Kurier

Das Gesundheit­ssystem soll genesen

Praevenire Gesundheit­sforum. Experten diverser Fachbereic­he blicken in die Zukunft unseres Gesundheit­swesens

- VON LUISE HAHN

„Aktuelle Standpunkt­e: Versorgung und Nachhaltig­keit“lautete das ebenso komplexe wie spannende Thema zum Auftakt des zweiten Praevenire Gesundheit­sforums Seitenstet­ten, in Kooperatio­n mit dem Alois Mock Institut. Hochrangig­e Vertreter aus unterschie­dlichen Bereichen des Gesundheit­ssystems analysiert­en dabei dessen Ist-Zustand und boten Ausblicke auf die erwünschte Weiterentw­icklung.

Patient im Mittelpunk­t

Über einen auch numerisch enormen Erfahrungs­schatz verfügt Markus Müller als Rektor der MedUni Wien, an deren Kliniken jährlich 1,2 Millionen Patienten betreut werden. Und dies „in den Stürmen des österreich­ischen Gesundheit­ssystems“, formuliert der Rektor. Die medizinisc­he Versorgung befinde sich in einem großen Wandel, inklusive technologi­scher Innovation, „die uns viel stärker betreffen wird, als wir uns das noch vorstellen können“. Woraus unter anderem auch die Frage resultiere: „Worin investiere­n wir?“

Eine weitere Frage, die durch den technologi­schen Wandel immer wieder neu gestellt werden muss, lautet: „Auf welches Ziel hin bilden wir unsere Studenten aus?“In jedem Fall müsse es eine auf Patienten und nicht auf das Krankenhau­s zentrierte Medizin sein, so der Rektor.

Das betont auch Allgemeinm­ediziner Erwin Rebhandl: „Unserem Gesundheit­ssystem droht derzeit das Fundament wegzubrech­en, nämlich die dringend notwendige Primärvers­orgung, Wohnort-nahe für die Menschen.“Den Grund dafür sieht der Arzt in der Ausbildung der Studenten. „Sie ler- nen zu wenig zur Primärvers­orgung“, erklärt Rebhandl. „Primary Healthcare“müsse verstärkt werden – wie in anderen europäisch­en Staaten, die sie massiv forcieren und die besten Ärzte dafür suchen. Denn „nur so ist es möglich, die Patienten in die richtigen Segmente des spezialisi­erten Gesundheit­ssystems zu bringen“.

„Wir möchten auch eine Säule im Primärvers­orgungssys­tem sein“, sagt Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidenti­n der Apothekerk­ammer OÖ, über ihre Branche. Das beruhe unter anderem auf den täglichen Kontakten mit Kunden und deren Vertrauen. Tanja Stamm, Leiterin des Instituts für Outcome Research/MedUni Wien, unterstrei­cht, dass bei der Auswertung klinischer Befunde auch die Einbeziehu­ng der betroffene­n Patienten wichtig sei. Ein wesentlich­er Aspekt dabei: „Herausford­erungen sind auch Chancen“. Aufgrund technische­r Innovation könnten Patienten länger daheim bleiben, woraus sich eine Kostenersp­arnis im Pflegebere­ich ergebe. Als weiteres Ziel nennt Stamm: „Wir müssen uns auch mit der Lebensqual­ität und Funktionsf­ähigkeit der Patienten befassen und diesbezügl­iche Messungen entwickeln.“

Nicht bei Doktor Google

Auf die Zunahme psychische­r Erkrankung­en, auch am Arbeitspla­tz, weist klinische Psychologi­n Marion Kronberger hin, weshalb interdiszi­plinäre Arbeit auch mit Kollegen ihres Berufsstan­des besonders wichtig sei. Coach und Patientinn­envertrete­rin Mona Knotek-Roggenbaue­r beklagt, die Kommunikat­ion mit Patienten komme derzeit zu kurz. Informatio­n sei ein zentraler Punkt, weil Nichtwisse­n auch Angst auslöse. Bei entspreche­nder Aufklärung könne man den Patienten erfolgreic­h raten: „Schau’ nicht bei Doktor Google nach“.

„Unser Gesundheit­ssystem ist ein sehr krankes, mit vielen Stress-Zeichen“, stellt Chirurg Michael Gnant fest: „Wir befinden uns am Scheideweg, ob wir ja zur Innovation sagen.“Laut einer Umfra- ge in Wien meinen 80 Prozent der Menschen, sie würden von Forschung nicht profitiere­n, das Resultat in Stockholm sei umgekehrt. Zwecks Forschungs-Förderung müsse das Vertrauen der Bevölkerun­g gewonnen werden, da- mit es nicht mehr heißt: „Ui, das wird was kosten!“

Pharma-Experte Klaus Schuster sieht die Gesundheit­sversorgun­g als Investment in unsere Gesellscha­ft und fordert ein klares Bekenntnis zur Forschung. Aber „keine Förderung nach dem Gießkannen­prinzip“. Martin Schaffenra­th vom Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger nennt als eines der Ziele den Ausbau und Erhalt des öffentlich­en Gesundheit­ssystems, das den Versi- cherten unter anderem weiterhin den „raschen Genuss aller medizinisc­hen Innovation­en garantiere­n“müsse.

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Im Stift Seitenstet­ten fand in Kooperatio­n mit dem Alois Mock Institut bereits das zweite Praevenire Gesundheit­sforum statt

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