Angst vor der Hochzeitsnacht Falscher Blutfleck.
Einsetzbare Jungfernhäutchen mit Kunstblut sollen Jungfräulichkeit vortäuschen
Ein Blutfleck auf einem weißen Leintuch – für viele Frauen ein Mal im Monat ein nicht immer vermeidbares Ärgernis. Nach der Hochzeitsnacht kann die An- oder Abwesenheit eines Blutflecks aber in manchen Fällen sogar über Leben und Tod entscheiden. Denn in vielen Kulturen wird auch heute noch vorausgesetzt, dass die Frau um der Familienehre willen als Jungfrau in die Ehe geht. Der Blutfleck auf dem Laken gilt als Beweis. Dabei blutet in der Realität bei Weitem nicht jede Frau beim ersten Geschlechtsverkehr – und wenn, dann nur sehr schwach.
Für Frauen, die ohne den Blutf leck in eine schwierige Lage geraten könnten, hat das deutsche Unternehmen VirginiaCare ein künstliches Jungfernhäutchen auf den Markt gebracht. Dieses wird von den Frauen selbst in die Vagina eingeführt und besteht aus zwei Zelluloseschichten mit künstlichem Blutpulver, die sich bei Wärme und Feuchtigkeit im Körper der Frau auflösen. Monatlich gehen auf der Website an die 200 Bestellungen ein – aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, teilweise aber auch aus anderen Ländern der Welt.
Notlösung für Frauen
Mit dem einsetzbaren Jungfernhäutchen richtet man sich an junge Frauen, „deren Problem es ist, aus traditionellen Gründen ihre Jungfräulichkeit durch Blutspuren in der Hochzeitsnacht vorweisen zu müssen“, erklärt Wannisa Srikanjanasu- an von VirginiaCare. Das Produkt sei eine günstige „Notlösung“für Frauen, denen „tief greifende Sanktionen“drohen. Das Vortäuschen der Jungfräulichkeit für den Mann sieht man als Notwendigkeit, die nicht zu verurteilen ist. Denn die Situation der betroffenen Frauen sei nicht mit der von anderen jungen Frauen vergleichbar, die eine selbstbestimmte Sexualität leben können.
Was das Produkt nicht leistet, ist, verschiedenste Mythen und Irrtümer bezüglich des Jungfernhäutchens und des ersten Mals aus der Welt zu schaffen und Frauen in ihrer Sexualität zu bestärken. Dafür fühlt man sich bei VirginiaCare auch nicht unmittelbar zuständig: „Es gibt zahlreiche Frauenhilfsorganisationen, die auf klärende Kampagnen führen. Leider zeigen sich patriarchalische Familienangehörige selten einsichtig“, sagt Srikanjanasuan. Dort, wo Auf klärungsarbeit auf taube Ohren trifft, könne man mit dem künstlichen Jungfernhäutchen Blutspuren und damit die Sicherheit der Frauen garantieren.
Rekonstruktion mit OP
Die Chance auf eine Blutung erhöhen, jedoch nicht garantieren, kann auch eine operative Jungfernhäutchen-Rekonstruktion. Im Wiener Klinikum Woman & Health führen Gynäkologen mindestens ein Mal pro Woche einen derartigen Eingriff durch, sagt Johannes Seidel, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe bei Woman & Health. Bei der OP werden die Reste des Jungfernhäutchens unter Narkose mit selbstauflösenden Nähten vernäht, sodass eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass man beim ersten Sex nach der Operation blutet.
Das Jungfernhäutchen ist eine ringförmige, dünne Schleimhaut, die bei manchen ausgeprägter ist als bei anderen. Je nach Ausprägung, Stellung beim Sex und Beschaffenheit des Penis blutet die Frau beim Sex, oder nicht.
Der Eingriff wird in der Wiener Medizineinrichtung ambulant durchgeführt, die Kosten betragen etwa 800 Euro. In manchen Fällen wird die Operation auch kostenfrei durchgeführt, beispielsweise bei Flüchtlingen. Die Demografie der Patientinnen ist laut Seidel eindeutig: „Am häufigsten besuchen uns islamische Frauen, in ganz seltenen Ausnahmefällen kommen auch katholische Frauen.“Dass die Patientinnen, die sich der OP unterziehen, oft von Angst, Selbsthass, Ausweglosigkeit und Bedrohungen durch die eigene Familie getrieben werden, ist Seidel klar. „Wir sprechen die Frauen natürlich aktiv auf diese Problematik an, sie haben aber in der Regel keine andere Wahl. Als medizinisches Zentrum haben wir die Aufgabe, hier zu helfen“, sagt Seidel. Es sei nicht die Aufgabe des Ärzteteams „eine Religion zu revolutionieren“.