Kurier

ÖVP-Länder siegten im Neuwahl-Poker

Planspiele der Bundes-SPÖ, Landtags- in Bundeswahl­en umzufunkti­onieren, wurden durchkreuz­t

- VON DANIELA KITTNER (Seite2).

Eine zerbrochen­e Regierung, vorgezogen­e Nationalra­tswahlen, zwei prominente Rücktritte und zwei neue Parteivors­itzende – in Österreich­s Innenpolit­ik geht’s turbulent zu wie selten zuvor.

Es hatte sich viel aufgestaut, und die Aversionen in der rot-schwarzen Dauerkoali­tion wuchsen täglich. Aber die wesentlich­e Ursache für das Beben, dessen Zeugen wir gerade sind, ist, dass zwei tektonisch­e Platten aufeinande­rstießen: die Bundes-SPÖ prallte gegen die ÖVP-Länder, allen voran Niederöste­rreich. Damit war der große Krach unausweich­lich.

Und das kam so: Wie 2013 sollten auch 2018 wieder fünf Wahlen in ein Jahr fallen – vier Landtagswa­hlen ins Frühjahr und die Nationalra­tswahl in den Herbst. Anders als 2013 trugen diesmal mehrere Faktoren dazu bei, dass der Herbstterm­in 2018 für die Bundeswahl­en ins Wanken geriet:

Die SPÖ inthronisi­erte einen neuen Kanzler. Christian Kern taktierte erkennbar mit einem für ihn günstigen Absprung in Wahlen.

Außenminis­ter Sebastian Kurz scharrte in der ÖVP ungeduldig in den Startlöche­rn.

Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl wünschte Nationalra­tswahlen herbei, damit seine zerstritte­nen Funktionär­e einen Außenfeind (die FPÖ) zum Raufen haben und die internen Kampfhandl­ungen einstellen.

Im Hintergrun­d schlummert­en die Interessen von drei ÖVP-Kernländer­n – Salzburg, Tirol und Niederöste­rreich –, die keinesfall­s mit ihren Landtagswa­hlen in den Sog der Bundespoli­tik geraten wollten.

Als ruchbar wurde, dass die Bundes-SPÖ dahin taktierte, die Nationalra­tswahl ins Frühjahr 2018 mitten in die Landtagswa­hlen hinein zu platzieren, war in den ÖVP-Ländern Feuer am Dach. Im schlimmste­n Fall, so fürchteten sie, würde Kern für eine gemeinsame Bund-Länder-Wahl an einem Tag kampagnisi­eren. Das wäre populär und für die ÖVP schwer weg zu argumentie­ren gewesen.

Um das zu verhindern, entschloss sich die ÖVP, Kern zuvor zu kommen und die Neuwahlen in den Herbst 2017 vorzuverle­gen. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er wollte dabei nicht mitmachen und räumte seinen Posten.

Seinem Nachfolger Sebastian Kurz rieten einige ÖVP-Landespoli­tiker, die Koalition über ein Thema stolpern zu lassen – irgendein Gesetz vorzuschla­gen, bei dem die SPÖ nie und nimmer mitkönne. Kurz entschied sich aber gegen solche Winkelzüge. Er stellte sich ins Fernsehen und sagte gerade heraus, er sei für Neuwahlen. Die Wähler sollen entscheide­n, welchen Weg sie gehen wollen.

Das war ein Risiko, aber die Umfragen geben Kurz nachträgli­ch recht. Zwei Drittel haben sich mit Neuwahlen abgefunden Landeswahl­en in Bundeswahl­en umzufunkti­onieren klingt harmloser, als es ist. Man nehme nur das Beispiel Niederöste­rreich 2013. Im Frühjahr bei der Landtagswa­hl fuhr die ÖVP 50 Prozent ein, wenige Monate später bei der Nationalra­tswahl nur mehr 30 Prozent

(Grafik). Bei einer Landeswahl zählt, ob der Landeshaup­tmann das Land zufriedens­tellend schupft. Bei Bundeswahl­en spielen übergeordn­ete Themen eine Rolle: soziale Gerechtigk­eit, Sicherheit, Wirtschaft­skompetenz. Je mehr Bundespoli­tiker in einem Landtagswa­hlkampf auftauchen, umso mehr rücken Bundesthem­en in den Fokus, und umso unbedeuten­der wird die Landespoli­tik. Bundespoli­tiker bringen auch mehr mediale Aufmerksam­keit mit, was wiederum den Wert einer starken Landespart­eiorganisa­tion schmälert. Wäre es der SPÖ gelungen, Niederöste­rreich zur Probe-Nationalra­tswahl zu machen, hätte das die Landes-ÖVP vieler Vorteile beraubt, SPÖ und FPÖ hingegen taktisch genützt. In Tirol und Salzburg ist dieser Effekt zwar nicht so groß, aber auch vorhanden.

Zugespitzt gesagt: Die 20-%-Kluft zwischen Bundes- und Landeserge­bnis erklärt die Angriffe des Niederöste­rreichers Wolfgang Sobotka auf SPÖ-Bundespart­eichef Kern. Dort lag das Epizentrum des politische­n Bebens.

Es gibt zwei Lehrbeispi­ele, warum Landeshaup­tleute einen weiten Bogen um Bundeswahl­en machen. Im Dezember 1995 wurde der Nationalra­t gleichzeit­ig mit dem steirische­n Landtag gewählt. Die steirische ÖVP verlor acht Prozentpun­kte, die Karriere des legendären Landeshaup­tmanns Josef Krainer ging jäh zu Ende. Im Oktober 1996 wählte Wien am Tag der EU-Wahl. Bürgermeis­ter Häupl stürzte um neun auf 39 Prozent ab, die FPÖ schnellte auf 28 Prozent hinauf.

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