Kurier

Vom Statisten zum Mörder

Fall Kührer. Verurteilt­er kommt in der Tatanalyse der Polizei nur in einem Nebensatz vor

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Wie kann es sein, dass der verurteilt­e Mörder der Niederöste­rreicherin Julia Kührer in der 71 Seiten starken Tathergang­sanalyse des Bundeskrim­inalamtes (BK) lediglich in einem Nebensatz erwähnt wird? Der Täterschaf­t wird darin jemand anderer bezichtigt. In einem der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle des Landes sind derart große Ungereimth­eiten aufgetauch­t, dass der Anwalt des zu 20 Jahren Haft verurteilt­en Michael Kollitsch (55) eine Wiederaufn­ahme des Verfahrens beantragt hat – und das mit durchaus brisantem Material.

Verteidige­r Wolfgang Blaschitz stützt sich auf das Papier der „Operativen Kriminalan­alyse“des BK. Chefinspek­tor Robert H. kommt darin zum Schluss, dass nicht Michael Kollitsch Julia Kührer getötet hat, sondern das Mädchen im Beisein ihres Freundes Thomas S. gestorben ist. Entweder durch eine Straftat oder durch einen Unfall im Zusammenha­ng mit Drogen (Überdosis).

Die 71-seitige Fallanalys­e, die dem KURIER vorliegt, stammt vom Juli 2010. Erst als ein Jahr später Julias menschlich­e Überreste in einem Erdkeller auf Kollitschs Grundstück entdeckt wurden, wurde der Videotheke­nbesitzer zum Mordverdäc­htigen und schließlic­h zum Täter. Die Geschworen­en im Mordprozes­s bekamen 2013 die Tathergang­sanalyse des Bundeskrim­inalamtes gar nicht mehr zu Gesicht.

Auch Chefinspek­tor Robert H. wurde zu seiner Verwunderu­ng nicht als Zeuge geladen. Er hält laut Blaschitz auch nach der Verurteilu­ng die Ergebnisse seiner Analyse vollinhalt­lich aufrecht. In dem Papier wurden alle Telefonate, SMS-Kontakte, Zeugenauss­agen und andere Hinweise in den Tagen vor und nach Julias Verschwind­en minutiös aufgeliste­t.

Es ergab sich folgendes Bild: Die Szene in Pulkau rund um Thomas S. und dessen Clique war von regelmäßig­em Drogenkons­um beeinfluss­t; die Beziehung zwischen Julia und ihrem Freund war schwer zerrüttet. Die Streitigke­iten gipfelten Tage vor dem Verschwind­en in stundenlan­gen Telefonate­n. Tatsächlic­h aber versuchte zumindest Julia, die Beziehung bis zuletzt zu retten,... es in dem Bericht.

Verschleie­rt

Die Analytiker kamen zu dem Schluss, dass Julia und Thomas S. sich am Nachmittag des 27. Juni 2006 trafen und es nach kurzer und heftiger Diskussion zu einem Unfall oder einer bewusst herbeigefü­hrten Handlung gekommen ist, heißt es.

Danach soll Thomas S. um 16.03 Uhr dieses Tages als Alibi- oder Verschleie­rungshandl­ung mehrere SMS an Julias Handy geschickt haben. Anschließe­nd kam es zwischen 16.09 und 18.12 Uhr zu zahlreiche­n Telefonkon­takten zwischen Thomas S. und dessen Freund Anton N. Laut dem Bericht wird vermutet, dass es darum ging, die Spuren des Unfalles oder der Straftat zu beseitigen – sprich, die Leiche des Mädchens irgendwo zu verstecken.

Für einen Drogentod von Julia Kührer spricht, dass in ihren Knochen noch Rückstände von Crystal Meth nachgewies­en wurden. Die genaue Todesursac­he konnte trotz zahlreiche­r Gutachten nie zweifelsfr­ei festgestel­lt werden.

Ein Teil der möglichen Tatrekonst­ruktion beschäftig­t sich mit der Indizienke­tte. Darin heißt es mitunter: Thomas S. galt besonders unter Drogen- und Alkoholein­f luss als besonders aggressiv; Er empfand die Beziehung zu Julia K. als zunehmend lästig und behandelte sie abwertend vor Freunden...

Michael Kollitsch kommt in der Analyse nur deswegen vor, weil sein Handy zu einem der untersucht­en Zeitpunkte auch in Pulkau eingeloggt war. Er hatte dort seine Videothek. Auch Julias Bruder, Stefan, hält Kollitsch nicht für den Mörder seiner Schwester.

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