Kurier

„Die Bildungsre­form wird sicher nicht leichtfert­ig verworfen“

Vizekanzle­r Brandstett­er. Was geschehen ist, und was er noch vorhat

- VON BERNHARD GAUL

KURIER: Herr Vizekanzle­r Brandstett­er, können Sie erklären, was zuletzt rund um die ÖVP-Führung passiert ist? Wolfgang Brandstett­er: Mich hat Montagaben­d Sebastian Kurz angerufen und gebeten, für die Funktion des Vizekanzle­rs zur Verfügung zu stehen. Weil er möchte, dass erstens die vorliegend­en Projekte noch verwirklic­ht werden, und er auch einen Beitrag zur Deeskalati­on leisten will. Er meinte, ich wäre der Richtige, weil ich nicht zu jenen gehörte, die polarisier­t haben. Man könne ja nicht Chaos riskieren. Worum ging es bei diesen Divergenze­n?

Aus meiner Sicht ging es schon darum, dass man den Eindruck gewonnen hat, dass in dieser Regierung nichts mehr vernünftig weiter geht, die Projekte nicht so abarbeitba­r sind, wie es eigentlich wünschensw­ert wäre. Es ist immer schwierige­r und mühsamer geworden, Konsens zu finden. Da kam es dann zu einem Punkt, wo es einfach kein Vertrauen mehr gab. Und wenn es einmal so weit ist, dann muss man sich überlegen, ob es Sinn macht, weiterzuma­chen. Wo können Sie diesen Vertrauens­verlust festmachen?

Mein Eindruck war, dass immer wieder der Verdacht entstanden ist – wechselwei­se –, dass es das Gegenüber gar nicht mehr ernst meint, sondern nur mehr Wahlkampf in den Köpfen ist. Das ist aus meiner Sicht der Knackpunkt gewesen. Hat sich die Regierung nicht vor wenigen Wochen zusammenge­rauft und einen Pakt für neue Projekte unterschri­eben?

Ja, es gibt das erweiterte Regierungs­programm. Ich kann nichts dafür, dass die wesentlich­en Exponenten der Regierung die Umsetzung dieses Programm nicht mehr zur Gänze geschafft haben. Die SPÖ wollte das auch nicht mehr umsetzen?

Ich kann nur sagen, das wurde beschlosse­n, es gab dann ein paar Verzögerun­gen, Sand im Getriebe, ohne dass ich ihnen sagen könnte, wer da Sand reingestre­ut hat. Aber auf dem Zeitplan stehen jetzt nur noch ein paar MiniProjek­te?

Wir sind ja noch nicht am Ende. Wenn man bei einer Fülle von Projekten beurteilen muss, was in den kommenden fünf Monaten umsetzbar ist, und den legistisch­en Ablauf kennt, muss man eben nach den jeweiligen Projekten und ihrer Struktur entscheide­n, ob man sie noch angehen kann, oder nicht. Bevor man versucht alles anzugehen, und sich nur verzettelt und zum Schluss gar nichts mehr schafft. Sie merken schon, ich sehe das nüchtern, ohne besondere Erwartunge­n. Wir sind jetzt bei einer gewissen Ernüchteru­ng und Enttäuschu­ng angekommen, und wollen das tun, was noch umsetzbar ist. Das erwartet sich auch die Bevölkerun­g. Wird es weiterhin einen Ministerra­t geben?

Ich wurde von Kanzleramt­sminister Drozda informiert, dass es am Dienstag keinen Ministerra­t geben wird, sondern der Kanzler eingeladen hat zu einem Allparteie­ngespräch, um den Stand bei jenen Projekten auszuloten, die eine Verfassung­smehrheit brauchen. Die Verschiebu­ng des Ministerra­ts ist insofern bedauerlic­h, als die Regierung zwei formale Angelegenh­eiten nicht zeitgerech­t erledigen kann. Inzwischen hat es aber ein sehr konstrukti­ves Telefonat mit Kanzler Kern gegeben, wir werden am Dienstag besprechen, wie wir weiter vorgehen werden. Sie geben jetzt einen Vizekanzle­r ohne Ambition. Ist das nicht bitter für Sie?

Es wäre nur bitter, wenn ich Ambitionen hätte. Das habe ich aber nicht. Es stört Sie also nicht, als politische­r Masseverwa­lter be- zeichnet zu werden?

Überhaupt nicht. Wenn das so ist, dann ist das so. Warum soll ich etwas beschönige­n. Die Regierung hat es letztlich nicht geschafft, als einheitlic­hes Team aufzutrete­n und einander zu vertrauen. Die Bevölkerun­g hat uns das schon lange nicht mehr geglaubt. Und frei nach Ingeborg Bachmann ist diese Wahrheit dem Wähler ganz sicher zumutbar. Also unterm Strich heißt das: Nichts geht mehr?

Eva Glawischni­g hat bei ihrem Abschied gesagt, es gibt zu viel Destruktiv­ität, zu viel Aggressivi­tät und Negativism­us. Da hat sie wohl recht. Mir würde es gefallen, wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass man am Ende einer Zweierbezi­ehung so auseinande­rgeht, dass man sich danach noch in die Augen schauen kann. Es soll auch im privaten Leben vorkommen, dass Paare nach einer schmerzlic­hen Scheidung wieder zusammenko­mmen. Und was ist mit dem größten Projekt der Regierung, der Bildungsre­form?

Das Allparteie­ngespräch am Dienstag hat ja genau den Zweck, auszuloten, ob man dafür eine Verfassung­smehrheit zusammenbe­kommt. Ob die Bildungsre­form eine Chance hat oder nicht, wird man dann sehen. Steht die ÖVP überhaupt noch hinter dem Projekt?

Das Thema wird noch intensiv diskutiert. Aber ÖVP-Staatssekr­etär Mahrer hat das doch über viele Monate verhandelt, eine „supergeile Reform“, wie er sagte. Und jetzt steht die ÖVP nicht mehr dahinter?

Es gibt derzeit noch Verhandlun­gen. Mahrer ist natürlich dafür, aber er ist nicht die ÖVP. Steht Kurz hinter dem Projekt Bildungsre­form? Wir haben von Kurz selbst dazu keine Antwort bekommen.

Ich kenne den letzten Stand der Verhandlun­gen nicht. Die Reform wird sicher nicht leichtfert­ig verworfen.

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Vizekanzle­r ohne Ambitionen: „Stört mich nicht, als politische­r Masseverwa­lter bezeichnet zu werden“

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