Kurier

Schokolade essen, wenn es weh tut

Cannes. Michael Haneke hinterließ mit Familienpo­rträt „Happy End“zwiespälti­ges Publikum

- – ALEXANDRA SEIBEL

Vor fünf Jahren hatte Michael Haneke mit dem Sterbe-Drama „Amour“das Publikum in Cannes in Tränen aufgelöst und triumphal seine zweite Goldene Palme gewonnen. Mit seinem neuen, präzise kalkuliert­en Familienpo­rträt „Happy End“hingegen erzielte er nicht diese emotionale Wucht. Stattdesse­n ließ er seine Zuseher in etwas leidenscha­ftsloser Zwiespälti­gkeit zurück.

Formal ist Hanekes „Happy End“von unfehlbare­r Genauigkei­t; seine aufgeräumt­en, exakten Bilder vermitteln eine Klarheit, in denen sich oft erst bei genauerem Hinsehen die Ereignisse verschleie­rn. Als der distante Er- zähler, der er ist, entwickeln sich nicht selten im Bildhinter­grund überrasche­nde Ereignisse oder finden Begegnunge­n statt, deren Bedeutung sich langsam erschließt. Wie so oft seziert Haneke dabei das großbürger­liche Milieu und dessen Liebes- und Alltagsrit­uale.

Als lose, quasi „innerliche“Fortsetzun­g von „Amour“, dominiert wieder Jean-Louis Trintignan­t als alter Patriarch und Witwer („Ich habe meine todkranke Frau erstickt“) seine Familie: Wie in einer feudalen Version von „Denver-Clan“bewohnt er mit ihr ein grandioses Barock-Palais. Seine Tochter – die entschloss­ene Isabelle Huppert – führt das familiäre Bauunterne­hmen. Der Sohn – Mathieu Kassovitz als untauglich­er Ehemann – arbeitet als Arzt. Gerade ist dessen Teenager-Tochter aus erster Ehe eingezogen: Ein seltsames Mädchen, das mit seiner Handy-Kamera andere Leute filmt und die außereheli­chen E-Mails ihres Vaters liest.

Hundebiss

Jedes Familienmi­tglied ist in ein separates Drama verwickelt und kreist um die eigene Befindlich­keit. Wenn der Hund das Kind der Hausangest­ellten beißt, reicht Schokolade gegen den Schmerz. Verunglück­te Arbeiter bekommen einen Scheck.

Haneke zersplitte­rt sein Familienal­bum in kleine, erzähleris­che Fragmente und setzt sie dann abrupt wieder zusammen. Er tut dies in großzügige­n Verweisen auf den eigenen Werkkatalo­g, als eine Art „Best of Haneke“: Von „Bennys Video“über „Caché“bis hin zu „Amour“finden sich Anspielung­en und Eigenzitat­e, die aber nicht weiter getrieben werden – und das ist vielleicht auch das etwas Enttäusche­nde daran. Die bürgerlich­e Kälte und ihre Empathielo­sigkeit fordern den Regisseur erneut zu einer pessimisti­schen Diagnose heraus. Kein „Happy End“im Haneke-Universum.

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