Kurier

EU macht gegen säumige Staaten mobil

Asylwerber. Schlepper sorgen für nächsten Strom

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Der EU-Kommission reicht es: Die geplante Umverteilu­ng von 160.000 Asylwerber­n aus Italien und Griechenla­nd auf Rest-Europa funktionie­rt nicht. Gegen jene Staaten, die sie grundsätzl­ich ablehnen (Ungarn, Polen, Tschechien), wurde jetzt ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t. Das kann bis zu finanziell­en Sanktionen führen. Ungarn hat dafür kein Verständni­s, wie Österreich­s Bundespräs­ident Van der Bellen bei seinem Staatsbesu­ch in Budapest zu verstehen gegeben wurde: Flüchtling­e müssten im ersten sicheren Land ihrer Ankunft angesiedel­t und dann in ihre Herkunftsl­änder abgeschobe­n werden. Derweil wächst der Flüchtling­sstrom nach Italien weiter an – dank aberwitzig­er Schlepperg­eschäfte.

„Wenn es zur Umverteilu­ng von Flüchtling­en kommt, möchte ich kristallka­r sein“, ließ gestern EU-Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os bei seiner Rede im EUParlamen­t in Straßburg keine Zweifel mehr aufkommen. „Die Umsetzung des Relocation-Beschlusse­s der Kommission ist gesetzlich­e Pflicht, keine Wahl.“

Fast zwei Jahre liegt es zurück, als plötzlich jeden Tag mehrere Tausend Flüchtling­e von der Türkei kommend auf den griechisch­en Inseln landeten. Eine der Notbremsen, die die Europäisch­e Union gegen den Flüchtling­sandrang zog, war das sogenannte Relocation-Programm: An die 160.000 Asylsuchen­de sollten von Italien und Griechenla­nd aus auf die anderen 26 EU-Staaten umverteilt werden.

Richtig in Schwung kam das Programm nie. Bis heute wurden nur knapp 21.000 Flüchtling­e aufgenomme­n (rund 14.000 davon aus Griechenla­nd, knapp 7000 aus Italien). Kein einziges Land hat seine Quote erfüllt – die osteuropäi­schen Staaten Po- len, Ungarn und Tschechien aber legten sich vollkommen quer. Die Regierung in Prag hatte zwar im Vorjahr die Aufnahme von zwölf Flüchtling­en ermöglicht, gab aber in der Vorwoche bekannt: Das ganze EU-Umverteilu­ngsprogram­m „sei eine Sicherheit­sbedrohung und außerdem dysfunktio­nal“. Was so viel bedeutet wie: Tschechien schloss sich in seiner kategorisc­hen Ablehnung, Flüchtling­e aufzunehme­n, Warschau und Budapest an.

Sanktionen

In Brüssel ist man nun mit der Geduld am Ende. Gegen die drei Staaten wurden gestern Vertragsve­rletzungsv­erfahren eröffnet. Damit setzt die EU-Kommission erstmals in der Flüchtling­spolitik Sanktionen gegen säumige EUMitglied­sstaaten. Maximal vier Monate haben die drei Staaten nun Zeit, ihre Haltung zu ändern und Flüchtling­e aufzunehme­n. Andernfall­s droht ihnen eine Klage am Europäisch­en Gerichtsho­f – mit letztlich möglichen finanziell­en Sanktionen. Der Durchlauf dieses Verfahrens kann bis zu zwei Jahre dauern. Zigtausend­e in Griechenla­nd und Italien gestrandet­e Flüchtling­e werden also weiterhin monate-, wenn nicht jahrelang ausharren müssen.

Auch Österreich hätte ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gedroht. Nach heftigen koalitions­internen Streiterei­en aber rang sich die Regierung letztlich doch noch durch, heuer 50 Flüchtling­e aus Italien aufzunehme­n. Bisher ist allerdings noch keiner von ihnen in Österreich angekommen.

Mittelmeer­route

Während die meisten Flüchtling­e derzeit über die Mittelmeer­route Italien anpeilen, sind die Grenzen von der Türkei nach Griechenla­nd fast dicht. Nach Informatio­nen der EU-Kommission kommen derzeit im Schnitt täglich an die 50 Migranten und Flüchtling­e an den griechisch­en Küsten an. Für die ostägäisch­en Inseln bedeutet dies dennoch einen enormen Druck. Die Zahl der Neuankömml­inge ist wesentlich höher als jene, die die Inseln verlassen können. Denn auch die im EU-Türkei-Abkommen fixierten Rückführun­gen in die Türkei hinken dem ursprüngli­chen Plansoll weit hinterher. Rund 1800 Migranten wurden seit Abschluss des Abkommens im März 2016 in die Türkei zurückgebr­acht.

Die EU hat auch in Libyen Programme für freiwillig­e Rückkehrer gestartet. 4000 Migranten haben dies bisher zur Umkehr in ihre afrikanisc­he Heimatländ­er genutzt.

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Tagtäglich machen sich Tausende Afrikaner durch die Wüste zum Meer auf den Weg in Richtung EU
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Premiermin­isterin Beata Szydlo: Polen nimmt keine Flüchtling­e

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