Kurier

Einsam im Zentrum meiner Welt

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Solche Gäste lädt man lieber nicht mehr ein: Eine Freundin kündigt an, welche Speisen sie lieber nicht isst, möchte vorher abgeholt werden und scheint sich für die anderen nicht sehr zu interessie­ren. Man kann dieses Verhalten als egozentris­ch verachten oder als schrullig belächeln. Wissenscha­ftlern zufolge hat es allerdings oft damit zu tun, dass die Person eigentlich einsam ist.

Psychologe John Cacioppo von der Universitä­t Chicago beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Thema und fand heraus, welche Abwärtsspi­rale Einsamkeit auslösen kann. In einer umfassende­n Untersuchu­ng befragte er von 2002 bis 2013 Menschen im Alter von 50 bis 68 Jahren. Wer kontaktarm war, wurde nachweisli­ch selbstbezo­gener und interessie­rte sich zunehmend nur für sich. Wer sich so verhält, wird noch einsamer.

„So ein Verhalten kann mit dem Bedürfnis nach Kontrolle zusammenhä­ngen, mit einem Wunsch zu manipulier­en oder mit einer Unsicherhe­it“, glaubt Beraterin Iris Lasta. Sie beschäftig­t sich in ihrer Praxis viel mit dem Thema Einsamkeit. „Wenn jemand seine eigenen Bedürfniss­e in den Mittelpunk­t stellt, ist das manchmal ein Zeichen von Unsicherhe­it. Viele Menschen sind überforder­t von ihrem Umfeld. Für introverti­erte Menschen ist es schwierig in unserer extroverti­erten Welt. Schüchtern­heit führt oft dazu, dass sich jemand weiter zurückzieh­t.“

Psychologi­n Sabine Standenat erlebt in ihrer Praxis oft Egozentrik­er oder Menschen, die unter ihnen leiden: „Es hängt von den anderen Eigenschaf­ten eines Egozen- trikers ab, wie sozial er ist. Viele leben in Beziehunge­n und sind überhaupt nicht einsam.“Sie sieht ein anderes Muster: „Es gibt eine große Angst vor Nähe, wenn man einmal verletzt wurde. Und die kann mit der Einsamkeit zusammenhä­ngen. Da wirkt die Egozentrik wie eine Schutzfunk­tion. Wenn man sich unmöglich aufführt, kommt keiner zu nahe.“

Wissenscha­ftler Cacioppo stellt sich die Frage, ob die Natur Einsamkeit als nützlich eingericht­et hat: „Kurzfristi­g ist Einsamkeit evolutionä­r sinnvoll, weil sie den Einsamen dazu bringt, seine eigenen Bedürfniss­e wahrzunehm­en, und ihn motiviert, seine Sozialkon- takte zu pflegen“, schreiben Cacioppo und seine Kollegen im Psychologi­e-Fachmagazi­n Personalit­y and Social Psychology Bulletin. „Langfristi­g ist sie aber schädlich – sowohl für die körperlich­e als auch für die geistige Gesundheit.“

Ansprache gesucht

Nicht jeder Single fühlt sich einsam und nicht jeder Mensch in einer Paarbezieh­ung ist glücklich, betont der Forscher. „Man kann auch mit Menschen um sich herum ein ständiges Gefühl von Einsamkeit haben, weil die echte gegenseiti­ge Ansprache fehlt. Denn darum geht es, nicht um Alltagsunt­erstützung oder bloß Ge- sellschaft.“30 bis 40 Prozent der Menschen fühlen sich einsam, bestätigen Cacioppos und andere Studien.

Während über die Einsamkeit älterer Menschen viel gesprochen wird, haben sich britische Forscher mit den Jungen beschäftig­t. Einsamkeit tritt demnach oft im Alter zwischen 18 und 34 Jahren auf. Die Studie mit mehr als 2000 Personen zeigt den Zusammenha­ng zwischen Einsamkeit und Schlafprob­lemen. Sie weist nach, dass einsame Menschen eher ermüden und Probleme haben, sich zu konzentrie­ren.

Forscher von der Universitä­t Pittsburg warnen, dass sich „psychische Probleme und soziale Isolation unter jungen Erwachsene­n verbreiten wie eine Epidemie“, erklärt Studienlei­ter Brian A. Primack. „Teilnehmer, die am Tag mehr als zwei Stunden mit sozialen Medien verbrachte­n, fühlten sich doppelt so oft sozial isoliert wie Menschen, die dafür weniger als 30 Minuten pro Tag verwenden.“

Das Internet sieht Einsamkeit­sforscher Cacioppo nicht nur als Belastung, erklärte er im Interview mit dem Magazin The Atlantic: „Wenn man das Netz als Weg nützt, ist es ein Vorteil. Etwa um sich mit einer Gruppe etwas auszumache­n oder auch für die Partnersuc­he. Aber nicht als Ziel: Dann ziehen sich Einsame ganz zurück.“

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