„Ich trage den Schmerz in meiner Seele“
Veli Kavlak. Der seit zwei Jahren an der Schulter verletzte Kapitän von Besiktas Istanbul erzählt von seinem unglaublichen Leidensweg – und einem Lichtblick.
Das Karriereende war nah, doch die sechste Operation an der verletzten Schulter soll die Lösung bringen: Teamspieler Veli Kavlak, 28, hat einiges zu erzählen. Und tut das in aller Offenheit. KURIER: Diese Frage ist fad, aber in Ihrem Fall trotzdem berechtigt: Wie geht es Ihnen? Veli Kavlak:
Mir geht es gut! Ich bin seit zwei Wochen bei der Reha bei Physiotherapeut Mike Steverding in Herxheim in Deutschland und arbeite mit Robert Almer zusammen. Meine letzte OP ist sieben Wochen her, Robert muss leider wieder operiert werden. Wir sind vom Schicksal hart getroffen. Wie hat Ihre Leidenszeit überhaupt begonnen?
2008 hab ich mir bei Rapid links eine Schulterluxation zugezogen, die ist perfekt verheilt. 2012, bei einem Länderspiel, habe ich mir eine Sehne in der rechten Schulter gerissen. Danach hatte ich immer Schmerzen, aber ich habe durchgehalten. Ich konnte immer mit Schmerz gut umgehen. Aber vor zwei Jahren ist eine Blockade entstanden, und ich konnte mich gar nicht mehr bewegen. Dann folgte die erste von mittlerweile sechs Operationen.
Ja, die Sehne sollte das Problem sein. Aber der Schmerz ist nach den OPs immer wieder gekommen. Da bin ich stutzig geworden. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich bin seit zwei Jahren fast durchgehend verletzt. Ich trage den Schmerz in meiner Seele. Ich versuche, das Schmerzgedächtnis zu löschen. Das geht mit jedem positiven Reiz besser, wenn der Körper richtig reagiert. Das tut er jetzt. Haben Sie in der Zwischenzeit daran gedacht, aufzuhören?
Ich habe daran gedacht, aber das nie gefühlt. Da kommt mein Kämpferinstinkt durch. Ich will das nicht zulassen, das lasse ich nicht in mein Herz rein. Vor zwei Jahren waren Sie noch ein Fixstarter für die EM, seither haben Sie kaum gespielt ...
Das war auch ein emotionaler Stress! Psychisch war ich extrem angeschlagen. Ich habe die EURO und die Champions League verpasst. Ich weiß gar nicht, wie ich das durchgestanden habe. Nach jeder Operation stecke ich alles in die Reha rein, und dann wird es wieder nicht besser. Was genau wurde operiert?
Drei Mal die Sehne. Einmal die Halswirbelsäule, weil das Problem ja auch vom Nerv hätte kommen können. Einmal die Narbe, weil die auch eine Blockade hätte auslösen können. Im Nachhinein betrachtet waren das zwei reine Verzweiflungstaten. Was ist dann passiert?
Ich bin schon zwei Jahre quer durch Europa von einem Arzt zum anderen gelaufen. Wenn du so lange fehlst, ist das die Hölle. Ich konnte nicht mehr. Aber Mike Steverding hat mich aufgebaut. Er behandelt mich seit über zehn Jahren und kennt meinen Körper besser als alle anderen. Er hat mich überredet, noch einen Spezialisten aufzusuchen. Steverding ist zwar kein Arzt, aber er wurde Ihr Retter?
Er hat mir Hauke Mommsen empfohlen. Das ist der Teamarzt von St. Pauli, bei den Handballern von Kiel hat er sich 15 Jahre lang mit Schulterverletzungen beschäftigt. Er hat mich dann vier Tage lang mit anderen Experten durchgecheckt. Wie lautete die Diagnose?
Die Sehne passt, aber meine Schulter ist instabil. Das Gelenk luxiert teilweise. Wenn das Gelenk rausspringt, kann man sich nicht gut bewegen, und der Schmerz wird fürchterlich. Das hatte ich zwei Jahre lang. Er hat gesagt: „Mit einer OP und einer Reha wirst du wieder voll einsatzfähig sein.“Danach sieht’s jetzt aus. Und die zwei Jahre davor?
Hauke Mommsen hat gesagt, dass es eine Sauerei war, was mit mir veranstaltet wurde. Es ist wirklich blöd gelau- fen. Aber es bringt nichts, zu viel in die Vergangenheit zu blicken. Ich sage mir immer: „Der Weg zum Himmel geht durch die Hölle.“ Sie stehen ja noch bei Besiktas unter Vertrag. Wie kommunizieren Sie mit dem Verein?
Ich melde mich regelmäßig, wie bei einem Rapport, um mitzuteilen, wie der Stand der Dinge ist. Ich wollte ja auch immer Gas geben, habe mittrainiert und wollte mir nichts anmerken lassen. Aber innerlich war die Hölle los. Irgendwann drehst du durch. Auch wenn es manche anders sehen – mit nur einer fitten Schulter kannst du nicht professionell spielen. Stehen Sie in Kontakt mit dem ÖFB oder Ihrem Ex-Klub Rapid?
Als ich im Jänner wieder einmal ein Comeback versucht habe und im Cup gespielt habe, hat mich Marcel Koller angerufen. Das war der letzte Kontakt, aber das ist auch normal, wenn du verletzt fehlst. Bei Rapid halte ich Kontakt mit Steffen Hofmann, Andi Dober, Helge Payer und Andy Marek. Auch wenn die letzte Saison nicht gut war, wird sich Rapid wieder aufrichten. Da mache ich mir keine Sorgen. Ihr Freund Ümit Korkmaz ist mit Ihnen vor rund zehn Jahren bei Rapid durchgestartet. Er war seither auch immer wieder verletzt und ist auf Vereinssuche. Hätten Sie sich vorstellen können, dass das Fußballerleben so mühsam sein kann?
Überhaupt nicht! Wir haben es geliebt, jeden Tag zu spielen. Es ist ja auch gut gelaufen. Bei Ümit sind die Verletzungen nach der EURO 2008 in Frankfurt losgegangen, bei mir ist es länger gut gegangen. Ich war vor zwei Jahren der Kapitän bei Besiktas. Es gibt Spieler, die haben 15 Jahre lang kaum eine Verletzung. Und dann gibt es Spieler, die zwei Jahre auch wegen Inkompetenz fehlen. Meine Geschichte ist ein Wahnsinn. Aber ich habe eines daraus mitgenommen. Und zwar?
Ich kann nur allen Vereinen raten: Baut eure medizinische Abteilungen aus, holt Top-Leute, gesunde Spieler sind das A und O für jeden Klub. Bei mir wird es jetzt von Tag zu Tag besser, ich bin wieder optimistisch. Ich möchte Anfang August ins Mannschaftstraining einsteigen. Aber andere hätten vielleicht schon aufgegeben.