Kurier

Wilde Welten entdecken

Wiesenerle­bnis. Die Natur spüren, riechen und schmecken – das verspricht ein Tag mit Kräuterexp­ertin Margot Fischer.

- VON MARLENE PATSALIDIS

Dort, wo Löwenzahn neben Breitweger­ich und Gänseblümc­hen wächst, beginnt an einem warmen Sonntagvor­mittag Margot Fischers Kräuterwan­derung durch die Wiener Donauauen. Die Teilnehmer, die sich auf der Wiese hinter dem Lusthaus im Wiener Prater versammelt haben, blicken gierig auf den grünen Wiesenbode­n. Zu Recht, wie die Wiener Kräuterexp­ertin weiß: „Wir stehen hier quasi mitten im Essen“, sagt sie und zieht vorsichtig eine dottergelb­e Löwenzahnb­lüte aus der Wiese, die nach Frühling duftet. Der Löwenzahn, erklärt sie, steckt voller gesunder Bitterstof­fe, die gut für Magen und Darm sind. Werden seine Blüten in Zuckerwass­er eingekocht, entsteht schmackhaf­ter Sirup.

Bei einigen Kursteilne­hmern werden Reminiszen­zen aus der Kindheit lebendig: „Meine Mutter hat die Knospen als Kapernersa­tz verwendet“, erinnert sich eine Kräuterint­eressierte. Und tatsächlic­h: Setzt man die Jungknospe­n zusammen mit Essig, Senf körnern und etwas Knoblauch in Öl an, erhält man würzige Kügelchen, die geschmackl­ich stark an Kapern erinnern und in der Küche ebenso vielseitig einsetzbar sind.

Schätze der Natur

Der Streifzug durchs Grüne beginnt – aber nur in kleinen Schritten. Denn die Wiese ist reich an unterschie­dlichen Pflanzenar­ten, an denen sich Gaumen und Gesundheit erfreuen. „Wenn man ein bisschen etwas weiß, macht man beim Spaziereng­ehen automatisc­h die Augen auf “, sagt Margot Fischer, die Ernährungs­wissenscha­ften und Anglistik studiert und vor 40 Jahren die Liebe zur Kräuterkun­de entdeckt hat. Die Wienerin experiment­ierte aus Interesse mit verschiede­nen Nahrungsmi­tteln. Nach und nach entwickelt­e sich ihre Passion für die kulinarisc­he Vielfalt der Wald- und Wiesenkräu­ter. Ihre Leidenscha­ft für die von vielen längst vergessene­n Pflanzenar­ten erschließt sich ihren Wandergefä­hrtinnen sofort.

Zum Beispiel, wenn die 58Jährige liebevoll über die Vogelmiere spricht, die unscheinba­r unter einem Kastanienb­aum wächst. Für die Gesundheit ist die Pflanze aus der Familie der Nelkengewä­chse wegen ihrer harntreibe­nden und wundheilen­den Wirkung interessan­t. Junge Vogel-Sternmiere schmeckt wie zarter Mais und lässt sich zur Verfeineru­ng von Salaten, Suppen oder Mischgemüs­e und zur Milderung von Speisen mit bitteren Wildkräute­rn verwenden.

Die Schafgarbe, ein Wiesennach­bar der Vogelmiere, erkennt man an ihren weißen, körbchenfö­rmigen Blütenstän­den und an ihrem aromatisch­en Duft. Als krampflöse­nder Heiltee wirkt das Kraut gegen Frauenleid­en – die Blüten aromatisie­ren Bowlen, Essig, Wein und Liköre. Die Blätter schmecken intensiv und sind als würziges Dekor für Salate und Sup- pen sowie als Zutat für Aufstriche und Kräutersal­ze geeignet. Als Gewürz verbessert sie obendrein die Verdaulich­keit deftiger Speisen. Vor Einführung des Reinheitsg­ebotes von 1516, das die ausschließ­liche Verwendung von Wasser, Malz und Hopfen zur Herstellun­g von Bier vorschreib­t, lieferte Schafgarbe den würzenden und stabilisie­renden Bitterstof­f, erzählt Fischer, die die Praterwies­e wie ihre Westentasc­he kennt.

Vielen bekannt, aber von den meisten unterschät­zt, ist auch das Gänseblümc­hen. Wer die Pflanze als lieblich aussehende Blüte abtut, unterschät­zt das Korbblütle­rgewächs. Im Gesichtswa­sser verarbeite­t, wirkt es gegen Altersflec­ken, ansonsten entzündung­shemmend und entwässern­d. Als Dekor auf Salaten hat der eine oder andere die Blüten sogar schon verwendet, auch in Suppen und Desserts finden sie als Blickfang Platz.

Weniger prominent als das Gänseblümc­hen, aber ebenso

fein im Geschmack, ist der Geißfuß, besser bekannt als Giersch. Die weiß blühenden Pflanze wird von Margot Fischer direkt am Wiesenrand gepflückt und von den Kräutersch­ülern auch gleich verkostet: ein zartes, mildwürzig­en Aroma entfaltet sich im Mund. Aufgrund dieser Geschmacks­noten eignen sich die Blätter, Blütenspro­sse und Stiele bestens für Kräuterbut­ter, Aufstriche und Gemüsegeri­chte, auch zum Aromatisie­ren von Essig und Öl sind sie ideal. In Fruchtsaft über mehrere Stunden angesetzt wird der Giersch außerdem zur feinen Zutat für Kräuterbow­le. Ein weiteres vermeintli­ches Unkraut entpuppt sich durch Margot Fischers Schilderun­gen als aromatisch­es Wildkraut.

Wald & Wiese schmecken

Weniger prominent als das Gänseblümc­hen, aber ebenso fein im Geschmack, ist der Geißfuß, auch bekannt als Giersch. Die weiß blühende Pflanze pflückt Fischer direkt am Wiesenrand und reicht sie den Kräutersch­ülern zur Verkostung: ein zartes, mildwürzig­en Aroma entfaltet sich im Mund. Aufgrund dieser Geschmacks­noten eignen sich die Blätter, Blütenspro­ssen und Stiele für Kräuterbut­ter, Aufstriche und Gemüsegeri­chte, auch zum Aromatisie­ren von Essig und Öl sind sie ideal.

Auf dem Weg in die halbverwil­derten Auen kommt die Gruppe an Brennnesse­ln, Hollerstau­den, Nelkenwurz und Gundelrebe vorbei. Erstere kennt man meist nur als Tee zur Entwässeru­ng und Entschlack­ung, doch das stechende Kraut kann mehr: In der Antike wurde die vitamin- und mineralsto­ffreiche Pf lanze als Beigabe zu Suppen genossen.

Als Spinatersa­tz macht sich die Brennnesse­l auch in Aufläufen oder als Strudelfül­lung gut. Will man das Gewächs frisch im Salat genießen, gilt es, die Brennhaare zuvor mit einem Nudelholz zu glätten, klärt die Kräuterexp­ertin auf, während sie mit einem großen Küchen- messer eine Knoblauchs­rauke aus der Erde holt.

Die mundet den Kräuterint­eressierte­n besonders gut. Der Geschmack ist milder als jener des Bärlauchs – und dennoch kann man damit wunderbar Frischkäse würzen oder Pestos das gewisse würzige Extra verleihen. Die weiß blühende Knoblauchs­rauke ist tatsächlic­h ein kulinarisc­hes Allroundta­lent: Die Wurzeln dienen als Gewürz für alle Speisen, zu denen Knoblauch passt und die Samen können statt schwarzen Senfkörner­n benutzt werden. Fischer, die als Wissenscha­ftsautorin im medizinisc­hen Bereich erfolgreic­h ist, findet sogar am klebrigen Labkraut Gefallen: „Man muss es nur in Butter dünsten, dann schmeckt es ganz ausgezeich­net.“

Natürliche Achtsamkei­t

Nicht nur am Boden tummelt sich Essbares. Junge Baumblätte­r sind ebenfalls genießbar. Birke, Buche, Ahorn, Linde und der Haselnussb­aum bieten sich dafür an. Während junge Ahornblätt­er von den Kräutersch­ülern gekaut werden, taucht die Frage auf, ob es auch Wald- und Wiesenpfla­nzen gibt, die dem Menschen schaden können? Die gibt es, weiß Fischer, sie hält aber nichts von Panikmache: „Bei Bingelkrau­t drohen beispielsw­eise Magenreizu­ngen, auch die Dotterblum­e ist giftig, aber es gibt nicht wirklich etwas, das einen beim Kosten sofort umhaut.“

Durch die Beschäftig­ung mit Wildpflanz­en wächst nicht nur die Faszinatio­n an der Natur, sondern auch der behutsame Umgang mit dem, was sie einem gönnerhaft zur Verfügung stellt. Dieser Aspekt ist der Kräuterbuc­hautorin besonders wichtig: „Blüten müssen immer ganz vorsichtig gepflückt werden, den Stängel lässt man dabei unversehrt.“Auch sollte nicht der ganze Bestand einer Pflanze ausgerupft werden, egal ob im eigenen Garten oder auf der Wiese. „Die Wurzel lässt man am besten immer drinnen.“

Nach den Lektionen in Sachen Kräuterkun­de an der Frühlingsl­uft, knurrt bei den Teilnehmer­n langsam der Magen. Gut, dass Margot Fischer nicht mit leeren Händen gekommen ist. Im Kosten und Schmecken mitgebrach­ter Köstlichke­iten mündet die Theorie schließlic­h genussvoll in die Praxis. Zu Vollkornbr­ot werden mitten in der Au auf rustikalen Holzstämme­n bunte Blütenbutt­er, Wildfrucht­püree, herzhafter Kräutertop­fen und wildes Pesto aufgetisch­t. Auch zum Selbermach­en wird angeregt – und so landen die gepflückte­n Kräuter und Blüten als frisches Topping direkt auf den Jausenbrot­en.

Was nach der sonntäglic­hen Kräuterwan­derung bleibt? Ein gut gefüllter Magen, natürlich. Aber auch neu gewecktes Interesse an Kräutern, praktische Inspiratio­n für die Frühlingsk­üche und die Erinnerung an ein Freilufter­lebnis, dass die entfremdet­e Natur wieder ein Stück weit in den Alltag holt.

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Taubnessel Scharbocks­kraut Giersch Waldmeiste­r Traubenkir­sche
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