Kurier

„Geschichte kann sich wiederhole­n“

104. Geburtstag von Marko Feingold. Der älteste Holocaust-Überlebend Österreich­s warnt vor Antisemiti­smus

- VON MARGARETHA KOPEINIG

Wir treffen uns in der Synagoge in der Salzburger Lasserstra­ße: Marko Feingold, Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in der Stadt, sitzt an seinem aufgeräumt­en Schreibtis­ch und wartet schon. Seinen Krankenhau­saufenthal­t steckt er weg wie nichts. Kurz vor seinem 104. Geburtstag am 28. Mai geht es ihm wieder besser. Vorträge und Diskussion­en mit Schülern hat er vorerst aber abgesagt. Seine Frau, Hanna Feingold, besteht auf Schonung und etwas Ruhe. Beim Interview ist Marko Feingold, wie er immer ist: Er sprich wie ein Wasserfall, ist voller Esprit, aufgeladen mit immensem Wissen, detailverl­iebt und entwaffnen­dem Humor.

Zu Beginn unseres Gespräches zeigt er einen Band mit Zeichnunge­n des niederländ­ischen Künstlers Henri Pieck (1895-1972). Auf eine Grafik weist er besonders hin (siehe Foto unten). Sie zeigt einen abgemagert­en Mann angelehnt an eine Schaufel, die er nicht mehr hochheben kann. „Das könnte ich gewesen sein. Wenn mich damals niemand angesproch­en und ich mich nicht zusammenge­rauft hätte, wäre ich tot . Dieser Moment geht mir bis heute durch den Kopf.“

Im Konzentrat­ionslager Auschwitz wurde ihm und seinem Bruder Ernst ständig gesagt, nicht einmal drei Monate zu überleben. „Dann geht ihr durch den Kamin“, waren die Worte der SS-Männer. Sein Bruder wurde ermordet, Marko Feingold überlebte vier Konzentrat­ionslager. Wenn er über diese Zeit erzählt, erwähnt er gerne, dass die Häftlinge die Lager organisier­ten. „Die konnten rechnen und schreiben, die SS-Leute waren zu blöd.“

Nach der Befreiung des KZ Buchenwald durch die Amerikaner am 11. April 1945, ließ er sich in Salzburg nieder. Der Weg nach Wien war versperrt. Bis heute kann er nicht vergessen, dass 27 Nationen ihre Häft- linge aus dem Lager nach Hause brachten, „nur 500 Österreich­er wurden nicht geholt“. Es schmerzt ihn zutiefst, dass sich österreich­ische Nachkriegs­politiker nicht um Juden und andere von den Nazis Verfolgter gekümmert haben. Als „antisemiti­sch“und beleidigen­d empfindet er die Haltung des Sozialdemo­kraten Karl Renner, dem ersten Bundespräs­identen der Zweiten Republik, der keine Juden zurückhabe­n wollte und erklärt habe, dass Österreich nichts zurückgebe­n werde. „Es handelte sich um Diebstahl, den man nicht wieder gut machen wollte.“

Auch die Haltung des damaligen Bundeskanz­lers Leopold Figl (ÖVP) gegenüber jüdischen Organisati­onen, ist für Feingold unverständ­lich. Auch Figl zögerte bei den Verhandlun­gen über die Wiedergutm­achung.

Für den ältesten Holocaust-Überlebend­en der Republik ist die österreich­ische Geschichte immer noch nicht aufgearbei­tet. Deswegen hat er sich zeitlebens zur Aufgabe und zu seiner Mission gemacht, zu erzählen, was war, und was ist. „Die ersten, zu denen ich schon im Juni 1945 sprach, waren Nonnen in Salzburg. Die hatten keine Ahnung. Hinter die dicken Klostermau­ern ist eine keine Nachricht und keine Informatio­n durchgedru­ngen.“

Im Laufe der Jahre wurden Schüler und Lehrer sei- ne Zielgruppe. „Es geht darum, dass wir die Geschichte niemals vergessen dürfen. Wir erleben jetzt die dritte Generation. Sie sind die interessan­teste, weil sie fragen, was ihre Väter und Großväter nicht wissen wollten.“

Jahr für Jahr nimmt Marko Feingold am March of the Living teil, dem Gedenken an die ermordeten Juden durch Nazis im Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau. Hier diskutiert er stundenlan­g mit Jugendlich­en. „Heuer kamen besonders viele Schüler aus Österreich, mehr als 600“, freut sich der Zeitzeuge. „Eine muslimisch­e Schülerin mit Kopftuch war auch dabei, sie ist weggegange­n, weil ich sagte: Ich kenne keine Religion, die befiehlt, zu töten“, erzählt Feingold. Im Namen Allahs verüben Muslime Terroransc­hläge und sprengen sich dabei in die Luft.

Unzufriede­n ist der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in Salzburg immer noch mit dem Geschichts­bewusstsei­n und der Auf klärung über Faschismus und den Holocaust an den Schulen. „Der Unterricht ist mangelhaft. Nicht alle Lehrer sind engagiert.“

Seit 72 Jahren informiert er, „drei, vier Vorträge waren es bis zuletzt pro Woche, alle aus dem Stegreif “. Sein Credo: „Es braucht mehr Lehrerfort­bildung und mehr Informatio­nen an Schüler, denn die Zeitzeugen sterben aus.“

Feingold rüttelt unermüdlic­h auf, er ist überzeugt: „Geschichte, auch die dunkelste und menschenve­rachtendst­e, kann sich wiederhole­n.“Er spürt wachsenden Antisemiti­smus, verstärkt nicht zuletzt durch den Flüchtling­sansturm. „Viele Muslime sind Gegner der Juden. Tötet jeden Juden, wird in muslimisch­en Texten unverhohle­n gefordert. Ich fürchte, dass viele Muslime von ihrer Judenfeind­lichkeit nicht abkehren werden.“Er appelliert an Migranten, die in Österreich bleiben wollen, sich auch „als Österreich­er zu fühlen. Wir haben schon Schwierigk­eiten mit Türken, die seit 30 Jahren bei uns leben, und keiner gibt sich als Österreich­er aus“. Feingold erinnert an Juden, die vor 200 Jahren hierher kamen, und „gute, bewusste Österreich­er geworden sind. Das erwarten wir auch von den Arabern“.

Die Wunschlist­e in seinem „außergewöh­nlich hohen Alter“, wie er selbst sagt, ist lang: Er hat es bis heute nicht aufgegeben, ein Eingeständ­nis von Politikern zu hören, historisch­e Fehler begangen zu haben: „Wie kann ein guter Österreich­er beim Anschluss 1938 sagen, ich bin dafür? Der muss ja gewusst haben, was zwischen 1933 und 1938 in Deutschlan­d passiert war“, kritisiert er mit Verve Karl Renner.

Mit viel Aufmerksam­keit verfolgt Marko Feingold die Innenpolit­ik. Er erwartet sich „mehr Berufung, mehr inhaltlich­e Kompetenz und mehr Ehrlichkei­t von den handelnden Politikern. Sie sollen zu dem stehen, was sie sagen. Ich möchte mehr Fachleute in der Regierung.“Das Springen von einem Ministeram­t ins andere ist ihm nicht geheuer. Und er gibt auch zu, dass er sich „eine Frau als Verteidigu­ngsministe­rin nicht vorstellen kann“.

Ein großes Anliegen ist ihm die Stärkung der jüdischen Gemeinde in Österreich. „200.000 Juden lebten vor 1938 in Österreich. Auf diesen Stand sollten wir wieder kommen. Jetzt leben 8000 Juden im ganzen Land, in Salzburg sind es gerade einmal 30.“

„Die Häftlinge konnten rechnen und schreiben. Die SS-Leute waren zu blöd.“

„Politiker sollen zu dem stehen, was sie sagen. Ich möchte mehr Fachleute in der Regierung.“

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Im Tempel der Salzburger Synagoge: Marko Feingold wünscht sich die Stärkung der jüdischen Gemeinde in Österreich
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