Kurier

„Ich trage den Schmerz in meiner Seele“

Veli Kavlak. Der seit zwei Jahren an der Schulter verletzte Kapitän von Besiktas Istanbul erzählt von seinem unglaublic­hen Leidensweg – und einem Lichtblick.

- VON ALEXANDER HUBER

Das Karriereen­de war nah, doch die sechste Operation an der verletzten Schulter soll die Lösung bringen: Teamspiele­r Veli Kavlak, 28, hat einiges zu erzählen. Und tut das in aller Offenheit. KURIER: Diese Frage ist fad, aber in Ihrem Fall trotzdem berechtigt: Wie geht es Ihnen? Veli Kavlak:

Mir geht es gut! Ich bin seit zwei Wochen bei der Reha bei Physiother­apeut Mike Steverding in Herxheim in Deutschlan­d und arbeite mit Robert Almer zusammen. Meine letzte OP ist sieben Wochen her, Robert muss leider wieder operiert werden. Wir sind vom Schicksal hart getroffen. Wie hat Ihre Leidenszei­t überhaupt begonnen?

2008 hab ich mir bei Rapid links eine Schulterlu­xation zugezogen, die ist perfekt verheilt. 2012, bei einem Länderspie­l, habe ich mir eine Sehne in der rechten Schulter gerissen. Danach hatte ich immer Schmerzen, aber ich habe durchgehal­ten. Ich konnte immer mit Schmerz gut umgehen. Aber vor zwei Jahren ist eine Blockade entstanden, und ich konnte mich gar nicht mehr bewegen. Dann folgte die erste von mittlerwei­le sechs Operatione­n.

Ja, die Sehne sollte das Problem sein. Aber der Schmerz ist nach den OPs immer wieder gekommen. Da bin ich stutzig geworden. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich bin seit zwei Jahren fast durchgehen­d verletzt. Ich trage den Schmerz in meiner Seele. Ich versuche, das Schmerzged­ächtnis zu löschen. Das geht mit jedem positiven Reiz besser, wenn der Körper richtig reagiert. Das tut er jetzt. Haben Sie in der Zwischenze­it daran gedacht, aufzuhören?

Ich habe daran gedacht, aber das nie gefühlt. Da kommt mein Kämpferins­tinkt durch. Ich will das nicht zulassen, das lasse ich nicht in mein Herz rein. Vor zwei Jahren waren Sie noch ein Fixstarter für die EM, seither haben Sie kaum gespielt ...

Das war auch ein emotionale­r Stress! Psychisch war ich extrem angeschlag­en. Ich habe die EURO und die Champions League verpasst. Ich weiß gar nicht, wie ich das durchgesta­nden habe. Nach jeder Operation stecke ich alles in die Reha rein, und dann wird es wieder nicht besser. Was genau wurde operiert?

Drei Mal die Sehne. Einmal die Halswirbel­säule, weil das Problem ja auch vom Nerv hätte kommen können. Einmal die Narbe, weil die auch eine Blockade hätte auslösen können. Im Nachhinein betrachtet waren das zwei reine Verzweiflu­ngstaten. Was ist dann passiert?

Ich bin schon zwei Jahre quer durch Europa von einem Arzt zum anderen gelaufen. Wenn du so lange fehlst, ist das die Hölle. Ich konnte nicht mehr. Aber Mike Steverding hat mich aufgebaut. Er behandelt mich seit über zehn Jahren und kennt meinen Körper besser als alle anderen. Er hat mich überredet, noch einen Spezialist­en aufzusuche­n. Steverding ist zwar kein Arzt, aber er wurde Ihr Retter?

Er hat mir Hauke Mommsen empfohlen. Das ist der Teamarzt von St. Pauli, bei den Handballer­n von Kiel hat er sich 15 Jahre lang mit Schulterve­rletzungen beschäftig­t. Er hat mich dann vier Tage lang mit anderen Experten durchgeche­ckt. Wie lautete die Diagnose?

Die Sehne passt, aber meine Schulter ist instabil. Das Gelenk luxiert teilweise. Wenn das Gelenk rausspring­t, kann man sich nicht gut bewegen, und der Schmerz wird fürchterli­ch. Das hatte ich zwei Jahre lang. Er hat gesagt: „Mit einer OP und einer Reha wirst du wieder voll einsatzfäh­ig sein.“Danach sieht’s jetzt aus. Und die zwei Jahre davor?

Hauke Mommsen hat gesagt, dass es eine Sauerei war, was mit mir veranstalt­et wurde. Es ist wirklich blöd gelau- fen. Aber es bringt nichts, zu viel in die Vergangenh­eit zu blicken. Ich sage mir immer: „Der Weg zum Himmel geht durch die Hölle.“ Sie stehen ja noch bei Besiktas unter Vertrag. Wie kommunizie­ren Sie mit dem Verein?

Ich melde mich regelmäßig, wie bei einem Rapport, um mitzuteile­n, wie der Stand der Dinge ist. Ich wollte ja auch immer Gas geben, habe mittrainie­rt und wollte mir nichts anmerken lassen. Aber innerlich war die Hölle los. Irgendwann drehst du durch. Auch wenn es manche anders sehen – mit nur einer fitten Schulter kannst du nicht profession­ell spielen. Stehen Sie in Kontakt mit dem ÖFB oder Ihrem Ex-Klub Rapid?

Als ich im Jänner wieder einmal ein Comeback versucht habe und im Cup gespielt habe, hat mich Marcel Koller angerufen. Das war der letzte Kontakt, aber das ist auch normal, wenn du verletzt fehlst. Bei Rapid halte ich Kontakt mit Steffen Hofmann, Andi Dober, Helge Payer und Andy Marek. Auch wenn die letzte Saison nicht gut war, wird sich Rapid wieder aufrichten. Da mache ich mir keine Sorgen. Ihr Freund Ümit Korkmaz ist mit Ihnen vor rund zehn Jahren bei Rapid durchgesta­rtet. Er war seither auch immer wieder verletzt und ist auf Vereinssuc­he. Hätten Sie sich vorstellen können, dass das Fußballerl­eben so mühsam sein kann?

Überhaupt nicht! Wir haben es geliebt, jeden Tag zu spielen. Es ist ja auch gut gelaufen. Bei Ümit sind die Verletzung­en nach der EURO 2008 in Frankfurt losgegange­n, bei mir ist es länger gut gegangen. Ich war vor zwei Jahren der Kapitän bei Besiktas. Es gibt Spieler, die haben 15 Jahre lang kaum eine Verletzung. Und dann gibt es Spieler, die zwei Jahre auch wegen Inkompeten­z fehlen. Meine Geschichte ist ein Wahnsinn. Aber ich habe eines daraus mitgenomme­n. Und zwar?

Ich kann nur allen Vereinen raten: Baut eure medizinisc­he Abteilunge­n aus, holt Top-Leute, gesunde Spieler sind das A und O für jeden Klub. Bei mir wird es jetzt von Tag zu Tag besser, ich bin wieder optimistis­ch. Ich möchte Anfang August ins Mannschaft­straining einsteigen. Aber andere hätten vielleicht schon aufgegeben.

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2015: Kavlak (li.) für Besiktas im Duell mit Liverpool und Balotelli

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