spiegel, glaubte beinahe selbst, dass sich in meiner leeren Faust Gammelkäse und Pferdelunge befanden – Daria glaubte mir nicht. Außer: Es lag tatsächlich etwas in meiner Hand. Da reagierte sie in Lichtgeschwindigkeit auf meine Kommandos und holte sich nach deren Ausführung umgehend ihren Lohn.
Jetzt ist es also auch wissenschaftlich bewiesen: Hunde können „die Perspektive von Menschen übernehmen und im Experiment unterscheiden, ob eine Person tatsächlich weiß, in welcher Schüssel Futter versteckt ist oder ob sie nur so tut“.
Meine Freundin erzählt zum Beispiel, ihr Beagle wisse genau, ob sie ins Schlafzimmer gehe, um, sagen wir, die Betten zu überziehen. Oder ob sie sich zurückzuziehen will, weil es ihr nicht gut geht. Im ersten Fall rührt sich der Hund nicht von seinem Platz. Im zweiten Fall springt er auf, folgt ihr nach oben und wacht vor der Schlafzimmertüre. Alle Familienmitglieder respektieren diese Form des Türstehers und bleiben draußen.
Meine Theorie: Unsere Hunde ahnen bereits, wie es uns tatsächlich geht, noch bevor uns das selbst klar ist. Wenn wir versuchen, ihnen etwas vorzuspielen, fühlen sie sich nicht einmal angesprochen. Hunde sind durch und durch Menschenversteher.
Und jetzt warte ich auf die Forschungsschlagzeile, die wirklich sensationell wäre: „Humanforschung: Menschen können sich endlich in Hunde hineinversetzen.“ Kommunikationstrainerin Natalia Ölsböck. Kopfarbeit schreit nach Handarbeit. Und nach einem haptischen Beweis für das Werken. Sich in der Hand-Arbeit zu verwirklichen, macht glücklich, schafft Zufriedenheit. Ein ansehnliches Ergebnis der Anstrengung möbelt das Selbstbewusstsein auf.
Darüber hinaus wird der kreativen Ader Genüge getan, der schöpferische Geist bleibt in der technologisierten Arbeitswelt oft auf der Strecke. Genau so wie die Anerkennung. Das Hand-Werken sei ein wichtiger Gegenpol zur Digitalisierung. „Viele sitzen am Computer und arbeiten vor sich hin“, sagt Ölsböck. Das habe nichts Sinnliches, manche empfinden die Tätigkeit sogar als sinnlos. Neue Projekte sind neue Herausforderungen: „Das ist das beste Hirntraining.“
Freiheit
Der Do-it-yourself-Boom ist also auch ein Protest gegen die Degradierung der Hände. Und es ist ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft. Wer repariert und umgestaltet, macht sich frei: „Das Selbermachen ist eine Form der Unabhängigkeit. Ich will mich nicht von einem Unternehmen bevormunden lassen, das mir Software verkauft – ich mache sie mir selber. Ich will volle Kontrolle über meinen Computer“, rebelliert Mayer. Zwanglosigkeit im Kleinen lockert das beengende Korsett im Großen. Das Leben ist reglementiert genug. Gesetzliche Bestimmungen auf Landes- ebene, Richtlinien von der EU – „man will sich nichts vorschreiben lassen. Da pfeif ich drauf, nicht nur beim Renovieren, sondern auch beim Garteln“, analysiert Psychologin Ölsböck, die sich mit den Selbermacher-Motiven beschäftigt hat.
„Der Do-it-yourself-Boom begann mit der Wirtschaftskrise und der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Diese Sorgen sind nach wie vor sehr präsent“, sagt sie. Wer Paradeiser und Zucchini pflanzt, muss das Gemüse nicht kaufen. Wer die Wände streicht, muss keine Maler zahlen. Viele Selbermacher machen sich mittlerweile mit ihrem Hobby selbstständig und gewinnen so Sicherheit und Kontrolle zu- rück. Dazu gesellt sich das Glücksgefühl von „ich kann machen, was ich gerne tue“. Selbst Rückschläge bringen voran: Überwundene Hürden machen doppelt Freude.
Wissen ist Macht
Ölsböck hat weitere gute Gründe für den DIY-Boom gefunden: „Viele Konsumenten glauben nicht mehr alles, was ihnen vorgegaukelt wird“. Wer Marmelade einkocht, weiß, was er isst. Wer die Naturholz-Kommode streicht, weiß, ob die Farbe biozertifiziert oder giftig ist. Wer sich an die Nähmaschine setzt, weiß, dass keine Kinder genäht haben. Kontrolle schafft Sicherheit – eine positive Emotion.
Apropos positive Emotion: „Die Unterstützung der Selbermacher untereinander ist gewaltig – egal, ob es darum geht, einen Bilderrahmen selber zu machen oder eine eigenständige PC-Architektur zu entwickeln“, ergänzt Mayer.
In Amerika gebe es einen Star-Kult rund um die Selbermacher. Hierzulande geht es mehr um das Gruppenerlebnis. „Früher hat man seine Werke im Keller versteckt, heute zeigt man sie gerne her und arbeitet miteinander.“Neid und Angst vor Patent-Klau sei den Makern fremd, ist Mayer überzeugt. „Geheimniskrämerei ist verpönt. Man profitiert von der Zusammenarbeit.“