Sein Nanga Parbat im Stiegenhaus
Otto Brusatti. Die durch Zecken übertragene Neuroborreliose des Autors und Regisseurs wurde sehr spät erkannt
Otto Brusatti, 67, schaut eine Stiege im Krankenhaus Göttlicher Heiland empor: „Vor zwei Jahren waren diese Stiegen für mich wie der Nanga Parbat – eine nahezu unbezwingbare Hürde.“
28. Juni 2015: Die Schmerzen in der Seite werden so stark, dass der langjährige Ö1-Moderator, Autor und Regisseur in einem (zunächst anderen) Spital aufgenommen wird. Der erste Verdacht Gürtelrose bestätigt sich nicht. „Von Tag zu Tag wurden die Schmerzen ärger. Ich fühlte mich wie in einer Ritterrüstung, die eine Nummer zu klein ist.“In der Nacht war es besonders arg: „Ich wurde mit Schmerzmitteln zugedröhnt.“
Die Ärzte konnten keine Ursache finden, schoben die Beschwerden auf die Psyche. Burn-out. Bis nach einer Woche die Lähmung einer Gesichtshälfte dazukam – und Brusatti auf die Neurologie im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien-Dornbach überwiesen wurde.
„Die starken Schmerzen in der Nacht, die zusätzliche Gesichtslähmung, die ja nicht plötzlich wie bei einem Schlaganfall aufgetreten ist – das alles ließ uns rasch an eine akute Neuroborreliose denken“, sagt Prim. Univ.Prof. Wolf Müllbacher, Neurologie-Vorstand im Göttlichen Heiland. Die von Zecken übertragenen Borrelien hatten sich im Körper bereits im Nervensystem ausgebreitet
Alles neu lernen
Brusatti bekommt über drei Wochen hindurch Antibiotika-Infusionen – in den ersten beiden Wochen drei Mal täglich. Auch wenn sich bereits am zweiten Tag erste Verbesserungen zeigten – der Weg zurück war lange. „Ich konnte keinen Gesichtsmuskeln mehr bewegen und musste mit einer Logopädin das Sprechen neu lernen.“
Die Lähmungserscheinungen hatten sich auch auf die Beine ausgebreitet, nur mithilfe eines Rollators schaffte es Brusatti, sich zehn Meter vom Krankenbett wegzubewegen.
Nach drei Wochen Physiotherapie und intensivem Training steht er im Stiegenhaus des Spitals vor seinem persönlichen Nanga Parbat: „Die Aussicht, diese Stiege bewältigen zu müssen, bedeutete für mich eine enorme körperliche und psychische Belastung.“Und während ihm der „Aufstieg“wie ein Achttausender vorkam, „dachte ich beim Runtergehen, ich habe den Grand Canyon vor mir. Dabei waren es nur zehn bis zwölf Stufen“.
Sieben Wochen dauerte es, bis er so weit war, im Garten des Spitals an den Randsteinen einer Wegeinfassung entlang balancieren zu können.
„Ich lese ja meistens drei Bücher gleichzeitig – aber in diesen sieben Wochen war ich mit Nachrichten und Zeitungen voll ausgelastet.“
Eine Zecke hatte er übrigens nie entdeckt, auch nie die typische kreisrunde Rötung gesehen.
Gestern, genau zwei Jahre nach den ersten Symptomen, blickt er erleichtert zurück: „Dieser Teil meines Lebens ist abgeschlossen, es ist nichts zurückgeblieben.“ VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND JEFF MANGIONE (FOTOS)