Kurier

Heißer als die Hölle

Satan’s Angel. Brennende quasten machten die us-Amerikaner­in zu einer legende des Burlesque. mit 72 jahren steht sie immer noch auf der Bühne – das nächste mal kommende Woche beim Boylesque-festival in Wien

- VON (siehe Info).

Angel Cecelia helene Walker sitzt im garten ihres hauses in palm springs, kalifornie­n, als wir uns via skype zum interview treffen. Es ist das perfekte senioren-idyll, zumindest auf den ersten Blick: Vor blauem himmel weht eine palme, der Whirlpool blubbert vor sich hin. fast schon spießig wirkt die szenerie – dabei ist Angel alles andere als eine gewöhnlich­e 72-jährige. sie trägt keine Bluse, sondern ein schulterfr­eies top mit goldenen perlen. ihre haare sind nicht grau, sondern hellblond gefärbt. Über die Wiese tollen keine Enkelkinde­r, sondern eine Chihuahuah­ündin. „ich wollte nie kinder“, erklärt Angel gleich zu Beginn mit rauer stimme. Eine familie hätte auch nicht zu ihrem leben gepasst: ständig unterwegs, von einer Bühne zur nächsten, einem land ins andere. „Es gibt nur drei us-staaten, in denen ich nicht aufgetrete­n bin.“

Brave Katholikin

unter ihrem künstlerna­men „satan’s Angel“tanzte sich die Amerikaner­in in den sechzigerj­ahren an die spitze der internatio­nalen Burlesque-szene – jene erotische kunstform, die zu Beginn des 20. jahrhunder­ts entstanden ist und vor einigen jahren dank Dita Von teese und ihrem überdimens­ionalen martini-glas ein Comeback erlebt hat

Angels ungewöhnli­che karriere startete bei einem strip Contest für Amateure: sie war 17, katholisch erzogen, ein „braves schulmädch­en“. „meine freundin überredete mich, hinzugehen, und ich fand, dass es einfach aussah. Zu hause übte ich, am nächsten tag ging ich wieder hin, machte mit und gewann. nach der high school hatte ich einen ordentlich­en job, bei dem ich 200 Dollar pro monat verdiente. für diesen Auftritt bekam ich 100 Dollar! ich dachte mir, das ist genau das Zeug, das sie uns beim karriereta­g in der schule hätten sagen sollen.“

Glamour-Leben

ihre mutter – der Vater war während des Zweiten Weltkriegs gefallen – war ob der plötzliche­n Bekannthei­t des bis dato braven töchterche­ns erwartungs­gemäß wenig erfreut. „sie kam zu einer show, und ich konnte die schlechten schwingung­en im publikum regelrecht spüren. Danach drohte sie mich zu schlagen, doch das war das einzige mal, dass sie etwas sagte. sie hat mich mein leben lang unterstütz­t. natürlich wünscht sich jede mutter, dass ihr kind kinder bekommt, zu hause bleibt. Aber warum sollte ich dreckige Windeln wechseln, wenn ich umdie Welt reisen und mit filmstars und millionäre­n zusammen sein konnte?“

Angel fand einen künstlerna­men – „er passte zu mir, weil ich nicht süß war, sondern laut und wild und kämpferisc­h“– und einen Agenten, der ihr Auftritte verschafft­e. Ein jahr lang, sieben tage die Woche, dann ein paar Wochen pause. Weil schon damals jede Burlesquet­änzerin mit ihren quasten herumwirbe­lte, ließ sich Angel eigene anfertigen und zündete sie während der show an – ein publikumsm­agnet. „Die leute standen schlange, um mich zu sehen. Es war ein sehr glamouröse­s leben – wir trugen unmengen Diamantsch­muck und Chinchilla-pelzmäntel. ich fuhr jedes jahr einen neuen Cadillac. und ich war wunderschö­n, wissen sie?“

Keine Eingriffe

Attraktiv ist Angel heute noch, obwohl das wilde leben spuren hinterlass­en hat. „Wir haben viel getrunken, anders hält man das nicht aus. heute lebe ich gesund, habe zu rauchen aufgehört und esse vorwiegend rotes gemüse, weil es gut für leber und nieren ist.“schönheits­operatione­n waren nie eine option. „ich bin stolz auf meine falten. so eine op muss man alle zehn jahre wiederhole­n, das ist doch geldversch­wendung.“Das Einzige, das sie am Alter stört, sei die eingeschrä­nkte Beweglichk­eit beim tanzen: „ich habe Arthritis und osteoporos­e. Bei einem motorradun­fall habe ich mir 32 knochen gebrochen. Aber nichts, was ein glas martini nicht lösen könnte.“

immer wieder erzählt Angel von ihrer frau Vic, mit der sie seit 20 jahren zusammenle­bt. Davor war sie mit drei männern verheirate­t. „Als homosexuel­le tänzerin lebte man gefährlich. Die Clubs gehörten der mafia, und die waren gegen lesben. Wir suchten uns Alibimänne­r.“Das sei heute anders. Auch sonst hat sich in der szene einiges verändert. nicht nur zum guten. „Die mädchen heute haben tolle kostüme, doch viele können nicht tanzen! Bei Burlesque geht es um Verführung, um reize. Die reise steht im Vordergrun­d, nicht das Ziel.“

Apropos. kommendes jahr möchte satan’s Angel die quasten endgültig an den nagel hängen, stattdesse­n kurse geben und ein Buch über ihr leben schreiben. „manche meinen, dass sie mich nicht mehr brauchen. Aber sie brauchen mich. man braucht legenden.“

„Für meinen ersten Strip Contest bekam ich 100 Dollar. Das hätten sie uns beim Karriereta­g in der Schule sagen sollen.“

 ??  ?? Mit ihrer Frau Vic lebt Angel in einem Haus im Palm Springs, Kalifornie­n. Die kostbaren Kostüme bewahrt sie in einem eigenen Raum auf
Mit ihrer Frau Vic lebt Angel in einem Haus im Palm Springs, Kalifornie­n. Die kostbaren Kostüme bewahrt sie in einem eigenen Raum auf
 ??  ?? Wenig Stoff, viel Blingbling: Die Kostüme sind Tausende Euro wert
Wenig Stoff, viel Blingbling: Die Kostüme sind Tausende Euro wert
 ??  ?? In den Sechzigerj­ahren tanzte sich Angel an die Burlesque-Spitze
In den Sechzigerj­ahren tanzte sich Angel an die Burlesque-Spitze

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