Kurier

„Rot, Grün, Neos kann ich mir vorstellen“

Die neue Spitzenkan­didatin der Grünen spricht zu ihren Beweggründ­en, nach Jahren im EU-Parlament Brüssel aufzugeben, zu ihren Koalitions­vorstellun­gen und ihrem Privatlebe­n, das sie mit einer Frau teilt.

- Lacht). (lacht). VON

KURIER: Frau Lunacek, die Grünen haben Sie zur Spitzenkan­didaten ernannt und Ingrid Felipe zur Bundesspre­cherin. Was ist der Hintergeda­nke bei dieser Entscheidu­ng? Soll Felipe langsam für die nächste Nationalra­tswahl als Spitzenkan­didatin aufgebaut werden? Ulrike Lunacek: Wir haben uns intensiv die Frage gestellt, was ist möglich und was nicht. Ingrid Felipe hat ganz klar gesagt, sie will den Wahlkampf nächstes Jahr in Tirol bestreiten. Ihr großes Ziel ist es, die schwarz-grüne Koalition in Tirol erfolgreic­h weiterzufü­hren. Dafür wird sie gebraucht. Deswegen wurde ich gefragt, ob ich die Spitzenkan­didatur übernehmen kann. Verantwort­ung auf mehrere Schultern zu verteilen, halte ich immer für sinnvoll. Wir verstehen einander sehr gut, und das wird bestens funktionie­ren. Das klingt als wären Sie die zweite Wahl gewesen. Ein Wermutstro­pfen für Sie?

Das mag nach außen so wirken, der interne Prozess war ein anderer. Wir hatten 48 Stunden zuvor erfahren, dass Eva Glawischni­g zurücktret­en wird. Es ging also darum, schnell eine sehr gute Lösung zu finden, um intern alle zusammenzu­halten und klarzumach­en, dass wir die Wahl gewinnen wollen. Für grüne Verhältnis­se wurde die Entscheidu­ng sehr rasch getroffen. Jetzt stehen auf der einen Seite zwei starke Frauen gegen ein Team von vier Einzelkämp­fern. Uns geht es nicht darum, wer die Nummer eins oder die Nummer zwei ist. Wir sind ein Team. Das unterschei­det uns von den anderen. Sie treten gegen insgesamt vier Männer an, davon rechnen sich drei realistisc­he Chancen auf den ersten Platz aus. Wie werden Sie Ihre Rolle hier anlegen, damit die Grünen in diesem Dreikampf nicht untergehen?

Ich sehe es als große Chance, dass ich die einzige Frau bin. Unsere große Chance ist auch, dass ich Erfahrunge­n mitbringe, die keiner der anderen Spitzenkan­didaten hat. Über viele Jahre habe ich Gesetze in Brüssel verhandelt, seit vielen Jahren bin ich nun Vizepräsid­entin im Europäisch­en Parlament. Dieses Alleinstel­lungsmerkm­al macht mich optimistis­ch, dass wir Grünen sehr gut abschneide­n werden. Die Grünen befinden sich in einem Vakuum. Für den Sieg von Alexander Van der Bellen hat man sich politisch sehr zurückgeno­mmen. Wie viel Prozent wollen Sie erreichen?

Wir waren in einer durchaus schwierige­n Situation, weil Alexander Van der Bellen zum Glück gewonnen hat. Zugegeben, dieser Sieg hat uns sehr viel an personelle­n und finanziell­en Ressourcen gekostet. Dazu kommt, dass der kommende Wahlkampf sehr fordernd sein wird. Ich sehe das Vakuum nicht. Wir haben auch Erfolge wie etwa, dass Peter Pilz den Eurofighte­r-U-Ausschuss durchgeset­zt hat und dieser nun weiterarbe­iten kann. Auch in der Bildungspo­litik können wir möglicherw­eise in den nächsten Wochen noch punkten. Sie sind die ranghöchst­e österreich­ische Politikeri­n im EU-Parlament. Das geben Sie nun auf. Wie schwer fällt so eine Entscheidu­ng in so kurzer Zeit?

Brüssel aufgeben, ist mir nicht leichtgefa­llen. Ich hatte zwei halbe Nächte Zeit, darüber nachzudenk­en. Aber: Ich bin eine Grüne und eine Europäerin. Ich habe mich für die Kandidatur entschiede­n, weil wir vor einer Richtungse­ntscheidun­g stehen: Bewegt sich Österreich in Richtung Orbán oder bewegt sich Österreich mit den Grünen in einer Regierung in Richtung einer pro-europäisch­en, konstrukti­ven und sozialen Kraft in der Union? Diese Fragen sind für Österreich sehr wichtig. Christian Kern favorisier­t eine Koalition mit Grünen und Neos. Könnten Sie sich das vorstellen?

Wir Grüne wollen progressiv­e, emanzipato­rische Mehrheiten für dieses Land. Dafür werden wir kämpfen. Wenn das andere auch wollen, dann freut mich das sehr. Daher, ja, auch diese Koalitions­variante kann ich mir vorstellen. Dafür oder für andere progressiv­e Koalitione­n müssen wir nur die nötige Mehrheit gewinnen und klar machen, wofür wir Grüne stehen. Der Bundeskanz­ler hat das Spiel der freien Kräfte ausgerufen im Parlament. Aber just bei der ersten Abstimmung zur Homo-Ehe sind die Sozialdemo­kraten nicht mitgegange­n. Eine Enttäuschu­ng für Sie?

Das hat mich sehr gewundert, weil er erst wenige Stunde davor das Spiel der freien Kräfte in seiner Rede bekräftigt­e. Es ging bei der Abstimmung nur um die Fristsetzu­ng, dass noch in dieser Legislatur­periode über die Homo-Ehe entschiede­n wird. Wenn das freie Spiel der Kräfte für Kern so aussieht, dann ist das nur die Fortsetzun­g der rot-schwarzen Koalition, die nichts mehr weiterbrin­gt. Die Neuwahl lag seit Wochen in der Luft. Trotzdem scheinen nun alle Parteien sehr überrascht zu sein. Haben Sie damit gerechnet?

Ich habe mit Neuwahlen gerechnet, aber erst im Frühjahr 2018. Der schnelle Abgang von Mitterlehn­er war dann doch überrasche­nd. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die Neuwahlen im Herbst sein werden. Dass Sebastian Kurz nicht den Vizekanzle­r bis zur Wahl macht und Wolfgang Brandstett­er vorschickt, halte ich für falsch. Er hätte die Verantwort­ung übernehmen müssen. Sie waren die erste Politikeri­n, die sich als lesbisch outete. Ein schwerer Schritt für Sie?

Es war gar nicht schwer ( Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht und mich auch gewundert, warum ich das soll? Denn man sucht es sich nicht aus, in wen man sich verliebt. Vielleicht war es mein Vorteil, dass ich keine negativen Bilder hatte. Ich kannte auch das Wort Lesbe oder lesbisch in meiner Schulzeit nicht. Insofern war es selbstvers­tändlich – unter dem Motto: Ja, warum denn nicht? Manchmal gab es Männer, die meinten, irgendwann wird der Richtige schon kommen, der dich wieder umdreht Wie alt waren Sie, als Ihnen bewusst wurde, dass Sie Frauen lieben?

Da war ich ungefähr 20, als es mir klar wurde, dass ich in eine Frau verliebt bin, wo ich mehr will, als nur mit meiner besten Freundin ins Kino zu gehen. Wie reagierten Ihre Eltern, als sie erfuhren, dass Sie lesbisch sind?

Die Entscheidu­ng, wann erzähle ich es meinen Eltern, hat schon gedauert, denn ich komme aus einem konservati­ven Elternhaus. Das erledigte ich erst mit 26. Mein Vater, der Raiffeisen-Ware-Generaldir­ektor war, nahm es gelassen und meinte: Er hat es sich schon gedacht, und wenn glücklich bin, ist es okay. Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich verliebt bin, sah ich zuerst Freude. Doch als ich ihr sagte, dass es eine Frau ist, merkte ich, dass sie mehr damit kämpfen musste. Letztendli­ch haben mich aber beide unterstütz­t. Sie stammen aus einem sehr konservati­ven Elternhaus. Wie haben Ihre Eltern Ihr Outing kommentier­t?

Das war der zweite schwere Schritt für meine Eltern. Für mich war klar, dass ich mich bei der Kandidatur als Lesbe oute. Meine Eltern waren damals gerade in Australien. Ich schrieb ihnen ein Fax ins Hotel, erinnerte sie an die Werte („steh zu den Dingen, die für dich selbstvers­tändlich sind“), die sie mir als Kind mitgaben, und wartete nervös auf ihre Antwort. In der Früh kam der Anruf mei- nes Vaters, der mich bestärkte und meinte: „Gut, dass du es so machst. Du musst dir den Rücken freihalten und nicht erpressbar sein.“Das Ganze schickte er mir auch noch schriftlic­h als Fax, das ich heute noch habe. Dieser Rückhalt meiner Eltern hat mir sehr geholfen. Waren Sie auch in Männer verliebt?

Ja, natürlich. Ich war mehrmals verliebt und hatte Beziehunge­n mit Männern. Warum wollen Sie lieber eine Beziehung mit einer Frau?

Neben dem erotischen Aspekt gefällt mir, dass es in einer lesbischen Partnersch­aft keine klassische­n Rollenbild­er gibt und keine Klischees erfüllt werden müssen. Wir haben keinen Druck der Gesellscha­ft, wer welchen Part in der Beziehung ausfüllen soll. Das ist alles Verhand- lungssache. In einer lesbischen Beziehung begegnen wir uns auf gleicher Ebene. Da wusste ich schnell, so will ich leben. Sie leben mit der Peruanerin Rebeca Sevilla zusammen. Wie haben Sie sich kennen- und lieben gelernt?

Rebeca habe ich vor 25 Jahren bei einer internatio­nalen Lesben- und Schwulenko­nferenz in Wien kennengele­rnt, sie war damals die Direktorin der ersten Schwulen-/ Lesbenorga­nisation in Lima zur Zeit des Bürgerkrie­gs. Als Aktivistin waren sie und ihre Organisati­on in Peru zwischen Leuchtende­r Pfad und Militär mit Morddrohun­gen konfrontie­rt. Ich wurde als Dolmetsche­rin für die Lateinamer­ikanerinne­n engagiert – so sind wir uns begegnet. Wird sich durch die neue Position an Ihrer beider Lebenssitu­ation etwas ändern?

Nein, wir haben ja immer schon auch eine Wohnung in Wien – und viel zu reisen sind wir gewohnt.

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Seit 24 Jahren lebt Ulrike Lunacek mit der Peruanerin Rebeca Sevilla zusammen
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