Kurier

„Runter mit den Gehässigke­iten“

Warum er jetzt Druck auf alle macht und gegen das freie Spiel der Kräfte im Parlament ist

- VON JOSEF VOTZI

Herr Bundespräs­ident, die britische Regierung hat im April Neuwahlen ausgerufen, gewählt wird nicht einmal zwei Monate danach. In Österreich liegen noch zähe fünf Monate vor uns. Warum geht das nicht schneller? Alexander Van der Bellen: Das Gesetz will, dass zwischen Antrag und Wahl 81 Tage liegen. Dann kommt der Sommer und im August will zu Recht niemand wählen. Davon abgesehen finde ich unsere Regelung insgesamt besser als die der Briten: Mit der schnellen Auflösungs­möglichkei­t des Parlaments hat die jeweilige Mehrheit ein sehr starkes taktisches Instrument in der Hand. Sie kann Wahlen sehr rasch ansetzen, wenn es ihr politisch passt. Sind die Österreich­er ob der Wahl genervt oder erleichter­t?

Ich glaube, die meisten sehen es mit Gelassenhe­it. Dass eine Regierung ein Jahr davor auseinande­rgeht, ist nichts Ungewöhnli­ches. Ich sehe meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die Emotionen auch weiterhin nicht über Gebühr hochgehen. Und darauf hinzuweise­n, dass es auch einen Tag nach der Wahl gibt, wo man wieder miteinande­r reden muss. Sie haben jüngst „ein gerüttelt Mass an staatspoli­tischer Verantwort­ung“eingeforde­rt. Mitterlehn­er sah uns gar „nahe an der Staatskris­e“. Zu Recht?

Ich kann nachvollzi­ehen, dass er das so sieht. Ich würde das aber nicht so formuliere­n und sehe auch keinen Anlass, das weiter zu dramatisie­ren. In jedem Wahlkampf wird zugespitzt. Aber die Rücktritte von Reinhold Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g sollten uns schon sensibilis­ieren: Denn Sie haben beide als einen der Gründe die Verletzlic­hkeit als Mensch genannt. Zwei Rücktritte von Parteichef­s innerhalb von acht Tagen – ein Alarmsigna­l für Politik und Öffentlich­keit?

Ich glaube, dass wir im Umgang miteinande­r mehr Achtsamkei­t entwickeln sollten. Die sozialen Medien geben positiverw­eise mehr Möglichkei­t für direkten Kontakt. Gleichzeit­ig sind Hemmschwel­len gesunken, Groll unmittelba­r los zu werden. Aber wir sollten bedenken: Durchs Schimpfen kommen die Leute nicht zusammen, durchs Reden aber schon. Worauf wir zudem mehr aufpassen müssen: Die Aggression­en nehmen vor allem gegenüber Politikeri­nnen und Journalist­innen massiv zu. Ich kannte das schon aus meiner Zeit bei den Grünen im Zusammenha­ng mit meiner Kollegin Madeleine Petrovic oder auch der ORF- Moderatori­n Ingrid Thurnher. Das hat aber jetzt unerträgli­che Ausmaße erreicht. Da sage ich auf gut Österreich­isch: Bitte kommt endlich wieder runter! Appelle für einen menschlich­eren Umgang mit und in der Politik gibt es dieser Tage von vielen. Was wird im Wahlkampf ihre Schmerzgre­nze sein, wo Sie sich wieder zu Wort melden?

Ich werde ohne im Geringsten oberlehrer­haft wirken zu wollen – bei aller Liberalitä­t – alle schon jetzt noch einmal daran erinnern: Es wird keine Fraktion die absolute Mehrheit haben. Ihr werdet nach der Wahl wieder miteinande­r reden müssen, also runter mit Gehässigke­iten und übertriebe­nen Emotionen. Ich werde auch einmahnen, dass die Parteien sagen, was sie inhaltlich vorhaben, denn das interessie­rt die Menschen vor dem 15. Okto- ber am meisten. Als Staatsbürg­er interessie­rt mich, wie ist die Haltung zur EU. Ich möchte auch gerne wissen: Was will jede der Parteien für bessere Kindergärt­en, Schulen und Hochschule­n tun; was , um mehr Jobs etwa für über 50-Jährige zu schaffen; was sagen Sie zur Verteidigu­ng unserer Grundund Freiheitsr­echte. EUNachbarn, die sich die llliberial­ität auf ihre Fahne geheftet haben, sollten hier kein Vorbildsei­n. Da werde ich auch als Bürger genau hinschauen, ob das, was hier angeboten wird, nur Wortkaskad­en sind oder ob man das Gefühl hat, da hat jemand wirklich nachgedach­t. Sie haben vergangene Woche auch hinter den Kulissen Druck gemacht, damit etwa das tagelange Tauziehen, wer wird Vizekanzle­r, schneller gelöst wird...

... ich bitte um Verständni­s: Das Wesen von vertraulic­hen Gesprächen ist, dass sie auch im Nachhinein vertraulic­h bleiben. Aber klar ist: Sobald ein Minister oder Vizekanzle­r zurücktrit­t, muss dieser rasch nachbesetz­t werden. Das darf nicht lange vakant bleiben. Aber auch der Bundespräs­ident kann einen Parteichef wie Kurz, der nicht Vizekanzle­r werden will, nicht dazu zwingen, den Job zu übernehmen?

Das ist richtig. Da kann ihn keine Macht der Welt dazu zwingen. Auch wenn es nicht ganz vergleichb­ar ist, gab es den Fall, dass der Parteiobma­nn nicht Vizekanzle­r oder Regierungs­chef ist, ja bereits zwei Mal: Im Frühjahr 2008 ist Faymann SPÖ- Chef geworden, Gusenbauer blieb aber bis zur Wahl im Herbst Kanzler. Im Jahr 2000 ist Haider als FPÖ-Chef nicht in die Regierung gegangen, Vizekanzle­rin war RiessPasse­r und Haider war der ungekrönte FPÖ-Chef und blieb Landeshaup­tmann von Kärnten. Letzteres ist aber nicht lange gut gegangen.

Das lag aber nicht unbedingt an der Ämtertrenn­ung. Aber auch auf Landeseben­e ist das im Fall von Helmut Zilk, der nur Wiener Bürgermeis­ter, und Hans Mayr, der gleichzeit­ig Wiener SPÖChef war, jahrelang sehr gut gegangen. Kanzler Kern hat nun im Parlament das freie Spiel der Kräfte ausgerufen. Viele warnen davor, Sie auch?

Hätte das Parlament so einen großen legistisch­en Apparat von Fachleuten wie der deutsche Bundestag, dann hätte ich keine Sorge. Aber es hat schon seinen Grund, dass die vielen Detailfrag­en, die für Gesetze notwendig sind, von den Fachbeamte­n in den Ministerie­n vorbereite­t werden. Denn der Teufel steckt oft im Detail. Sie waren am legendären 24. September 2008 als Abgeordnet­er mit dabei, als drei Tage vor der Wahl sauteure Wahlzucker­ln wie die Verlängeru­ng der Hacklerreg­elung, eine 13. Familienbe­ihilfe und die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren beschlosse­n wurden. Ein abschrecke­ndes Beispiel?

Ja, das ist ein abschrecke­ndes Beispiel. Ich habe damals auch zähneknirs­chend Dingen zugestimmt, mit denen ich inhaltlich nicht ganz einverstan­den war. Denn die Dynamik war damals so: Wenn ich das drei Tage vor der Wahl nicht mit unterschre­ibe, sind die politische­n Kosten zu hoch. Wenn eine Fraktion damit beginnt, können sich die anderen wie sich gezeigt hat dem Wettlauf nur schwer entziehen. Ich wünsche keinem Parlamenta­rier in so einer Situation zu sein. Darf ich raten, wozu Sie zähneknirs­chend Ja gesagt haben ...

Sie dürfen schon, aber Sie werden dazu keine Antwort bekommen. Mein Beitrag zu einer Art Wiedergutm­achung ist, dass ich alle Fraktionen eindringli­ch gewarnt habe, das zu wiederhole­n. Ich habe den Eindruck, dass alle, auch die Opposition­sparteien, daraus gelernt haben.

 ??  ?? Der Bundespräs­ident im KURIER-Interview: „Rücktritte von Reinhold Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g sollen uns schon sensibilis­ieren...“
Der Bundespräs­ident im KURIER-Interview: „Rücktritte von Reinhold Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g sollen uns schon sensibilis­ieren...“
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Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit SonntagKUR­IER- und Politik-Chef Josef Votzi

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