Frustwahl und ein Populist mit Turban
Heute Präsidentschaftswahlen im Iran. Der Frust junger Iraner wird von den radikalen Mullahs genützt. Eine Gefahr für Amtsinhaber Rouhani.
Die Aufnahmen sind seit Tagen ein Hit in allen sozialen Medien: Mit Schaufeln und Fäusten prügeln wütende Bergarbeiter in der Provinz Golestan, im Norden des Landes, auf das Auto von Irans Präsident Rouhani ein. Sie machen ihn für den Tod von mindestens 35 Kumpeln durch ein technisches Gebrechen der völlig veralteten Anlage verantwortlich.
Der liberale Kleriker, der das Land seit vier Jahren regiert, scheitert mit seinem Versuch, den Frust der Massen zu besänftigen. Und genau diesen Frust hat im Wahlkampf Rouhanis einziger ernst zu nehmender Herausforderer genützt: der erzkonservative Kleriker und Jurist Ebrahim Raissi.
Junge Iraner im Visier
Seine Wahlkampagne hat die Bilder der Bergarbeiter gezielt in die sozialen Netzwerke geschleust und für deren millionenfache Verbreitung gesorgt. Da kümmert es Raissi wenig, dass soziale Medien von der religiösen Führung im Gottesstaat als westlicher Einf luss verteufelt und fast sämtlich verboten sind. Denn die heutigen Präsidentschaftswahlen im Iran werden von den Jungen entschieden – und die leben nun mal auch im Iran in Symbiose mit ihrem Handy. Fast zwei Drittel der Iraner sind unter 35 Jahre alt, die Mehrheit von ihnen gut ausgebildet und hungrig auf Karrierechancen – doch diese Karrierechancen sind, fast vierzig Jahre nach der Islamischen Revolution, weiterhin rar gesät.
Geldflüsse stocken
Wie viele rohstoffreiche Länder leidet auch der Iran – er besitzt weltweit die zweitgrößten Erdgas- und die viertgrößten Erdölreserven – an einer anhaltend schlecht funktionierenden Wirtschaft. Die wichtigsten Unternehmen sind in den Händen kleiner einflussreicher Kreise im Umfeld des religiösen Führers Ali Khamenei. Korruption und Vetternwirtschaft grassieren.
Die Situation verschärft haben Jahrzehnte westlicher Wirtschaftssanktionen. Es fehlt an ausländischen Investoren und moderner Technologie. Das Atomabkommen von 2015, das den mehr als ein Jahrzehnt andauernden Streit um das Atomprogramm des Landes vorerst beendete, sollte die Sanktionen aus der Welt schaffen.
Doch viele Blockaden, die auf dem Papier inzwischen aufgehoben sind, wirken im wirtschaftlichen Alltag weiter nach. So sind westliche Banken mit der Finanzierung von Projekten im Iran weiterhin zurückhaltend –und die iranischen Partnerbanken sind vom westlichem Standard weit entfernt.
Locken mit Almosen
Die Folge: Der wirtschaftliche Aufschwung, den Präsident Rouhani als Folge des Atomdeals mit dem Westen angekündigt hat, lässt auf sich warten. „Die Erwartungen der Menschen sind nicht erfüllt worden“, erklärte ein iranischer Wirtschaftsexperte kürzlich in Wien, „es geht alles viel zu langsam“.
Der liberale, westlich orientierte Rouhani hat aber sein politisches Schicksal mit dem Atomabkommen und dessen positiven Auswirkungen verknüpft.
Dass die vorerst enttäuschend ausfallen, ist die stärkste Waffe seines Herausforderers Raissi. Rouhani, wettert er gerne, habe das Land an den Westen ausgeliefert und nichts dafür erhalten. Bei jungen Iranern, die schon zu lange auf ihre Zukunft warten, und bei Millionen von Armen in rückständigen ländlichen Regionen kommt die Botschaft gut an.
Raissi, der einst zu den radikalsten und brutalsten Anführern der islamischen Revolution zählte – er soll für tausende Hinrichtungen verantwortlich sein – setzt auf einen Nationalismus, der sich gegen den Westen richtet und auf großzügige Versprechen finanzieller Almosen.
Die Wahl ist zu einem Duell Rouhani gegen Raissi geworden. Zwar lag der Amtsinhaber auch bei den letzten Umfragen klar vorne, doch der Angreifer ist ihm gefährlich nahe gekommen – und er wird gefährlich bleiben. Denn als Präsident hat Rouhani auch weiterhin den religiösen Führer als eigentlichen Machthaber über sich. Das ist derzeit noch Ali Khamenei, 77 Jahre alt und schwer krank. Der Favorit für seine Nachfolge: Ebrahim Raissi.