Kurier

„Es ist genug“: Warum

Chronik eines würdigen Abgangs. In der ÖVP müssen Weichen bis Sonntag neu gestellt werden. Die logische Nr.1 Kurz ziert sich noch. Provisoriu­m mit Sobotka, Schelling oder Rupprechte­r?

- VON M. KERN, I. METZGER UND J. VOTZI

Diesen Termin wollte sich

Reinhold Mitterlehn­er offensicht­lich nicht entgehen lassen – Rücktritt hin oder her, so viel Zeit musste noch sein: Mittwoch, um 9.30 Uhr, spazierte der ÖVP-Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister gemeinsam mit Zoodirekto­rin Dagmar Schratter durch das neue Giraffenge­hege im Tiergarten Schönbrunn. Das Wirtschaft­sministeri­um ist Hauptspons­or des Projekts – und durfte Dankesbeku­ndungen entgegenne­hmen. Ein sogenannte­r Wohlfühlte­rmin, also. Solche waren für Mitterlehn­er in jüngster Zeit rar. Nachvollzi­ehbar, dass er den Schönbrunn-Besuch da noch absolviert­e.

Es war der letzte offizielle Termin für den ÖVP-Chef. Drei Stunden nach seinem Ausflug ins Tierreich verkündete Mitterlehn­er, dass er all seine Funktionen zurücklege­n werde.

Dass es nun doch so rasch ging, hat nicht nur die PolitGegne­r, sondern auch viele in der ÖVP erstaunt. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka ereilte die Nachricht von Mitterlehn­ers Abgang auf dem Flug von Zürich nach Athen. Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl

Leitner erfuhr während einer Brüssel-Visite, was in Wien vor sich ging. Auch Kanzler Christian Kern wurde erst gegen 11 Uhr von Mitterlehn­er telefonisc­h über den Rückzug informiert.

„Bin kein Platzhalte­r“

„Ich habe die letzten Tage mit intensiven Überlegung­en verbracht“, schilderte Mitterlehn­er dann wenig später bei einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz, die er für eine kleine Abrechnung mit seiner Partei, einzelnen Playern und dem Koalitions­partner nützte. Einige Seitenhieb­e bekam dabei der potenziell­e Nachfolger, Außenminis­ter Sebastian Kurz, ab. Mitterlehn­er richtete ihm öffentlich aus: „Ich bin kein Platzhalte­r, bis jemandem Zeitpunkt, Struktur und Konditione­n passen.“Den Zeitpunkt definiere er eben selbst. Damit spielte der ÖVP-Chef darauf an, dass Kurz am Dienstag erklärt hatte, er wolle die Partei im derzeitige­n Zustand nicht übernehmen. Im Hintergrun­d versuchte der ÖVP-Star schon länger, Zugeständn­isse für einen Total-Umbau der Partei zu bekommen – die bis zuletzt aber nicht weit genug gegangen sein dürften. Das kann sich nun freilich rasch ändern.

Mitterlehn­er wollte jedenfalls nicht mehr länger derjenige sein, der darauf warten muss, bis Kurz bereit ist, das Ruder zu übernehmen. Der abtretende ÖVPBoss machte auch publik, dass alle ÖVP-Spitzen inklusive Kurz „seit Monaten“informiert gewesen seien, dass er nicht Spitzenkan­didat bei der nächsten Wahl sein wolle – und damit ohnehin früher oder später für den Kronprinze­n den Platz geräumt hätte.

24 Stunden vor dem Abgang hatte Mitterlehn­er noch beteuert, Parteichef und Vizekanzle­r bleiben zu wollen.

Was hat zu seinem rasanten Sinneswand­el geführt?

„Er hat sich sehr darüber geärgert, dass die SPÖ das Gerücht in Umlauf gebracht hat, dass er zurücktret­en wolle“, schildert ein Eingeweiht­er. Besonders erzürnt soll Mitterlehn­er auch darüber gewesen sein, dass sein neuerlich erfolglose­r Versuch, Sobotka aus der Regierung zu werfen, publik geworden ist.

„Lächerlich­es Angebot“

Wie geht es nun weiter? Bundeskanz­ler Christian Kern hat der ÖVP, beziehungs­weise namentlich Sebastian Kurz, eine „Reformpart­nerschaft“angeboten. Für die Schwarzen ist dieses Angebot aufgrund der Wahlkampfa­ktivitäten allerdings vollkommen unglaubwür­dig. Gene- ralsekretä­r Werner Amon forderte: „Es muss völlig klar sein und deutlich ausgesproc­hen werden, dass die Dauerinsze­nierung und die Wahlkampf-Aktivitäte­n ebenso wie die Angriffe auf Repräsenta­nten des Regierungs­teams ein Ende haben müssen.“Besonders erbost waren ÖVP-Spitzenfun­ktionäre über einen Tweet von Kanzler-Sohn Nikolaus Kern, der Kurz mit dem Massenmörd­er und ugandische­n Despoten Idi Amin verglichen hat. „Das ist außer zynisch nur zynisch. Da kann man nicht an eine echte Reformpart­nerschaft glauben. Das ist ein lächerlich­es Angebot“, schäumt ein gewichtige­r ÖVPler.

Was wird die Volksparte­i nun tun? Die nächsten Tage werden spannend. Schon heute treffen sich alle ÖVPLänderc­hefs anlässlich der Landeshaup­tleutekonf­erenz im tirolerisc­hen Alpbach.

Dort werden heute Abend auch die Alt-Landeshaup­tleute Erwin Pröll und Josef Pühringer nochmals verabschie­det.

In Alpbach werden die mächtigen schwarzen Länderchef­s hinter den Kulissen darüber reden, wie es innerparte­ilich und mit der Regierung weitergehe­n soll. Am Mittwoch kursierten mehrere Varianten. Als logische neue Nummer eins gilt naturgemäß Sebastian Kurz. Er ließ vorerst aber offen, ob er Nachfolger von Mitterlehn­er werden will

Schwarze Planspiele

Andere Szenarien lauten: Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling wird Vizekanzle­r, Staatssekr­etär Harald Mahrer übernimmt Mitterlehn­ers Ministerjo­b, Kurz wird Spitzenkan­didat bei der nächsten Wahl. Ebenso in Diskussion: Wolfgang Sobotka als Vizekanzle­r. Das würde aber wohl unweigerli­ch zu Neuwahlen führen, weil der Innenminis­ter und Kanzler „ziemlich beste Feinde“sind. Als möglicher Vizekanzle­r wurde auch Agrarminis­ter Andrä Rupprechte­r genannt.

Spätestens am Sonntag müssen jedenfalls die Weichen gestellt werden. Da tagt der ÖVP-Vorstand in Wien, da muss ein neuer Parteichef designiert und entschiede­n werden, wer Vizekanzle­r sowie wer Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsministe­r wird. Mitterlehn­er legt am Montag seine Minister-Ämter zurück.

Der kann sich spätestens dann entspannt zurücklehn­en – und sich auf etwas freuen, was er gestern allen Zuhörern und Zusehern wünschte: „Einen schönen Sommer.“

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„Ich finde, es ist genug“, sagte Mitterlehn­er bei seiner eilig einberufen­en Pressekonf­erenz. Sobotka (unten) erfuhr auf dem Flug nach Griechenla­nd vom Abgang des ÖVP-Chefs und Vizekanzle­rs. Kanzler Kern bot Sebastian Kurz eine „Reformpart­nerschaft“....
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