Kurier

Die Rückkehr der Greißler

Tante Emma Reloaded. Kleine Auswahl, großes Service. In Wien entdecken Unternehme­r die Nahversorg­ung für sich

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Ein Korb mit Äpfeln, eine Handvoll Semmeln, ausgewählt­e Käsespezia­litäten. Das erste, das beim Betreten der lichtdurch­fluteten „Mixnerei“auffällt, ist der freie Platz. Denn es gibt keine vollgestop­ften Regale mit zwölf verschiede­nen Joghurts oder sieben unterschie­dlichen Olivenölen. Und dennoch gibt es in dem Greißler am Flötzerste­ig alles für den täglichen Bedarf. Es ist ein Anblick, der beruhigt.

Neo-Greißlerin Marion Mixner ist gerade mit einer Kundin ins Gespräch vertieft, die eine Melange bestellt hat. Obwohl Marion Mixner den Laden inklusive Kaffeeecke erst vor einem halben Jahr eröffnet hat, kennt die 39-jährige Quereinste­igerin die meisten Menschen, die bei ihr einkaufen, bereits.

„Man kommt hier einfach so rasch ins Gespräch“, sagt die Kundin Renate Meissner, der Mixner nun den Kaffee reicht. Deshalb kom- me sie so häufig hierher, erzählt die Wienerin weiter. Wegen des Plauderns, und weil man hier so gut beraten werde. Die Frau Mixner kenne nämlich die Geschichte hinter all ihren Produkten.

Aufschwung

Das Haus am Flötzerste­ig 119 ist nicht das einzige, an dessen Front unlängst das Wort „Greißler“angebracht wurde. Nach dem jahrzehnte­langen – teils drastische­n – Rück- gang, sperren in Wien wieder Nahversorg­er auf.

Wieso das so ist? Ernährungs­wissenscha­ftlerin und Foodtrendf­orscherin Hanni Rützler erläutert das urbane Phänomen: „In den Supermärkt­en gibt es zwar ein sehr großes Angebot – aber die Kunden werden damit alleine gelassen. Viele sind dann von der Auswahl überforder­t. Deshalb suchen sie wieder nach Verkäufern, die wissen, wo ein Produkt her- kommt und wofür es steht.“Die neuen Greißler knüpfen zwar an eine alte Tradition an, spinnen das Konzept aber oft weiter. Das zeigt sich in Unternehme­n wie „Lunzers Maß-Greißlerei“oder „Der Greißler“in der Albertgass­e, die versuchen, Verpackung­en komplett zu vermeiden, oder der „Marktwirts­chaft“, die gleichzeit­ig einen Pop-up-Space anbietet.

Die Sehnsucht nach Begegnunge­n, die hat auch Ka- rin Reinwald gespürt und vor knapp drei Jahren die „Greisslere­i 8“in der Strozzigas­se eröffnet. „Ursprüngli­ch wollte ich ja ein Generation­encafé machen“, erzählt Reinwald. „Etwas, das die Leute in Kontakt bringt. Da ist mir eingefalle­n, was meine Oma immer gesagt hat. Dass die Leute zum Tratschen entweder zur Bassena oder zum Greißler gegangen sind.“

Mit ihrem Laden, der teils Nahversorg­er, teils Café, teils Wohnaccess­oireLaden ist, hat Reinwald einen Nerv getroffen. Sie wurde nicht nur 2015 zur „Josefstädt­erin des Jahres“gekürt, sie bespielt mittlerwei­le ein zweites Lokal in der Laudongass­e, in dem sie neue Konzepte ausprobier­t, wie den „Supperclub“, bei dem man ein Dinner mit fremden Personen an einem Tisch verbringt.

Dass Wiener Nahversorg­er unterstütz­t gehören, hat auch die Wirtschaft­sagentur erkannt. 2016 wurden rund 240 Initiative­n, die der Grätzelbel­ebung dienen, mit bis zu 90.000 Euro unterstütz­t.

Ein Projekt ist das Startup von Gert Zechner und Siegfried Hülsner. Mit ihrer „Ponganic GmbH“wollen sie die Nahversorg­ung in Wien revolution­ieren. Im Dezember eröffneten sie dazu den „Fisch und Greißler“in der Pilgramgas­se. Ab 2018 wird der Fisch nämlich aus der eigenen Zucht kommen. In einem neuen Wohnprojek­t im Sonnwendvi­ertel Ost werden Zechner und Hülsner Wiens erste ganzjährig­e AquaponicA­nlage realisiere­n.

50 Tonnen Gemüse und 25 Tonnen Fischfilet können produziert werden.

Noch kommt der Fisch in der Gefriertru­he zwar von den Genussregi­onen oder von Zechners Vater. Dennoch haben die beiden bereits alle Hände voll zu tun. Denn das Obst und Gemüse, das in den Steigen liegt, mag vielleicht windschief gewachsen und mit Erdklumpen behaftet sein. Aber dafür wissen die beiden, woes herkommt. Und es schmeckt herrlich.

 ??  ?? Die Quereinste­igerin Karin Reinwald wurde mit ihrer Greißlerei zur „Josefstädt­erin des Jahres“gekürt
Die Quereinste­igerin Karin Reinwald wurde mit ihrer Greißlerei zur „Josefstädt­erin des Jahres“gekürt
 ??  ?? Mixner ist am Flötzerste­ig aufgewachs­en. Nun versorgt sie das Grätzel mit Dingen des täglichen Bedarfs
Mixner ist am Flötzerste­ig aufgewachs­en. Nun versorgt sie das Grätzel mit Dingen des täglichen Bedarfs
 ??  ?? Gert Zechner vor dem Plan für Wiens ganzjährig­e Aquaponic-Anlage
Gert Zechner vor dem Plan für Wiens ganzjährig­e Aquaponic-Anlage
 ??  ?? Siegfried Hülsner bereitet sich auf den Wochenende­inkauf vor
Siegfried Hülsner bereitet sich auf den Wochenende­inkauf vor

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