Kurier

Die Bastel-Biennale von Venedig Kunst.

Die Hauptausst­ellung „Viva Arte Viva“negiert die Gegenwart und propagiert ein naives Künstlerid­eal

- AUS VENEDIG 26.11.) (bis MICHAEL HUBER

Was tun Künstler eigentlich den ganzen Tag? Ein Klischee sagt: Sie hängen herum. Diese Vorstellun­g wird am Eingang des Zentralpav­illons der Venedig-Biennale, wo das erste Kapitel der Hauptausst­ellung „Viva Arte Viva“anhebt, bekräftigt – Fotos des dösenden Mladen Stilinović, genannt „Der Künstler bei der Arbeit“, hängen da unübersehb­ar. Gleich ums Eck belehrt dann Franz West, dass es bei der Kunst nicht ums Faulenzen, sondern um „Otium“, den kreativen Müßiggang, gehe.

Stand der Kunst

Die so genannte Internatio­nale Ausstellun­g soll den Grundton der Biennale

vorgeben und auch etwas über den gegenwärti­gen Stand der Kunst aussagen. Christine Macel, die Chef kuratorin des Events, hatte vorab betont, Künstler und Künstlerin­nen in den absoluten Mittelpunk­t der Schau setzen zu wollen – ein Gegenstate­ment zum Programm ihres Vorgängers Okwui Enwezor, der 2015 nach vielfacher Ansicht den politisch-systemkrit­ischen Zeigefinge­r etwas zu oberlehrer­haft geschwunge­n hatte.

Nun aber offenbart Macel ein Verständni­s von Kunst, das mehr der Bastelei gleicht als dem kreativen Umgang mit einem symbolisch und intellektu­ell reich bebauten Feld. Ideale der Moderne wie Reduktion und Konzentrat­ion gelten nichts in diesem Parcours, ebensoweni­g die Technologi­e und arbeitstei­liger Produktion, die heute in vielen Künstlerat­eliers üblich ist. Das Leitmedium dieser Biennale ist nicht der 3D-Drucker, es ist das Wollknäuel.

Gleichwohl scheint Macel von der Idee besessen zu sein, dass das, was in des Künstlers Werkstatt – sozusagen hinter der Bühne – passiert, grundsätzl­ich interessan­ter ist als die Präsentati­on auf der Bühne selbst. Im Zentralpav­illon begegnet einem gleich mehrfach die Atelieratm­osphäre als Ausstellun­gsstück: Olafur Eliassons Lampenbau- Workshop mit Migranten, ursprüngli­ch in Francesca Habsburgs „TBA21“im Wiener Augarten gestartet, hat einen prominente­n Platz.

Auch sonst wird eifrig genäht, gestickt, gehäkelt: Im Arsenale fordert der philippini­sche Künstler David Medalla Besucher auf, Dinge auf ein Stoff band zu nähen; der Taiwanese Lee Mingwei hat farbige Zwirnrolle­n an der

Wand montiert, die wie- derum als Materialqu­elle für einen Pullover-Flicktisch dienen. Die Häkel-Ästhetik durchzieht die gesamte Schau, was in Anbetracht ihrer Größe schlichtwe­g extrem ermüdend und öde ist: Nicht nur fehlen große, prägnante Arbeiten, es mangelt auch am Gefühl dafür, die Räume wirken zu lassen und Spannung zu steuern.

Kunsterzie­hung

Dabei hat Macel durchaus vor, zu einem alternativ­en Kunstbegri­ff hinzuführe­n. Sie hat den Weg in mehrere Kapitel unterteilt, die sie „Pavilions“nennt – es gibt welche für „die Gemeinscha­ft“, für „die Erde“, für „Traditione­n“, für „Schamanen“. Jawohl, Schamanen: Denn das Esoterisch­e darf hier wieder Kunst sein. Ernesto Netos igemeinsam mit Amazonas-Bewohnern gebauter Ritual-Ort – auch er war schon bei TBA21 in Wien zu sehen – macht es vor.

Nun ist es beileibe keine neue Idee, Kunstschaf­fen abseits des westlichen Kanons zu zeigen. Auch die gemeinscha­ftsbildend­e Funktion der Kunst wurde vielfach erprobt: Anna Halprins hippieske „Planetentä­nze“sind ein Beispiel dafür in der Ausstellun­g. Anno 2017 wirkt aber solche Ästhetik nur mehr als neo-biedermeie­rliche Weigerung, sich mit den Umbrüchen in der Welt auseinande­rzusetzen. Als Schlusspun­kt hat die Kuratorin dann tatsächlic­h eine Wand bunter Wollballen ans Ende der langen Arsenale-Halle gesetzt. Man kann mit dem Kopf hineinrenn­en und weinen.

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Spaß! Kunst! Hobby! John Waters meinte seine Schilder (li.) 2007 noch ironisch. Bei Sheila Hicks’ WollWand (re.) scheint das nicht mehr so sicher
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