Kurier

Der Integratio­nszug fährt weiter in Europa

- VON PAUL SCHMIDT

Während sich in Österreich alles um Neuwahlen dreht, gewinnt nach den Wahlen in Frankreich die Diskussion über die Zukunft der Europäisch­en Union weiter an Fahrt. Ungeachtet innenpolit­ischer Weichenste­llungen: Die EU-Reformdeba­tte sollte - schon im eigenen Interesse – in den kommenden Wochen und Monaten auch hierzuland­e intensiv geführt und nicht zu einem Nebenschau­platz degradiert werden.

Selten war der Weg, den Europa einschlage­n wird, so offen wie heute. Umso wichtiger, dass auch wir uns positionie­ren und die unterschie­dlichen Konzepte aus den Schubladen hervorhole­n. Diese sollten breit diskutiert und auf europäisch­er Ebene präsentier­t werden. Aktivismus wäre jetzt gefragt. Denn als passiver Passagier werden wir das Ziel der europäisch­en Integratio­nsreise kaum beeinf lussen können.

Reformszen­arien

Auf der Suche nach einem gangbaren Zukunftswe­g hat Kommission­spräsident Juncker fünf Reformszen­arien zur Diskussion gestellt. Laut einer aktuellen Umfrage der Gesellscha­ft für Europapoli­tik wünschen sich die Österreich­erInnen vor allem eine f lexible und effiziente Union. Vier von fünf Befragten unterstütz­en die Idee, dass jene EU-Mitgliedst­aaten, die in bestimmten Bereichen stärker zusammenar­beiten möchten, dies auch tun dürfen. Zwei von drei Österreich­er Innen wollen, dass die EU sich nur auf große Fragen konzentrie­rt und zwei Drittel sprechen sich dafür aus, dass die EU-Länder ihre Zusammenar­beit in allen Politik- bereichen intensivie­ren. Eine Fortführun­g des Status quo ist für die große Mehrheit explizit keine Option, ebenso wenig eine EU als reine Wirtschaft­sgemeinsch­aft.

Blockaden

In den vergangene­n Jahren sind unterschie­dliche Sichtweise­n über Ausmaß und Ausrichtun­g der Integratio­n unter den Mitgliedsl­ändern noch sichtbarer geworden. Gemeinsame Entscheidu­ngen wurden dadurch verzögert, die europäisch­e Handlungsf­ähigkeit stark beeinträch­tigt. Dass alle EU-Mitglieder ihre Zusammenar­beit künftig zeitgleich vertiefen, scheint bei den derzeitige­n Divergenze­n daher wenig realistisc­h. Um Blockaden zu überwinden, ist der weitere Ausbau eines Europas mit verschiede­nen Geschwindi­gkeiten hingegen ein durchaus vorstellba­rer Weg. Er wäre auch kein Widerspruc­h zu dem Anspruch, sich vor allem den großen Themen widmen zu wollen.

Die Frage, wie es mit der Union weitergehe­n soll, ist eine Richtungse­ntscheidun­g, die nicht für uns, sondern nur mit uns in Europa getroffen werden sollte. Inmitten der BrexitVerh­andlungen, eines erstarkend­en Nationalis­mus und eines zusehends unvorherse­hbaren geopolitis­chen Umfelds ist eine gründliche Neuaufstel­lung der EU mit sinnvoller Aufteilung der Zuständigk­eiten unumgängli­ch. Wahlen hin oder her. Österreich braucht klare europäisch­e Positionen und Zukunftsid­een. Wird diese Debatte hierzuland­e vertagt, dürfen wir uns später nicht wundern, wenn sich unsere Vorstellun­gen schlussend­lich am Abstellgle­is wieder finden.

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