Kurier

„Patienten auch in die Augen schauen“

Präzisions­medizin. Ärzten stehen, etwa für die Krebsthera­pie, immer mehr genetische Daten zur Verfügung

- VON mich.at www.medizinfue­r-

Eine Medizin, die auf den einzelnen Patienten abgestimmt – davon ist derzeit viel die Rede: „Diese Entwicklun­g hat 1901 begonnen – da hat Karl Landsteine­r die Blutgruppe­n entdeckt. Das war der eigentlich­e Start der personalis­ierten Medizin“, sagt der Onkologe Hellmut Samonigg, Rektor der MedUni Graz. So wie man damals Unterschei­dungsmerkm­ale im Blut entdeckte, kennt man heute mehr und mehr (genetische) Merkmale, die z. B. Krebszelle­n voneinande­r unterschei­den – was eine Auswirkung auf die Therapie hat.

Trotzdem werde heute statt dem Begriff „personali- sierte Medizin“eher „Präzisions­medizin“verwendet – weil zwar die Medizin immer präziser werde, aber dennoch nicht jeder einzelne eine individuel­le Therapie erhält. Das betont auch Michael Gnant, Leiter der Uni-Klinik für Chirurgie von MedUni Wien und AKHWien: „Bei vie- len Krebserkra­nkungen können wir Untergrupp­en identifizi­eren und danach die Therapie ausrichten. Aber das ist noch nicht auf Einzelpers­onen maßgeschne­idert.“

Gnant betont auch, dass es wichtig sei, „transparen­t und fair und realistisc­h zu sagen, wo wir auf diesem Weg sind“. Denn auf der einen Seite gebe es in den Medien immer wieder Erfolgsmel­dungen wie „Durchbruch“,oder „spektakulä­res Ergebnis“, auf der anderen Seite sei es dann schwierig zu vermitteln, dass neue Therapien nicht bei jedem Patienten gleich gut wirken.

„Es gibt diese Durchbrüch­e in bestimmten Bereichen – beim Melanom etwa, da ist ein wesentlich­er Sprung nach vorne gelungen, das war vor 10, 15 Jahren nur ein Desaster“, betont Samonigg. „Bei bestimmten Krebserkra­nkungen wie dem Blasenkreb­s können wir erstmals etwas anbieten“, so Gnant: „Beim Brustkrebs wiederum können wir heute acht von zehn Patientinn­en heilen. Und bei den anderen beträgt die durchschni­ttliche Überlebens­zeit heute nicht zwei, sondern sechs bis sieben, teilweise auch zehn Jahre.“

Gesamtheit sehen

Die zunehmende­n Informatio­nen über die Charakteri­stik von Tumoren dürften aber nicht dazu führen, dass man den Menschen in seiner Gesamtheit aus dem Auge verliert, betont Samonigg: „Die Gefahr ist gegeben. Aber wir behandeln den Menschen, nicht die Erkrankung.“Gnant: „Wir müssen den Studenten sagen: ,Schaut nicht nur auf die genetische­n Daten – sondern schaut den Menschen auch in die Augen.‘ Aber das ist kein Entwe- der/Oder. Es darf nicht das eine, die Empathie, verloren gehen, wenn wir das andere, die Daten, besser verstehen. Darauf müssen wir achten.“

Zumal viele Patienten von der Präzisions­medizin heute schon auch dadurch profitiere­n, dass sie Therapien, die bei ihnen nicht wirksam sind, gar nicht erst erhalten, so Samonigg. Die Pharmafirm­a Roche will auf der neuen Plattform

allgemein verständli­che Informatio­nen zu den neuen Entwicklun­gen in der Medizin vermitteln. – Bioinforma­tiker Ivo Hofacker, Uni Wien: „Die personalis­ierte Medizin bricht nicht von heute auf morgen über uns herein. Sie fängt gerade erst an.“

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