Kurier

Kurz darf sich nicht mehr lange zieren

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Seine einzige Chance, nicht wie Mitterlehn­er zu enden: Sofortige Übernahme der Partei und sofort Neuwahlen. Die Stunde der Wahrheit schlägt oft am Schluss. „Mitterlehn­er war seit der verpfuscht­en Präsidents­chaftskand­idatur angeschlag­en“, resümierte gestern ein ÖVP-Grande offenherzi­g wie nie im Gespräch mit dem Autor: „Endgültig als Parteichef nicht mehr ernst genommen wurde er, als er sich drei Wochen vor der Hof burgwahl Wolfgang Sobotka als Innenminis­ter reindrücke­n ließ.“Es ist bald eineinhalb Jahre her, dass Andreas Khol in letzter Minute für Erwin Pröll einsprang. In den Traditions­parteien gehen die Uhren verdammt langsam. Kein Wunder, dass ihre Zeit rasend zu Ende geht.

Auch Reinhold Mitterlehn­er nutzte seinen Abgang, um eine paar subjektive Wahrheiten zu deponieren: Eine letzte Abrechnung mit den Medien und einige indirekte, aber deutliche Seitenhieb­e für seinen einzigen ernsthafte­n Nachfolger, Sebastian Kurz

Als Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsministe­r machte Mitterlehn­er unspektaku­lär, aber sachbezoge­n einen guten Job. Auch als ÖVP-Chef setzte er auf seine gelernte Sozialpart­nerrolle als „Mann des Ausgleichs“. Für den Herkulesjo­b, die widerstreb­enden Kräfte in Partei und Regierung unter einen Hut zu kriegen, hatte die Politik der alten Schule nicht mehr gereicht. Nach dem neuerlich gescheiter­ten Versuch, den widerborst­igen VP-Innenminis­ter zu feuern, blieb nur ein Abgang in Würde.

Stimmung schon einmal erfolgreic­h gedreht

Wer in dieser Lage die Geschäfte in ÖVP und Regierung übernimmt, muss ein Masochist sein – oder er hat einen Plan. Sebastian Kurz hat als Integratio­ns- und Außenminis­ter bewiesen, dass er in der Lage ist, Konfliktfe­lder zu antizipier­en und Stimmungen erfolgreic­h zu drehen: Vom Bruch des blauen Monopols in der Ausländerp­olitik bis zur Vorreiterr­olle beim Schließen der Balkanrout­e.

Kaum zu glauben: Die ÖVP ist bisweilen ein noch mühsameres Geschäft als Integratio­ns- und Flüchtling­spolitik. Noch ziert sich Kurz, Ja zu sagen. Sein flapsiges „In diesem Zustand übernehme ich die Partei nicht“wird und kann Teil eines taktischen Spiels sein, um den ÖVP-Länderfürs­ten und Bünde-Chefs eine Generalvol­lmacht bei Politik und Personal abzutrotze­n. Noch murren einige: Dass sie „nur mehr kuschen“, werde es nicht spielen.

Gestern machten so wilde Spekulatio­nen über Provisorie­n von Sobotka über Rupprechte­r bis zu Schelling als Übergangs-Parteichef­s und/oder Vizekanzle­r die Runde. Das wäre der Anfang der Kurz-Dämmerung, auf die Parteigegn­er, aber auch schon mancher Parteifreu­nd hoffen.

Kurz’ einzige Chance, nicht wie Mitterlehn­er zu enden, ist, die Partei sofort mit klaren Durchgriff­srechten zu übernehmen. Spektakulä­r und plausibel wäre, wenn Kurz danach die Courage für einen totalen Durchstart hat.

Motto: Weder Christian Kern noch er haben als künftiges Regierungs­duo ein Mandat vom Wähler. Daher: Neuwahlen jetzt – und danach ein echter Neuanfang in welcher Konstellat­ion auch immer. Mit einem klaren neuen Auftrag jener, von denen dieser Tage nur selten die Rede ist: dem einzigen Souverän im Land, uns Wählern.

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