Das Gesundheitssystem soll genesen
Praevenire Gesundheitsforum. Experten diverser Fachbereiche blicken in die Zukunft unseres Gesundheitswesens
„Aktuelle Standpunkte: Versorgung und Nachhaltigkeit“lautete das ebenso komplexe wie spannende Thema zum Auftakt des zweiten Praevenire Gesundheitsforums Seitenstetten, in Kooperation mit dem Alois Mock Institut. Hochrangige Vertreter aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitssystems analysierten dabei dessen Ist-Zustand und boten Ausblicke auf die erwünschte Weiterentwicklung.
Patient im Mittelpunkt
Über einen auch numerisch enormen Erfahrungsschatz verfügt Markus Müller als Rektor der MedUni Wien, an deren Kliniken jährlich 1,2 Millionen Patienten betreut werden. Und dies „in den Stürmen des österreichischen Gesundheitssystems“, formuliert der Rektor. Die medizinische Versorgung befinde sich in einem großen Wandel, inklusive technologischer Innovation, „die uns viel stärker betreffen wird, als wir uns das noch vorstellen können“. Woraus unter anderem auch die Frage resultiere: „Worin investieren wir?“
Eine weitere Frage, die durch den technologischen Wandel immer wieder neu gestellt werden muss, lautet: „Auf welches Ziel hin bilden wir unsere Studenten aus?“In jedem Fall müsse es eine auf Patienten und nicht auf das Krankenhaus zentrierte Medizin sein, so der Rektor.
Das betont auch Allgemeinmediziner Erwin Rebhandl: „Unserem Gesundheitssystem droht derzeit das Fundament wegzubrechen, nämlich die dringend notwendige Primärversorgung, Wohnort-nahe für die Menschen.“Den Grund dafür sieht der Arzt in der Ausbildung der Studenten. „Sie ler- nen zu wenig zur Primärversorgung“, erklärt Rebhandl. „Primary Healthcare“müsse verstärkt werden – wie in anderen europäischen Staaten, die sie massiv forcieren und die besten Ärzte dafür suchen. Denn „nur so ist es möglich, die Patienten in die richtigen Segmente des spezialisierten Gesundheitssystems zu bringen“.
„Wir möchten auch eine Säule im Primärversorgungssystem sein“, sagt Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Apothekerkammer OÖ, über ihre Branche. Das beruhe unter anderem auf den täglichen Kontakten mit Kunden und deren Vertrauen. Tanja Stamm, Leiterin des Instituts für Outcome Research/MedUni Wien, unterstreicht, dass bei der Auswertung klinischer Befunde auch die Einbeziehung der betroffenen Patienten wichtig sei. Ein wesentlicher Aspekt dabei: „Herausforderungen sind auch Chancen“. Aufgrund technischer Innovation könnten Patienten länger daheim bleiben, woraus sich eine Kostenersparnis im Pflegebereich ergebe. Als weiteres Ziel nennt Stamm: „Wir müssen uns auch mit der Lebensqualität und Funktionsfähigkeit der Patienten befassen und diesbezügliche Messungen entwickeln.“
Nicht bei Doktor Google
Auf die Zunahme psychischer Erkrankungen, auch am Arbeitsplatz, weist klinische Psychologin Marion Kronberger hin, weshalb interdisziplinäre Arbeit auch mit Kollegen ihres Berufsstandes besonders wichtig sei. Coach und Patientinnenvertreterin Mona Knotek-Roggenbauer beklagt, die Kommunikation mit Patienten komme derzeit zu kurz. Information sei ein zentraler Punkt, weil Nichtwissen auch Angst auslöse. Bei entsprechender Aufklärung könne man den Patienten erfolgreich raten: „Schau’ nicht bei Doktor Google nach“.
„Unser Gesundheitssystem ist ein sehr krankes, mit vielen Stress-Zeichen“, stellt Chirurg Michael Gnant fest: „Wir befinden uns am Scheideweg, ob wir ja zur Innovation sagen.“Laut einer Umfra- ge in Wien meinen 80 Prozent der Menschen, sie würden von Forschung nicht profitieren, das Resultat in Stockholm sei umgekehrt. Zwecks Forschungs-Förderung müsse das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen werden, da- mit es nicht mehr heißt: „Ui, das wird was kosten!“
Pharma-Experte Klaus Schuster sieht die Gesundheitsversorgung als Investment in unsere Gesellschaft und fordert ein klares Bekenntnis zur Forschung. Aber „keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip“. Martin Schaffenrath vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger nennt als eines der Ziele den Ausbau und Erhalt des öffentlichen Gesundheitssystems, das den Versi- cherten unter anderem weiterhin den „raschen Genuss aller medizinischen Innovationen garantieren“müsse.