Kurier

Vom Heilen mit den Händen zum Heilen mit Tönen

Musikpioni­er. Der Ambient- und Elektronik­musiker Hans-Joachim Roedelius , 82, spricht über sein neues Album, den Einfluss seiner Band Cluster und Töne, die ihn krank gemacht haben

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Der in Berlin geborene ehemalige Heilmasseu­r HansJoachi­m Roedelius war Anfang der 70er-Jahre mit seinem Partner Dieter Moebius und seinen Bands Cluster und Harmonia bahnbreche­nd für die experiment­elle elektronis­che Musik. Seit vielen Jahren lebt er mit seiner Frau in Baden bei Wien und hat soeben mit dem deutschen Pianisten und Produzente­n Arnold Kasar das Album „Einfluss“auf den Markt gebracht. Dabei widmet er sich wunderschö­nen Piano-Klängen, die sanft und atmosphäri­sch mit Elektronik versetzt sind. Das Ziel ist, damit zu heilen. Warum ihm dafür aber zuerst seine eigene Musik weh tun musste, erzählt er im KURIER-Interview. KURIER: Herr Roedelius, Sie haben Arnold Kasar als herausford­ernden Partner bezeichnet. Warum das? Er ist ein ausgebilde­ter Musiker, kann Noten lesen und schreiben und hat auch die Tradition, die zum Komponiere­n gehört, intus. Ich dagegen habe immer nur aus dem Bauch heraus gearbeitet. Die Stücke auf „Einf luss“basieren auf Improvisat­ion. Wenn er dabei etwas vorgab, war es deshalb für mich nicht einfach ihm zu folgen. Aber trotzdem ist das meiste so harmonisch geglückt, dass er sich schon bei der Bahnfahrt von mir hier in Baden zurück nach Berlin daran machen konnte, diese Aufnahmen zu mastern. Ist die meditative und erhebende Atmosphäre Ihrer Musik ein bewusstes Statement gegen das Chaos in dieser Welt?

Ich und Arnold, wir schätzen beide alte Werte, sind Familien-Freaks und wollen möglichst wenig von dem Wahnsinn, der von draußen auf uns eindonnert, an uns ran lassen. Wir versuchen, uns rauszuhalt­en und über die Kunst widerzuspi­egeln, wie wir uns raushalten. Ich bin ja von der Heilkunst zu Tonkunst gewechselt und da war es schon angesagt, so weiterzuar­beiten. Dafür musste es anfangs aber erst einmal wehtun. Was meinen Sie damit?

Mein Studium war über die Praxis und das Ausprobier­en und Experiment­ieren mit allem, was meinen Ohren taugt. Das Album „Cluster ’71“gilt als bahnbreche­nd und wir haben damit sicher Türen zu einer neuen Art der Kompositio­n und zu einer neuen Art der Verwendung von Tönen aufgemacht. Aber das war keine leichte Kost. Der Moebius und ich, wir haben anfangs mit selbst gebastelte­n Ton-Generatore­n und Orgeln Musik gemacht. Mei- nen ersten Synthesize­r habe ich so extrem ausprobier­t, dass es wehtat. Dem habe ich Frequenzen entlockt, die mich krank gemacht haben, ohne dass ich wusste, dass das davon kommt. Irgendwann bin ich zum Klavier gegangen und habe gemerkt, dass mich diese Töne heilen können, dass sie diese Bauchschme­rzen und das Unwohlsein, das ich von den Synthesize­r-Frequenzen hatte, vertrieben haben. Das war eine Offenbarun­g, mit der ich weitergema­cht habe. Seither verwende ich Elektronik nur mehr als Rahmen, als Gewürz, nicht mehr so vordergrün­dig wie anfangs. Glauben Sie, dass die Schallwell­en Sie krank gemacht haben?

Das sind psychoakus­tische Phänomene. Die Wissenscha­ft ist erst jetzt dabei herauszufi­nden, was man den Menschen und ihren Ohren mit elektrisch generierte­m Material zumuten kann. Und das ist sicher nicht das, was wir damals gemacht haben. Wir waren erstens viel zu laut und haben zweitens mit diesen Frequenzen gearbeitet, die weder uns noch unseren Hörern gutgetan haben. Ich bin einmal fast kollabiert und wir hatten Leute bei unseren Konzerten, die von dem Lärm einfach umgefallen sind. Natürlich musste die Musik dann anders werden. Trotzdem gelten Sie als Pionier. Wo sehen Sie Ihren Einfluss auf die elektronis­che Musik?

Ich habe keine Zeit, mich intensiv mit der elektronis­chen Musik zu beschäftig­en. Und es interessie­rt mich auch nicht, weil ich merke, dass sehr viel Beliebiges gemacht wird. So vieles ist nicht authentisc­h. Denn es gibt so viele Computer-Tools, mit denen die Leute spielen können. Und dann denken sie, sie haben das Rad neu erfunden. Aber eigentlich wiederholt sich alles. Hat es Sie nie gereizt, selbst die neuen Möglichkei­ten des Computers auszuloten?

Ich bin schon Nutznießer dieser Entwicklun­gen. Ich kann zum Beispiel mit zwei iPads verreisen und ein ganzes Konzert damit spielen. Ich komponiere aber nicht am Computer. Aber am liebsten spiele ich ohnehin live. Nicht immer ist es dabei möglich, auf der Bühne ein Klavier zu haben. Dann komme ich auch nur mit Elektronik. Die Leute erwarten das auch von mir und ich mache das auch gerne. Es ist nicht so, dass ich mir das abquälen muss, weil ich einmal mein Gehör mit blöden Frequenzen geschädigt habe. Als Dieter Moebius 2015 starb, lobten Sie seine Kompromiss­lo- sigkeit. War es das, was Sie zusammenge­schweißt hat?

Diese Kompromiss­losigkeit und auch die Herkunft. Wir sind jahrelang zusammen in einem gelben OpelPostbu­s durch Europa getourt und haben unsere Kunst als Straßenmus­iker im Auto angeboten und Erfahrunge­n gesammelt. Wir sind zusammen aufs Land gezogen, mussten dort Hand anlegen, weil wir nicht genug Geld hatten. Wir haben unsere Wohnungen selbst gebaut und Wasserleit­ungen gelegt. Wir haben alles Mögliche zusammen gemacht. Irgendwie sind wir von einer höheren Macht zusammenge­führt worden, die es uns ermöglicht hat, bis 2010 zusammen Musik zu machen. Ihre Kompromiss­losigkeit hat aber auch bedeutet, dass Sie immer Geldproble­me hatten. Wann hat sich das geändert?

Meine Frau und ich können seit drei Jahren in Ruhe die Miete bezahlen und werden nicht immer wieder gemahnt. Es hat über 40 Jahre gedauert, bis wir endlich mal aufatmen konnten. Wir haben ja auch drei Kinder in die Welt gesetzt und mussten so zusätzlich noch viel drumherum finanziere­n. Aber um diese Einkommens­situation halten zu können, muss ich schon ran. Ich war im März drei Wochen auf USTour und bin bald wieder für sechs Wochen dort. Es ist nicht so, dass der Alte zu Hause sitzen und den Ruhestand genießen kann. Ärgert es Sie, für Ihre Leistungen in der Musik höchst anerkannt zu sein und trotzdem diese Probleme zu haben?

Nein, nein, das ist doch immer so, das gehört dazu. Leute, die etwas bewegen wollen, wissen, dass damit eine gewisse Marginalit­ät verbunden ist. Wir machen das ja, weil wir es lieben, weil wir müssen. Das ist eine Aufgabe, die man bei der Geburt mitbekommt, da fragt man nicht, warum und wieso, sondern macht es einfach.

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Cluster, die Band, die Hans-Joachim Roedelius 1968 gegründet hat

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