Ein Internet-Denkmal aus Licht
Erwin Wurm: „Das Mittelmeer ist eben nur in unser aller Köpfe“ Österreich-Pavillon. Brigitte Kowanz erweiterte das Gebäude zu einem Tempel der Technologie
Auch auf der Lkw-Plattform findet man eine Anweisung. Sie lautet: „Stillstehen und über das Mittelmeer schauen.“Aber man sieht es nicht. Wussten Sie das bereits bei der Konzeption?
Nein. Das fiel mir erst auf, als ich bei einer Besichtigung auf dem Dach des Pavillons stand. Aber der Zufall leitet einen eben. Man kann das Ergebnis akzeptieren – oder ablehnen. Ich habe es akzeptiert. Die Arbeit wird 2018 im Brooklyn Bridge Park gezeigt. Von dort sieht man sehr gut auf die Freiheitsstatue, aber das Mittelmeer sieht man natürlich nicht. Es ist eben nur in unser aller Köpfe. Wie viel hat Ihr Truck gekostet?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Der Unternehmer Sigi Wolf hat ihn bezahlt. Ich fragte ihn: „Was schulde ich dir?“Er sagte: „Nichts.“Ich sagte: „Darf ich dir zumindest eine Skulptur schenken?“Und er sagte: „Du weißt, ich sammle nicht.“Er hat den Truck also ohne echte Gegenleistung finanziert – inklusive Transport bis Mestre. Das nenne ich Mäzenatentum. Trotzdem waren die Kosten enorm – allein für den Transport von Mestre zum Pavillon. Das Budget für den ÖsterreichAuftritt ist eng bemessen. Steinle hat daher Sorgen, dass es – trotz hoher Sponsoring-Einnahmen – ein Defizit geben könnte, für das sie persönlich haftet.
Brigitte und ich haben daher je eine Edition aufgelegt; die Erlöse, 100.000 Euro, flossen in das Budget. Wir wollen natürlich nicht, dass Steinle irgendwelche Nachteile hat. Sie hat uns nominiert – dafür sind wir ihr sehr dankbar. Und auch ihrem Team. Es leistet Hervorragendes. Sie glauben ja nicht, wie kompliziert alles ist in Venedig! Es hat allein sechs Monate gebraucht, um die Genehmigung für den Truck zu bekommen. Ein Superstress! Ich bin sehr erleichtert, dass alles so funktioniert hat, wie ich es mir vorgestellt hatte. Viele Künstlerinnen und Künstler haben sich schon an der Architektur des österreichischen Pavillons in Venedig abgearbeitet, und selbst wenn sie vorgeben, dies nicht zu tun, tun sie es doch.
Das zweiflügelige Gebäude mit dem riesigen Portal dazwischen ist eben dazu angetan, den Blick und in Folge auch den Besucher zu verschlucken, der Bau ist darauf ausgelegt, Eindruck zu schinden. Beim Beitrag von Brigitte Kowanz, der völlig von Erwin Wurms Skulpturen abgekoppelt wirkt, entsteht der Eindruck eines Tempels: Beim Herannahen gibt das Portal den Blick auf ein durchaus geheimnisvolles Inneres frei, ein Heiligtum, fast wie die „Cella“eines römischen Tempels.
Monument
Tatsächlich ist es eine Art Monument, das den technischen Veränderungen unserer Zeit gilt; und anders als die bronzenen Denkmäler des Industriezeitalters besteht es im Kern aus Licht. Kowanz hat den Bau durch einen hölzernen Kubus des Architekten Hermann Eisenköck erweitern lassen, die darin präsentierten Arbeiten sind wiederum auf dessen Maße abgestimmt. Die Frontwand ist ganz von einem riesigen Lichtkasten eingenommen, 4,5 mal 9 Meter ist er groß; der Titel lautet „12.03.1989 06.08.1991“.
Die zwei Daten markieren Meilensteine in der Entwicklung des Internets: im März 1989 präsentierte Tim Berners-Lee das World Wide Web am Genfer CERN; im August 1991 ging die erste Website online, das Datum markiert also den Tag, an dem das Internet öffentlich nutzbar wurde. Die Daten sind in eine Abfolge aus Morsezeichen umcodiert, die wiederum die Grundlage für die frei geschwungene Neonröhre bilden. Drei weitere Arbeiten codieren auf ähnliche Art den 15.09.1997 (das Startdatum von Google), den 15.01.2001 (den „Geburtstag“von Wikipedia) und den 09.01.2007 (an dem Steve Jobs das iPhone vorstellte).
Für Kowanz ist die Installation in Venedig ein nächster Schritt in ihrer kontinuierlichen Arbeit: Nach Leuchtschriften und Morsecodes ist die Übertragung digitaler Information mit Glasfaserka- beln ein weiteres Kapitel des Themenfelds „Licht als Information“, das die Künstlerin seit langem in poetische Form zu übersetzen sucht.
Das Spiel mit halbverspiegeltem Glas, das sowohl den Betrachter in die Arbeit hineinholt als auch dem eingefangenen Licht eine endlose Echowirkung verleiht, reflektiert hier auch auf Kowanz’ frühere Arbeit zurück.
Die geschwungenen Neonröhren haben durchaus auch den Schwung einer Handschrift, zugleich ist die Thematik der digitalen Datenströme der Greif barkeit völlig entrückt: „Wie wird eine Welt nach der Schrift aussehen“, fragt daneben ein Wandtext von Peter Weibel.
Nein, Kowanz hat sich für diese Schau nicht neu erfunden – sie wiederholt sich aber auch nicht. Es ist ein hochkonzentrierter, stimmiger, atmosphärisch ansprechendes Ensemble, das sich nicht an sein Thema anbiedert, sondern sein ästhetisches Vokabular stolz zur Schau stellt. Was sich weiterhin nicht erschließt, ist die Kombination der beiden Positionen. Wurms Teil des Pavillon ist von den Lichtverhältnissen und der Atmosphäre völlig anders, Kowanz braucht seine Werke ebenso wenig wie er die ihren. So bleibt bei aller Überzeugungskraft der Werke der Nachgeschmack des typisch-österreichischen Kompromisses.