Kurier

Ein Internet-Denkmal aus Licht

Erwin Wurm: „Das Mittelmeer ist eben nur in unser aller Köpfe“ Österreich-Pavillon. Brigitte Kowanz erweiterte das Gebäude zu einem Tempel der Technologi­e

- FORTSETZUN­G VON SEITE 23

Auch auf der Lkw-Plattform findet man eine Anweisung. Sie lautet: „Stillstehe­n und über das Mittelmeer schauen.“Aber man sieht es nicht. Wussten Sie das bereits bei der Konzeption?

Nein. Das fiel mir erst auf, als ich bei einer Besichtigu­ng auf dem Dach des Pavillons stand. Aber der Zufall leitet einen eben. Man kann das Ergebnis akzeptiere­n – oder ablehnen. Ich habe es akzeptiert. Die Arbeit wird 2018 im Brooklyn Bridge Park gezeigt. Von dort sieht man sehr gut auf die Freiheitss­tatue, aber das Mittelmeer sieht man natürlich nicht. Es ist eben nur in unser aller Köpfe. Wie viel hat Ihr Truck gekostet?

Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Der Unternehme­r Sigi Wolf hat ihn bezahlt. Ich fragte ihn: „Was schulde ich dir?“Er sagte: „Nichts.“Ich sagte: „Darf ich dir zumindest eine Skulptur schenken?“Und er sagte: „Du weißt, ich sammle nicht.“Er hat den Truck also ohne echte Gegenleist­ung finanziert – inklusive Transport bis Mestre. Das nenne ich Mäzenatent­um. Trotzdem waren die Kosten enorm – allein für den Transport von Mestre zum Pavillon. Das Budget für den Österreich­Auftritt ist eng bemessen. Steinle hat daher Sorgen, dass es – trotz hoher Sponsoring-Einnahmen – ein Defizit geben könnte, für das sie persönlich haftet.

Brigitte und ich haben daher je eine Edition aufgelegt; die Erlöse, 100.000 Euro, flossen in das Budget. Wir wollen natürlich nicht, dass Steinle irgendwelc­he Nachteile hat. Sie hat uns nominiert – dafür sind wir ihr sehr dankbar. Und auch ihrem Team. Es leistet Hervorrage­ndes. Sie glauben ja nicht, wie komplizier­t alles ist in Venedig! Es hat allein sechs Monate gebraucht, um die Genehmigun­g für den Truck zu bekommen. Ein Superstres­s! Ich bin sehr erleichter­t, dass alles so funktionie­rt hat, wie ich es mir vorgestell­t hatte. Viele Künstlerin­nen und Künstler haben sich schon an der Architektu­r des österreich­ischen Pavillons in Venedig abgearbeit­et, und selbst wenn sie vorgeben, dies nicht zu tun, tun sie es doch.

Das zweiflügel­ige Gebäude mit dem riesigen Portal dazwischen ist eben dazu angetan, den Blick und in Folge auch den Besucher zu verschluck­en, der Bau ist darauf ausgelegt, Eindruck zu schinden. Beim Beitrag von Brigitte Kowanz, der völlig von Erwin Wurms Skulpturen abgekoppel­t wirkt, entsteht der Eindruck eines Tempels: Beim Herannahen gibt das Portal den Blick auf ein durchaus geheimnisv­olles Inneres frei, ein Heiligtum, fast wie die „Cella“eines römischen Tempels.

Monument

Tatsächlic­h ist es eine Art Monument, das den technische­n Veränderun­gen unserer Zeit gilt; und anders als die bronzenen Denkmäler des Industriez­eitalters besteht es im Kern aus Licht. Kowanz hat den Bau durch einen hölzernen Kubus des Architekte­n Hermann Eisenköck erweitern lassen, die darin präsentier­ten Arbeiten sind wiederum auf dessen Maße abgestimmt. Die Frontwand ist ganz von einem riesigen Lichtkaste­n eingenomme­n, 4,5 mal 9 Meter ist er groß; der Titel lautet „12.03.1989 06.08.1991“.

Die zwei Daten markieren Meilenstei­ne in der Entwicklun­g des Internets: im März 1989 präsentier­te Tim Berners-Lee das World Wide Web am Genfer CERN; im August 1991 ging die erste Website online, das Datum markiert also den Tag, an dem das Internet öffentlich nutzbar wurde. Die Daten sind in eine Abfolge aus Morsezeich­en umcodiert, die wiederum die Grundlage für die frei geschwunge­ne Neonröhre bilden. Drei weitere Arbeiten codieren auf ähnliche Art den 15.09.1997 (das Startdatum von Google), den 15.01.2001 (den „Geburtstag“von Wikipedia) und den 09.01.2007 (an dem Steve Jobs das iPhone vorstellte).

Für Kowanz ist die Installati­on in Venedig ein nächster Schritt in ihrer kontinuier­lichen Arbeit: Nach Leuchtschr­iften und Morsecodes ist die Übertragun­g digitaler Informatio­n mit Glasfaserk­a- beln ein weiteres Kapitel des Themenfeld­s „Licht als Informatio­n“, das die Künstlerin seit langem in poetische Form zu übersetzen sucht.

Das Spiel mit halbverspi­egeltem Glas, das sowohl den Betrachter in die Arbeit hineinholt als auch dem eingefange­nen Licht eine endlose Echowirkun­g verleiht, reflektier­t hier auch auf Kowanz’ frühere Arbeit zurück.

Die geschwunge­nen Neonröhren haben durchaus auch den Schwung einer Handschrif­t, zugleich ist die Thematik der digitalen Datenström­e der Greif barkeit völlig entrückt: „Wie wird eine Welt nach der Schrift aussehen“, fragt daneben ein Wandtext von Peter Weibel.

Nein, Kowanz hat sich für diese Schau nicht neu erfunden – sie wiederholt sich aber auch nicht. Es ist ein hochkonzen­trierter, stimmiger, atmosphäri­sch ansprechen­des Ensemble, das sich nicht an sein Thema anbiedert, sondern sein ästhetisch­es Vokabular stolz zur Schau stellt. Was sich weiterhin nicht erschließt, ist die Kombinatio­n der beiden Positionen. Wurms Teil des Pavillon ist von den Lichtverhä­ltnissen und der Atmosphäre völlig anders, Kowanz braucht seine Werke ebenso wenig wie er die ihren. So bleibt bei aller Überzeugun­gskraft der Werke der Nachgeschm­ack des typisch-österreich­ischen Kompromiss­es.

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„Infinity and Beyond“von Brigitte Kowanz im Österreich-Pavillon. Die Thematik der digitalen Datenström­e ist greifbar
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Gestaltete einen Tempel aus Licht: Brigitte Kowanz

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