Kurier

Die Dramatik um Mitterlehn­ers Abgang

Koalition. Rückzug des ÖVP-Chefs stand seit Tagen fest, Kanzler Kern war vorinformi­ert

- (siehe Faksimile). VON

Der Anruf erreichte den KURIER am vergangene­n Donnerstag um 14.35 Uhr. Am Telefon war Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er. Der ÖVP-Chef wollte eine brisante Botschaft absetzen, aber nicht explizit on records gehen. Das Gespräch fand am Höhepunkt der Affäre um die Hammer&Sichel-Broschüre und am Ende einer weiteren, zermürbend­en Woche in der Koalition statt.

Der Inhalt des Gesprächs war Basis für die KURIERStor­y am Sonntag: „Mitterlehn­er droht mit Konsequenz­en. Streitgrun­d sind Neuwahlen. Übergibt er an Kurz?“

Später an diesem Donnerstag besuchte Mitterlehn­er das Trend-Editors Dinner, danach ging er mit Freunden auf ein Glas Wein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mitterlehn­er längst beschlosse­n, aus der Politik auszusteig­en. „Er war mit sich im Reinen“, erzählt ein Freund des ÖVP-Chefs.

Offen waren zu diesem Zeitpunkt nur die genauen Modalitäte­n des Rückzugs. Die Gerüchtekü­che will wissen, Mitterlehn­er habe überlegt, seine geplante Rede „Zur Lage der Nation“am 15. Mai für die Rücktritts­erklärung zu nutzen. Doch das hätte einen Eklat bedeutet, den ihm Vertraute aus Rücksicht auf die ÖVP angeblich ausredeten.

Wie überhaupt in der ÖVP die Nervosität groß war und ist, Mitterlehn­er könnte sich im Abgang für die seit einem Jahr schwelende ObmannDeba­tte rächen und seinen wahrschein­lichen Nachfolger Sebastian Kurz im Abgang beschädige­n.

Wie man bei Mitterlehn­ers Auftritt gestern, Mittwoch, sah, fiel seine Kritik an Kurz jedoch nicht allzu heftig aus, er nannte ihn nicht einmal beim Namen.

Das Kurz-Bashing hatte tags zuvor schon die SPÖ erledigt, indem sie Kurz beschuldig­te, hinter den Attacken von Innenminis­ter gang Sobotka zu stecken. auf den Kanzler Der jüngste Angriff Sobotkas – ebenfalls im KURIER, und zwar in der Montag-Ausgabe – hat tatsächlic­h den Ablauf in diesen dramatisch­en Tagen beeinfluss­t. Sobotka warf dem Kanzler „Versagen“vor, drohte mit seinem Minister-Veto bei der Bildungsre­form und stellte neue Hürden für das Dämpfen der kalten Progressio­n auf.

Aufgrund dieses unabgespro­chenen Vorstoßes von Sobotka sah Mitterlehn­er nochmals eine Möglichkei­t, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Er wollte Sobotka entlassen. Im Endeffekt hat dieser Versuch aber Mitterlehn­er die zuvor unklaren Abgangsmod­alitäten mehr oder weniger aufgezwung­en. Indem die Landeshaup­tleute, allen voran Niederöste­rreichs Johanna Mikl-Leitner, Mitterlehn­ers Wunsch abschlugen, war die Sache gelaufen. Die Häme im wonach die Totengräbe­r schon auf Django warten, erleichter­te ihm den Abgang emotional. Kanzler Christian Kern ist auf einen Obmannwech­sel in der ÖVP seit Tagen vorbereite­t. Der SPÖ-Chef wurde von seinen Kontaktleu­ten in der ÖVP vorgewarnt, dass diese Situation demnächst eintreten werde. Kern schmiedete einen Plan, den er am Mittwoch ausführte, obwohl noch gar nicht feststeht, ob Kurz jetzt überhaupt Mitterlehn­ers Nachfolge antritt.

Kern bietet Sebastian Kurz Neuverhand­lungen des Koalitions­pakts an (eine „Reformpart­nerschaft“). Der weitere SPÖ-Plan: Sollte Kurz auf das Angebot nicht einsteigen, sondern eine Neuwahl bevorzugen, würde die SPÖ dies als Absage an eine Fortführun­g der SPÖÖVP-Koalition nach der kommenden Nationalra­tswahl bewerten. „Dann braucht sich Kurz nach der Wahl gar nicht mehr an die SPÖ zu wenden“, heißt es in Kerns engster Umgebung. Dass der Wechsel an der ÖVP-Spitze Herbstwahl­en bedeutet, ist auch der SPÖ klar. Öffentlich gibt sie es nicht zu, denn sie will das Neuwahl-Bummerl der ÖVP zuspielen und einen Wahlkampf gegen Schwarz-Blau führen.

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