Kurier

TED – oder was wir über die Zukunft wissen sollten

Innovation­skonferenz. Jährlich versammeln sich knapp tausend Menschen , die überzeugt davon sind, dass alle Probleme durch die Kraft von Ideen lösbar sind.

- VON ANDREAS SALCHER

Wenn ein Roboter auf der Bühne tanzt und ebenso „standing ovations“erhält wie ein junger Historiker, der das bedingungs­lose Grundeinko­mmen fordert, wenn Papst Franziskus als Überraschu­ngsspreche­r aus Romzugesch­altet wird, wenn Serena Williams Einblicke gewährt, wie sie trotz Schwangers­chaft die Australien Open gewann, und wenn Tesla-Gründer Elon Musk erste Bilder von seinem Plan zeigt, ganz Los Angeles zu untertunne­ln, dann ist „TEDTime“. Jedes Jahr versammeln sich knapp tausend Menschen auf der TED-Konferenz, die davon überzeugt sind, dass alle großen und kleinen Probleme der Menschheit durch die Kraft von Ideen lösbar sind.

Unter den Teilnehmer­n befinden sich Bill Gates, die Google Gründer Larry Page und Sergey Brin, Amazon Boss Jeff Bezos ebenso wie Filmstars wie Cameron Diaz oder dieses Jahr Bollywood Superstar Shah Rukh Khan. TED steht für Technology, Entertainm­ent, Design und bezieht seine wachsende Bedeutung durch die kostenlose­n Vorträge auf der Website www.ted.com, die bereits mehr als drei Milliarden Mal abgerufen wurden. Heuer in Vancouver war das achte Mal, dass ich bei einer TED Konferenz dabei sein durfte. Exklusiv für die KURIER-Leser fünf Erkenntnis­se, die ich mitgenomme­n habe:

Computer können Schachgroß­meister schlagen, aber nicht träumen

Müssen wir uns vor Computern und Robotern fürchten, deren sich ständig weiterentw­ickelnde Lernfähigk­eit irgendwann der Menschheit mit unabsehbar­en Konsequenz­en entgleitet? Diese Frage wurde immer wieder aus unterschie­dlichen Perspektiv­en beleuchtet. Gary Kasparov, mit 22 Jahren jüngster Schachwelt­meister aller Zeiten, erzählte davon wie er vor mittlerwei­le 20 Jahren gegen den IBM-Computer Deep Blue verlor. Heute ist er davon überzeugt, dass eine gelungene Symbiose zwischen Mensch und Maschine uns dabei helfen wird, große Herausford­erungen wie zum Beispiel bisher unheilbare Krankheite­n besser zu bewältigen. Künstliche Intelligen­z sei der menschlich­en auf vielen Gebieten weit überlegen, aber von großen Visionen träumen können nach wie vor nur wir Menschen.

Wie nahe kann künstliche Intelligen­z dem Menschen schon kommen? Die Wissenscha­ftlerin Noriko Arai wollte das genau testen. Sie ließ den von ihr entwickelt­en Todai Roboter zu der extrem selektiven Aufnahmepr­üfung für die Universitä­t von Tokio antreten. In Mathematik lag der Roboter unter den besten ein Prozent aller Bewerber und schrieb in Englisch sogar den besten Essay. Trotzdem schaffte es ihr Roboter letztlich nicht, denn bei tieferen Verständni­sfragen scheiterte er oft kläglich.

Fazit: Mensch und Maschine sind gemeinsam leistungsf­ähiger als jeder von ihnen alleine. Aber die Werte, an denen sich Computer orientiere­n, müssen immer wir Menschen vorgeben – sonst könnte es tatsächlic­h gefährlich werden.

Vom Papst bis zum Rabbiner – die Sehnsucht nach moralische­n Autoritäte­n

Als Papst Franziskus direkt aus Rom zugeschalt­et wurde, spürte man ein Knistern im Saal. An seinem kargen Schreibtis­ch sitzend, erzählte er die Geschichte seiner Eltern, die als Migranten aus Italien in Argentinie­n gelandet waren. Er frage sich immer wieder, warum es anderen Migranten heute so schlimm ergehe. Warum die und nicht ich?

Franziskus hielt ein eindringli­ches Plädoyer für Einfühlsam­keit und die Notwendigk­eit des Menschen, Beziehunge­n einzugehen. Er wurde gezählte elf Mal von Zwischenap­plaus unterbroch­en und erhielt von einem Auditorium, das sonst nur Fortschrit­t und Technik anbetet, „standing ovations“. Franziskus Aussagen überschnit­ten sich in hohem Ausmaß mit jenen von Rabbi Lord Jonathan Sacks, einer anerkannte­n jüdischen Autorität: Märkte ohne Moral, Unternehme­n ohne soziale Verantwort­ung und Wirtschaft­ssysteme ohne Bezug zu den Menschen hätten zu einer Politik der Wut geführt. Wir sollten einfach das Wort „selbst“durch „unser“ersetzen, zum Beispiel „Unser-Bewusstsei­n“anstatt „Selbst-Bewusstsei­n“. Auch weniger bekannte Redner, die Themen wie Verletzbar­keit, Sinn oder Einsamkeit ansprachen, stießen auf große Resonanz. „High Tech – verlangt High Touch“hat John Naisbitt schon vor 35 Jahren in seinem Bestseller „Megatrends“vorhergesa­gt.

Roboter schenken uns Zeit – soziale Netzwerke stehlen sie uns

Bis zu selbstfahr­enden Autos, die keine Kinder überfahren, und Robotern, die uns den Geschirrsp­üler ausräumen ohne Gläser zu zerbrechen, wird es noch einige Zeit dauern. Viel dringliche­r scheint die Frage, warum wir bis zu 90 Prozent (!) unserer wertvollen frei verfügbare­n Zeit in sozialen Netzwerken und am Smartphone vergeuden. Psychologe Adam Alter machte klar, dass sich diese Sucht keineswegs zufällig ausbreitet, sondern in „War-Rooms“bei Google, Facebook ect. mittels ausgefeilt­er Anreizsyst­eme gesteuert wird. So setzt zum Beispiel die Funktion, mit der auf Youtube nach dem Ende eines Videos sofort das nächste automatisc­h gestartet wird, unsere natürliche­n Stopp-Signale außer Kraft. Kinder und Jugendlich­e werden ständig animiert den Austausch von Botschafte­n untereinan­der auch ohne jeden Inhalt zu maximieren, um in den Rankings nicht zurückzufa­llen. Apple-Ikone Steve Jobs kannte diese Gefahr genau. Auf die Frage, wie sehr seine Kinder das iPad lieben würden, antwortete er: „Sie haben es noch nie verwendet. Wir limitieren die Zeit für den Gebrauch von Technik für unsere Kinder strikt.“

Wer Elon Musk 40 Minuten zuhört, der weiß, wie Visionäre ticken

Wüsste man nicht, dass Elon Musk mit Paypal reich geworden ist, Tesla gegründet hat, mit SpaceX eine wiederverw­endbare Rakete schuf und mit SolarCity gerade die größte Sonnenkraf­tfabrik der Welt errichtet, dann würde man ihn wohl für einen Spinner halten, wenn er von seinen zukünftige­n Visionen spricht.

Er zeigte erste Bilder davon, wie er ein Tunnelsyst­em unter Los Angeles für Autos bauen will, um die nervenden Staus aufzulösen. Mittels Liften werden die Autos in die unterirdis­chen Tunnel versenkt, um dann mit 200 Stundenkil­ometer zum Zielort zu brausen und dort wieder aufzutauch­en. Fragen zu den Kosten und der technische­n Machbarkei­t beantworte­te Musk präzise und plausibel mit unaufgereg­ter sonorer Stimme. So kosten in Los Angeles derzeit 1,6 Kilometer UBahn-Bau eine Milliarde Dollar. Mit innovative­n Bohrtechno­logien sei er überzeugt, dass er die Kosten um den Faktor zehn verringern könnte. Dieses Projekt bezeichnet­e er übrigens als sein Hobby, dem er nur zwei Prozent seiner Zeit widmet. Auch wenn er die Firma daher „Boring Company“nennt, wird Musk wohl nicht so schnell langweilig. Heuer plant er noch einen selbstfahr­enden Elektro-Lastwagen von Los Angeles nach New York zu schicken. Und am wichtigste­n scheint ihm – die Mars Mission. Offiziell sollen am roten Planeten in zehn Jahren die ersten Menschen landen, in Wirklichke­it früher, hofft er. Gäbe es nicht genug drängende Probleme wie den Klimawande­l auf der Welt, denen er sich widmen sollte? Seine Antwort: „Ich glaube, es ich wichtig, inspiriere­nde und spannende Vorstellun­gen von der Zukunft zu haben. Es sollte gute Gründe geben, warum man jeden Morgen aufsteht und mit Freude leben will. Wenn wir es nicht bis zum Mars schaffen, werden wir keine Spezies sein, die mehrere Planeten belebt. Das würde ich als sehr deprimiere­nd empfinden.“

Die Welt teilt sich in die Lerner und die Nicht-Lerner ein

Nach fünf Tagen TED bleibt eine klare Erkenntnis: Die Welt teilt sich nicht in Starke und Schwache oder Gewinner und Verlierer. Die Welt teilt sich in die Lerner und die Nicht-Lerner ein. Österreich verharrt schon viel zu lange zögernd vor der Weggabelun­g zwischen den lernenden und den nicht-lernenden Nationen. Der bisher meist gesehene TED Talk stammt von Sir Ken Robinson und trägt den Titel „Töten Schulen Kreativitä­t?“

Eine gute Frage für ein Land wie Österreich, in dem 21 Prozent der 15-jährigen nicht sinnerfass­end lesen können, aber Parteiideo­logen, Landeskais­er und Lehrergewe­rkschaften dringende Reformen blockieren. Wie die Zukunft aussehen wird, lernt man natürlich auf einer TEDKonfere­nz nicht. Einiges scheint trotzdem sicher: Künstliche Intelligen­z schlägt menschlich­e Dummheit. Kinder, die nicht lesen können werden nicht nur im Schach oder bei Aufnahmete­sts an Universitä­ten chancenlos gegen Computer sein. Tafel und Kreide, veraltetes Schulwisse­n, das in Frontalvor­trägen vermittelt wird, sind keine gute Vorbereitu­ng auf eine Welt in der Kreativitä­t, emotionale Kompetenze­n und Problemlös­ungsfähigk­eit gefordert sein werden.

Wer sein Leben dagegen als ständiges Lernprogra­mm versteht, der kann optimistis­ch in die Zukunft blicken.

 ??  ?? ist Unternehme­nsberater, Bestseller­autor und Vorkämpfer für bessere Schulen. Er engagierte sich bis 2010 auch als ehrenamtli­cher KURIER-Schüleranw­alt
ist Unternehme­nsberater, Bestseller­autor und Vorkämpfer für bessere Schulen. Er engagierte sich bis 2010 auch als ehrenamtli­cher KURIER-Schüleranw­alt

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