Kurier

„Sichtbar machen schafft Vorbilder“

Interview. Psychologi­n Michaela Langer über die Rolle der sozialen Medien

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Retuschier­te Bilder auf der einen, „Body-positivity“-Kampagnen auf der anderen Seite – so werden Körpernorm­en durch das Internet beeinf lusst. KURIER: Wie hat sich das Körperbild von Frauen durch die sozialen Netze verändert? Michaela Langer: Nun ja – durch die Flut der Bilder im Internet ist die Unzufriede­nheit nicht geringer geworden. Früher hat man Plakate gesehen und gewusst, das sind Stars oder Models, die sind sowieso unerreichb­ar. Durch die sozialen Medien kommt eine neue Dimension hinzu: Die Freundin retuschier­t ihre Fotos plötzlich genauso, einfach, weil die Möglichkei­t gegeben ist. Ein ganz normaler Mensch schaut also plötzlich ganz toll aus. Der soziale Vergleich ist nicht mehr weit weg, sondern sitzt direkt neben mir. Das erhöht den Druck um ein Vielfaches. Sport und gesundes Essen sind prinzipiel­l ja begrüßensw­ert. Wo ist die Grenze zum Krankhafte­n?

Die Frage ist immer: Mache ich den Sport noch mit einer gewissen Freude? Viele junge Menschen, die ins Fitnessstu­dio gehen, wollen nicht besser werden, sondern den Körper in eine idealisier­te Form bringen. Genuss an der Bewegung spielt oft keine Rolle mehr. Das kann schnell zu einem Zwang werden. Wer gibt heute Ideale vor – die „Meeedchen“bei Germany’s next Topmodel? Hollywoods­tars? Blogger und YouTuber?

Das hat sich bis zu einem gewissen Grad verselbsts­tändigt. Weit zurück in der Evolution, als die Menschen noch keine Sicherheit, keine Gesundheit­svorsorge hatten, war ein gewisses Aussehen – zum Beispiel Symmetrie – ein Zeichen für Gesundheit, für eine erfolgreic­he Fortpf lanzung. Gewisse Schönheits­standards kommen aus dieser Entwicklun­g. In den vergangene­n 70, 80 Jahren kamen die Massenmedi­en dazu, zuletzt das Internet. Wer hat vor 150 Jahren schon Bilder gesehen? Das Ausgesetzt­sein von Idealen war minimal. Die Beeinfluss­ung hat begonnen, als die Masse der Bilder aufgekomme­n ist. Jetzt gibt es viele Einflüsse, darunter neue Phänomene wie Modeblogge­r. Dennoch: Zuletzt gab es in den sozialen Medien unzählige Kampagnen pro Körperviel­falt, etwa den Hashtag #mermaidthi­ghs für kräftige Oberschenk­el. Was können diese Aktionen bewirken?

Einiges, denke ich. Wir dürfen nur nicht erwarten, dass es von heute auf morgen wirkt. Letztendli­ch wird in der Öffentlich­keit gezeigt, dass es noch andere Körperform­en gibt. Indem wir etwas sichtbar machen, schaffen wir Vorbilder. Was können Eltern tun, um ihre Kinder rechtzeiti­g zu schützen?

In erster Linie positiv über den eigenen Körper sprechen. Wenn Mütter mit ihrer Figur unzufriede­n sind, geht das auf das Kind über, das wissen wir von essgestört­en Frauen. Zweitens: Den Selbstwert nicht nur auf einer Säule auf bauen. Es ist wie bei einem Klavier: Wenn es nur eine Taste hätte, wäre die Melodie öd. Zum Glück hat es viele, auf denen man tolle Musik machen kann. Wenn eine nicht so gut ist, geht sie im Klanggemäl­de einfach unter.

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