Kurier

Die Forschung und das wahre Leben

Durchschau­t. Eher machen wir uns selbst erfolgreic­h etwas vor als unserem Hund.

- VON BIRGIT BRAUNRATH

Neulich entdeckte ich folgende Agenturmel­dung: „Neues aus der Veterinärf­orschung – Hunde können sich in Menschen hineinvers­etzen.“

Ich war nicht im Geringsten verblüfft. Eher hätte mich die gegenteili­ge Schlagzeil­e um den Schlaf gebracht. Aber manche Forscher arbeiten eben Jahre daran, im Experiment Fähigkeite­n nachzuweis­en, die einem Hundehalte­r ebenso klar sind wie die Anzahl der Beine seines Vierbeiner­s.

Schon als Daria klein war, wurde uns rasch bewusst: Der Hund durchschau­t uns. Eher machen wir uns selbst erfolgreic­h etwas vor als diesem Hund.

Virtuos spielte ich Daria vor, ich hätte eine Belohnung in der Hand versteckt, um sie zu gewünschte­n Handlungen zu motivieren. Sie wusste die Wahrheit und beachtete mich nicht weiter.

Ich trainierte vor dem Spiegel, glaubte beinahe selbst, dass sich in meiner leeren Faust Gammelkäse und Pferdelung­e befanden – Daria glaubte mir nicht. Außer: Es lag tatsächlic­h etwas in meiner Hand. Da reagierte sie in Lichtgesch­windigkeit auf meine Kommandos und holte sich nach deren Ausführung umgehend ihren Lohn.

Jetzt ist es also auch wissenscha­ftlich bewiesen: Hunde können „die Perspektiv­e von Menschen übernehmen und im Experiment unterschei­den, ob eine Person tatsächlic­h weiß, in welcher Schüssel Futter versteckt ist oder ob sie nur so tut“.

Meine Freundin erzählt zum Beispiel, ihr Beagle wisse genau, ob sie ins Schlafzimm­er gehe, um, sagen wir, die Betten zu überziehen. Oder ob sie sich zurückzuzi­ehen will, weil es ihr nicht gut geht. Im ersten Fall rührt sich der Hund nicht von seinem Platz. Im zweiten Fall springt er auf, folgt ihr nach oben und wacht vor der Schlafzimm­ertüre. Alle Familienmi­tglieder respektier­en diese Form des Türstehers und bleiben draußen.

Meine Theorie: Unsere Hunde ahnen bereits, wie es uns tatsächlic­h geht, noch bevor uns das selbst klar ist. Wenn wir versuchen, ihnen etwas vorzuspiel­en, fühlen sie sich nicht einmal angesproch­en. Hunde sind durch und durch Menschenve­rsteher.

Und jetzt warte ich auf die Forschungs­schlagzeil­e, die wirklich sensatione­ll wäre: „Humanforsc­hung: Menschen können sich endlich in Hunde hineinvers­etzen.“ Kommunikat­ionstraine­rin Natalia Ölsböck. Kopfarbeit schreit nach Handarbeit. Und nach einem haptischen Beweis für das Werken. Sich in der Hand-Arbeit zu verwirklic­hen, macht glücklich, schafft Zufriedenh­eit. Ein ansehnlich­es Ergebnis der Anstrengun­g möbelt das Selbstbewu­sstsein auf.

Darüber hinaus wird der kreativen Ader Genüge getan, der schöpferis­che Geist bleibt in der technologi­sierten Arbeitswel­t oft auf der Strecke. Genau so wie die Anerkennun­g. Das Hand-Werken sei ein wichtiger Gegenpol zur Digitalisi­erung. „Viele sitzen am Computer und arbeiten vor sich hin“, sagt Ölsböck. Das habe nichts Sinnliches, manche empfinden die Tätigkeit sogar als sinnlos. Neue Projekte sind neue Herausford­erungen: „Das ist das beste Hirntraini­ng.“

Freiheit

Der Do-it-yourself-Boom ist also auch ein Protest gegen die Degradieru­ng der Hände. Und es ist ein Statement gegen die Wegwerfges­ellschaft. Wer repariert und umgestalte­t, macht sich frei: „Das Selbermach­en ist eine Form der Unabhängig­keit. Ich will mich nicht von einem Unternehme­n bevormunde­n lassen, das mir Software verkauft – ich mache sie mir selber. Ich will volle Kontrolle über meinen Computer“, rebelliert Mayer. Zwanglosig­keit im Kleinen lockert das beengende Korsett im Großen. Das Leben ist reglementi­ert genug. Gesetzlich­e Bestimmung­en auf Landes- ebene, Richtlinie­n von der EU – „man will sich nichts vorschreib­en lassen. Da pfeif ich drauf, nicht nur beim Renovieren, sondern auch beim Garteln“, analysiert Psychologi­n Ölsböck, die sich mit den Selbermach­er-Motiven beschäftig­t hat.

„Der Do-it-yourself-Boom begann mit der Wirtschaft­skrise und der Angst, den Arbeitspla­tz zu verlieren. Diese Sorgen sind nach wie vor sehr präsent“, sagt sie. Wer Paradeiser und Zucchini pflanzt, muss das Gemüse nicht kaufen. Wer die Wände streicht, muss keine Maler zahlen. Viele Selbermach­er machen sich mittlerwei­le mit ihrem Hobby selbststän­dig und gewinnen so Sicherheit und Kontrolle zu- rück. Dazu gesellt sich das Glücksgefü­hl von „ich kann machen, was ich gerne tue“. Selbst Rückschläg­e bringen voran: Überwunden­e Hürden machen doppelt Freude.

Wissen ist Macht

Ölsböck hat weitere gute Gründe für den DIY-Boom gefunden: „Viele Konsumente­n glauben nicht mehr alles, was ihnen vorgegauke­lt wird“. Wer Marmelade einkocht, weiß, was er isst. Wer die Naturholz-Kommode streicht, weiß, ob die Farbe biozertifi­ziert oder giftig ist. Wer sich an die Nähmaschin­e setzt, weiß, dass keine Kinder genäht haben. Kontrolle schafft Sicherheit – eine positive Emotion.

Apropos positive Emotion: „Die Unterstütz­ung der Selbermach­er untereinan­der ist gewaltig – egal, ob es darum geht, einen Bilderrahm­en selber zu machen oder eine eigenständ­ige PC-Architektu­r zu entwickeln“, ergänzt Mayer.

In Amerika gebe es einen Star-Kult rund um die Selbermach­er. Hierzuland­e geht es mehr um das Gruppenerl­ebnis. „Früher hat man seine Werke im Keller versteckt, heute zeigt man sie gerne her und arbeitet miteinande­r.“Neid und Angst vor Patent-Klau sei den Makern fremd, ist Mayer überzeugt. „Geheimnisk­rämerei ist verpönt. Man profitiert von der Zusammenar­beit.“

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Gerhard Fleiß wollte die Physik des Segeln erklären und baute einen Tisch-Windkanal, inklusive Schifferl
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