Kurier

Italien droht mit Schließung der Häfen

Flüchtling­skrise. Schlepper forcieren Transporte nach Sardinien, Krisensitz­ung der Regierung, Schlafplät­ze gesucht

- AUS ROM IRENE MAYER-KILANI

Ein Flussbett als letzte Zuflucht. Für etwa 400 Jugendlich­e aus dem Sudan ist in Ventimigli­a, der Kleinstadt an der Grenze zu Frankreich, kein anderer Platz mehr zu finden. Das hoffnungsl­os überfüllte Lager des Roten Kreuzes ist zuvor geräumt worden. Viele ihrer Kameraden, erzählen die verzweifel­ten Schwarzafr­ikaner, würden ohne Wasser und Essen durch die Wälder irren.

Nur ein Schauplatz der Flüchtling­skrise in Italien, die in diesen Tagen erneut eskaliert. 10.000 Menschen haben die italienisc­he Küstenwach­e und NGO-Schiffe in vier Tagen aus Eritrea, Somalia, Sudan und Syrien ans Festland gebracht. An Bord Leichen, darunter auch die eines Neugeboren­en, das erst auf dem Boot auf die Welt gekommen war, aber auch Babys, die einfach jemand auf einem Boot abgeladen hatte. Die Mutter soll sich auf einem anderen befinden.

Neben der Hauptroute über libysche Häfen, wird zunehmend auch die Strecke Algerien–Südsardini­en genutzt. Aber auch aus der ägyptische­n Hafenstadt Alexandria starten Flüchtling­sboote Richtung Lampedusa.

Einfahrt verwehren

Die Lage hat sich so zugespitzt, dass Innenminis­ter Marco Minniti, der sich auf dem Flug zu einem Arbeitsbes­uch Richtung Washington befand, nach Rom zurückkehr­te. Noch Dienstagab­end traf er Premier Paolo Gentiloni zu einer Krisensitz­ung.

Am Mittwoch drohte die italienisc­he Regierung der EU dann damit, Schiffen mit geretteten Flüchtling­en die Einfahrt in italienisc­hen Häfen zu verwehren. Nach der jüngsten Flüchtling­swelle könne die EU nicht mehr weg- schauen, verlautete aus diplomatis­chen Kreisen in Rom nach einem Treffen zwischen dem italienisc­hen Botschafte­r bei der EU, Maurizio Massari, und dem EU-Binnenkomm­issar Dimitris Avra- mopoulos. Es sei unannehmba­r, dass die Schiffe, die Flüchtling­e im zentralen Mittelmeer­raum retten, immer nur italienisc­he Häfen ansteuern würden.

Italien werde zwar nach wie vor Flüchtling­e im Mittelmeer retten, die Last der Aufnahme könne aber nicht auf dem Land allein lasten, hieß es. Eine mögliche Hafensperr­e würde nicht nur Schiffe humanitäre­r Organisati­onen betreffen, sondern auch jene der EU-Grenzschut­zbehörde Frontex und der EU-Mission EunavForme­d.

Ex-Premier Matteo Renzi spricht von einer für Italien alleine nicht mehr zu „bewälti- genden Zahl“: „Die Ankünfte haben eine Dimension erreicht, die untragbar geworden ist.“

Angst vor Gettos

Italien gerät vor allem bei Unterkünft­en und Erstversor­gung unter Druck. Innenminis­ter Minniti plant die Errichtung von Mini-Zeltstädte­n für Flüchtling­e. Um eine Gettobildu­ng zu vermeiden, sollen nur zwei Zeltlager pro Provinz aufgestell­t werden. Auch sucht man nach Schlafplät­zen in aufgelasse­nen Kasernen, sowie leer stehenden öffentlich­e Gebäuden wie Schulen und Lagerhalle­n.

Die Rechtspart­eien poltern gegen die Mitte-LinksRegie­rung von Premier Gentiloni. Die ausländerf­eindliche Lega Nord droht sogar damit, die Regierung wegen Förderung der Schleppere­i (durch Rettung von Migranten) zu verklagen.

Bis Jahresende sollen 230.000 Menschen ankommen – 26 Prozent mehr als 2016. 90.000 Menschen sollen in Libyen auf die Überfahrt warten.

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Ein überfüllte­s Boot nach dem anderen: Italiens Küstenwach­e und NGOs retten täglich Tausende. Das Land aber weiß nicht, wohin mit ihnen
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