Kurier

AUFG’STELLT IS’!

Erwin Wurm über seine spektakulä­ren Skulpturen für den österreich­ischen Pavillon

- VON FORTSETZUN­G AUF SEITE 24

Erwin Wurm sorgt für einen Eyecatcher bei der Biennale: Unmittelba­r vor dem österreich­ischen Pavillon ragt ein Laster, mit der Fahrerkabi­ne auf einem Podest stehend, zehn Meter in die Höhe. Der Bildhauer, 1954 in Bruck geboren, hat ihn zum Aussichtst­urm umfunktion­iert. Dem Besucher erteilt Wurm den Auftrag: „Stillstehe­n und über das Mittelmeer schauen.“Was nicht ganz einfach ist, da die Bäume rundum den Seeblick verunmögli­chen.

Im Inneren des Pavillons stößt man auf einen Caravan aus den 70er-Jahren und, im Raum verstreut, dazu passende Objekte wie Tischchen und Campingtoi­lette, gegossen aus Aluminium. Wer genau schaut, wird viele aufgezeich­nete Handlungsa­nweisungen für absurde Posen entdecken. Man soll zum Beispiel aus einem Loch im Caravan den Arm rausstreck­en: „Touch the world!“ KURIER: Biennale-Kommissäri­n Christa Steinle nominierte Brigitte Kowanz und Sie, was zu einem Zwist geführt haben soll. Erwin Wurm: Von meiner Seite aus gab es keinen. Ich bin mit Brigitte seit Jahrzehnte­n befreundet, wir waren lange Zeit gemeinsam an der Angewandte­n. Ehrlich: Ich freue mich, dass wir Österreich vertreten. Aber ich wusste, dass ich neue „One Minute Sculptures“entwickeln will. Und das geht nicht in Kombinatio­n. Denn entweder baue ich Podeste, um die Besucher als Skulptur zu erhöhen, oder ich mache, wie schon öfter und wie jetzt in Venedig, den ganzen Raum zum Podest. Diese Räume sind minimalist­isch und streng angelegt, sie brauchen absolute Konzentrat­ion und Ernsthafti­gkeit. Der Pavillon hat daher einen weißen Boden, die Besucher gehen hinein – und steigen quasi aufs Podest. Sie machen damit jeden Besucher zum Komplizen?

„Komplize“ist das falsche Wort. Ich lade alle ein, meinen gezeichnet­en Anweisunge­n zu folgen und die Skulpturen zu realisiere­n. Es bleibt den Menschen aber freigestel­lt, ob sie aktiv werden wollen – oder ob sie sich die Skulpturen lieber nur vorstellen. Allerdings bringt die Entscheidu­ng, die Einladung anzunehmen, eine sehr interessan­te Verschiebu­ng mit sich. Die Betrachter sind nicht mehr passive Beobachter, sondern werden zu aktiven Beobachtet­en. Den Wohnwagen ergänzen Sie um einen auf der Fahrerkabi­ne stehenden Lastwagen, der zehn Meter in die Höhe ragt. Soll er wie ein Magnet anziehen?

Ich wollte ein Zeichen setzen, das mit der Arbeit im Pavillon korrespond­iert. Mich interessie­rt dabei der Begriff Mobilität in seinen positiven wie negativen Auswirkung­en. Mein erstes Auto war im Jahr 2000 das „Fat Car“. Es gab auch schon 2005 eine Arbeit mit einem Truck. Ich sehe die Skulptur als konsequent­e Fortführun­g meiner Ideen. Sie wurde von GUZ in Nischni Nowgorod gebaut – inklusive all der Metallvers­trebungen und der Treppe im Inneren. Sehr aufwendig! Denn die Italiener haben unglaublic­he Sicherheit­sbestimmun­gen, die wir einhalten mussten. Der Lkw wirkt so, als könnte er jeden Moment umfallen ...

Keine Sorge, er steht sehr stabil da! Er ist ja jetzt ein Aussichtst­urm. Aber er ist nicht gerade für einen Besucheran­sturm konzipiert.

Es dürfen sich maximal fünf Besucher gleichzeit­ig im Truck befinden. Es wird sich also eine Schlange bilden, was die Sache noch interessan­ter macht und als Taktik angesehen werden könnte.

Das war nicht Absicht, sondern ergab sich aus der Tatsache, dass die Plattform wegen der baupolizei­lichen Einschränk­ungen nur sehr klein ist. Der limitierte Zugang wurde uns verordnet. Es gibt aber auch eine Zugangsbes­chränkung für den Pavillon.

Für die Eröffnung haben sich Tausende Besucher angemeldet. Daher haben wir uns entschloss­en, den Zugang zu regeln – wie es in allen Museen der Welt üblich ist. Ich möchte zwar, dass jeder Besucher mitmachen kann, aber die fragilen Objekte sollen doch nicht gleich in den ersten Tagen kaputt gehen. Auch Brigitte will nicht, dass ihre Lichtinsta­llation überrannt wird. Wir haben ja, glaube ich, eine für beide Sei- ten gute Lösung gefunden. Brigitte hat nun einen eigenen, tollen, hohen Raum, perfekt gemacht von Architekt Hermann Eisenköck. Kurz vor Weihnachte­n steuerte ein islamistis­cher Attentäter einen Sattelzug in Berlin in eine Menschenme­nge, es starben zwölf Menschen. Ist dieser Konnex nicht problemati­sch?

Nach dem Terroransc­hlag fragte ich mich schon, ob ich die Arbeit noch realisiere­n darf. Aber da so gut wie alle Transportm­ittel zum Morden missbrauch­t werden können, etwa Flugzeuge und Boote, schwanden meine Bedenken wieder. Natürlich denkt man auch an die 71 Flüchtling­e, die 2015 in einem Kühllastwa­gen starben. Das ist eine furchtbare Tragödie. Sie war für mich ein Grund, über Migration nachzudenk­en. Mit welchem Ergebnis?

Migrations­bewegungen hat es zu allen Zeiten der Menschheit gegeben. Der Homo sapiens hat von Afrika aus die Welt erwandert und erobert. Migration ist Teil unserer Welt, wir alle sind ein Gemisch aus verschiede­nsten Einflüssen und Kulturen. Migration ist daher nicht von vornherein abzulehnen. Es geht nur darum, damit richtig umzugehen. Das gilt auch für den Truck: Prinzipiel­l ist er ein neutrales Vehikel. Meine Arbeit ist zudem ein Statement zum Massentour­ismus. Denn mit dem Wohnwagen nimmt man sich die Heimat in die Fremde mit. Man integriert sich nicht, bleibt in seinem Schneckenh­aus. Mich hat der Wohnwagen daher schon immer interessie­rt. Ich habe dem Caravan den Untertitel „Narrenschi­ff “gegeben. Da denkt man an die Moralsatir­e von Sebastian Brant, an das Bild von Hieronymus Bosch, an den verfilmten Roman von Katherine Anne Porter. Es geht um das Reisen, den Wahnsinn – und auch darum, dass man Menschen ausschließ­en will, weil man, aus welchen Gründen auch immer, Angst vor ihnen hat. Im Gegensatz zum Lkw haben Sie aber keinen modernen Camper verwendet, sondern einen Wohnwagen aus den 1970erJahr­en – noch mit einer alten schwarzen Nummerntaf­el.

Ich wollte ein Relikt aus der Zeit, als der Massentour­ismus einsetzte. Auch ich bin mit meinen Eltern an die Adria, nach Caorle, gefahren – durch das Kanaltal. In der Kolonne hinter den Deutschen und Niederländ­ern mit ihren Wohnwagen. Mühsam! Auf der Rückfahrt sind wir immer in Tarvis stehengebl­ieben, haben eingekauft – und die Sachen dann nach Österreich geschmugge­lt. Obwohl Ihr Vater Polizist war?

Ja, in seinem Skoda. Aber hat das damals nicht jeder gemacht? Ich hätte ja am liebsten einen Caravan aus den 60ern gehabt. War leider nicht möglich. Wir haben zumindest einen aus den 1970ern gefunden – inklusive Originalau­sstattung. Die Wände wurden natürlich aufgedoppe­lt, damit man sich drinnen aufführen, also die von mir vorgeschla­genen Haltungen einnehmen kann.

 ??  ?? Spektakel. Am Dienstag öffnete die Biennale Venedig die Pforten für das Fachpublik­um. Erwin Wurm, der den österreich­ischen Pavillon zusammen mit Brigitte Kowanz bespielt, stellte einen Lkw auf die Motorhaube – und machte ihn zum Aussichtst­urm.
Spektakel. Am Dienstag öffnete die Biennale Venedig die Pforten für das Fachpublik­um. Erwin Wurm, der den österreich­ischen Pavillon zusammen mit Brigitte Kowanz bespielt, stellte einen Lkw auf die Motorhaube – und machte ihn zum Aussichtst­urm.
 ??  ?? „Stillstehe­n und über das Mittelmeer schauen“: Erwin Wurm stellt einen Laster auf ein Podest – und verwandelt ihn in einen Aussichtst­urm
„Stillstehe­n und über das Mittelmeer schauen“: Erwin Wurm stellt einen Laster auf ein Podest – und verwandelt ihn in einen Aussichtst­urm
 ??  ?? „Narrenschi­ff“: Erwin Wurm lädt die Besucher ein, „One Minute Sculptures“zu realisiere­n
„Narrenschi­ff“: Erwin Wurm lädt die Besucher ein, „One Minute Sculptures“zu realisiere­n
 ??  ?? Mut zur Größe: Erwin Wurm
Mut zur Größe: Erwin Wurm
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