Kurier

Um einen Tritt voraus Tour de France.

Der Doping-Missbrauch im Radsport dürfte zurückgega­ngen sein. Anderersei­ts sind die Betrüger den Jägern oft überlegen.

- VON FLORIAN PLAVEC UND STEFAN SIGWARTH

Die Tour de France hat noch gar nicht begonnen, da steht das Thema Doping schon wieder im Mittelpunk­t. Dass Jan Ullrich zum Start in Düsseldorf am Samstag nicht eingeladen wurde, ärgert etwa den lebenslang gesperrten Lance Armstrong. „Den Roten Teppich für Jalabert, Virenque, Hinault (und viele andere) ausrollen, aber Jan nicht einladen? Pfft. Fuck ASO!“, schimpfte der Amerikaner in Richtung der Veranstalt­er. Tatsächlic­h stand Richard Virenque einst im Mittelpunk­t des Festina-Skandals, auch Laurent Jalabert hat eine Doping-Vergangenh­eit.

Eine Doping-Gegenwart hat die aktuelle Tour: Der Portugiese André Cardoso ist am 18. Juni positiv auf EPO getestet und am Dienstag von seinem Team suspendier­t worden. Das Pikante daran: Cardoso war von seinem Team Trek-Segafredo als Helfer des umstritten­en Ex-Toursieger­s Alberto Contador vorgesehen.

Für Aufregung dürfte auch das am Samstag auf Deutsch erscheinen­de Buch von Ex-Radprofi Thomas Dekker sorgen. Darin berichtet der Niederländ­er von seiner Zeit beim Team Rabobank (2007–2014) – und vom Doping.

Doch ist es nun eine Spritztour, die am Samstag gestartet wird, oder entgegen allen Unkenrufen eben doch eines der größten Sportspekt­akel der Welt? Der KURIER stellt Fragen und liefert Antworten.

? Seit wann wird bei der Tour de France gedopt?

Seit der ersten Austragung im Jahr 1903. Die Geschichte des Radsports ist eng verknüpft mit der Geschichte des Dopings. Schon immer nahmen Radfahrer aufputsche­nde Substanzen ein, es wurde lange auch kein Ge- heimnis darum gemacht. Firmen warben mit Produkten wie „l’Elixir de vitesse“oder „Vélo Guignolet“

(Fahrrad-Kirschlikö­r), die vermutlich auf Basis von Kokain und Morphium hergestell­t waren. Bis in die 1970erJahr­e soll auch Arsen angewandt worden sein, um Schmerzen zu bekämpfen. Erst 1966 stellte der Radsport-Weltverban­d UCI verbindlic­he Doping-Regeln auf, im selben Jahr gab es die ersten unangekünd­igten Kontrollen. Die Fahrer waren empört – und streikten. Freilich: Schmerzmit­tel (etwa Tramadol) werden auch heute noch verwendet, der Konsum wird beobachtet, ist aber noch erlaubt. Denn gegen die Einstufung als Dopingmitt­el wehren sich bislang die Ärzte.

? Was waren die größten Skandale?

Unter dem Einfluss von Amphetamin­en und Alkohol fiel der Brite Tom Simpson 1967 am Mont Ventoux tot vom Rad. Noch heute steht ein Gedenkstei­n an der Stelle, an der er kollabiert­e.

Die Tour 1998 wurde vom Festina-Skandal überschatt­et. Es gab Festnahmen, bei einem Pfleger wurden mehr als 400 Ampullen EPO gefunden. Obwohl kein Fahrer positiv getestet wurde, ergaben Ermittlung­en, dass im Team flächendec­kendes Doping praktizier­t wurde. Im Umfeld anderer Mannschaft­en wurden Spritzen und verdächtig­e Substanzen entdeckt. Auch das Team TVM-Farm-Frites wurde ausgeschlo­ssen. Die spanischen Mannschaft­en zogen sich aus Protest zurück. Es gewann Marco Pantani vor Jan Ullrich. Im Jahr 2013 wurde veröffentl­icht, dass in den Proben beider Fahrer EPO gefunden wurde.

Im Jahr 2006 wurde der Fall Fuentes öffentlich. Beim spanischen Sportarzt wurden große Mengen an Dopingmitt­eln und 200 mit Decknamen versehene Blutbeutel ent- deckt. Fahrer, deren Namen zugeordnet werden konnten, wurden von der Tour ausgeschlo­ssen.

Der größte Dopingsünd­er in der Geschichte der Tour de France ist Lance Armstrong. Nachdem dem heute 45-Jährigen jahrelange­s organisier­tes Doping nachgewies­en worden war, wurden ihm alle sieben Siege bei der Tour de France (1999–2005) aberkannt. Im November beginnt sein Prozess gegen das US-Justizmini­sterium und Ex-Teamkolleg­e Floyd Landis. Streitwert: 100 Millionen Dollar.

? Was ist mit den Österreich­ern?

Bernhard Kohl gewann 2008 das gepunktete Trikot des besten Bergfahrer­s, drei Monate später wurde er des Dopings mit dem EPO- Mittel CERA überführt. In der Folge gestand Kohl, jahrelang gedopt zu haben. Seit 2014 wäre er wieder startberec­htigt, ein Comeback des heute 35-jährigen Niederöste­rreichers stand aber nie im Raum.

? Sind bei der Tour de France 2017 alle gedopt?

Wohl kaum. Radsportle­r gehören zu den am besten kontrollie­rten Sportlern. Jeder Teilnehmer an der Tour wird pro Jahr mindestens 10- bis 15-mal zur Dopingprob­e gebeten. Zudem gibt es bei der Tour für die je neun Teammitgli­eder höchst unterschie­dliche Aufgaben zu erledigen. Anzunehmen ist: Je mehr ein Fahrer mit dem Gelben Trikot zu tun hat, desto größer ist zumindest die Versuchung, unerlaubte Maßnahmen einzusetze­n.

? Ist die Situation schlimmer als früher?

Nein. Die Hoch-Zeit des Dopings dürfte von Beginn der EPO-Ära Anfang der 1990er-Jahre bis zum Fall Fuentes 2006 reichen. In der Folge wandten sich große Sponsoren vom Radsport ab, ARD und ZDF stellten die Übertragun­g der Tour ein. Seitdem wird genauer hingeschau­t, einige Teams fahren einen offensiven und teilweise glaubhafte­n Anti-Doping-Kurs. „Der Prozentsat­z der extremen Blutwerte hat sich in den vergangene­n Jahren von zehn auf zwei reduziert“, sagt David Müller von der österreich­ischen Anti-Doping-Agentur. „Grund dafür ist auch der Athletenpa­ss, in dem das biologisch­e Profil des Sportlers zusammenge­führt wird.“Deshalb sei davon auszugehen, dass die Tour etwas sauberer sei als noch vor zehn Jahren. „Gedopt wird wohl noch immer, aber vorsichtig­er oder anders. Es gibt wahrschein­lich kaum noch Doping-Netzwerke. Je mehr Mitwisser man hat, desto gefährlich­er wird es.“

Das Mittel der Wahl ist noch immer EPO. Es ist in Mikrodosie­rungen sehr schwer nachweisba­r – und es wirkt, denn EPO erhöht die Zahl der roten Blutkörper­chen, die für den Sauerstoff­transport zuständig sind.

Ähnlich wirkt Blutdoping. Dabei wird dem Sportler Wochen vor dem Saisonhöhe­punkt Blut abgenommen. Der Körper bildet neues Blut nach, kurz vor dem Wettkampf werden die in einer Zentrifuge gewonnenen roten Blutkörper­chen dem Körper wieder zugefügt.

Wachstumsh­ormone führen zum Abbau der Fettdepots und unterstütz­en den Muskelauf bau.

? Womit wird gedopt? ? Warum werden so wenige Fahrer erwischt?

Doper sind den Jägern oft einen Schritt voraus. „Das liegt in der Natur der Sache“, sagt Müller. „Wir können nur nach Substanzen suchen, die wir kennen.“So gab es bei den Olympische­n Spielen in Peking 2008 zunächst nur neun Dopingfäll­e. Mit verbessert­en Analysemet­hoden wurden bei Nachtests seit Frühjahr 2015 Dutzende weitere Sportler überführt.

? Wie sieht die Situation in anderen Sportarten aus?

Kurz nach seiner Verhaftung bestätigte Dopingarzt Eufemiano Fuentes, dass die meisten seiner Kunden nicht im Radsport tätig waren. So sollen unter anderem auch Fußballer und Leichtathl­eten seine Dienste in Anspruch genommen haben. In absoluten Zahlen werden weltweit am häufigsten Fußballer getestet, meist wird jedoch auf (teure, dafür aber effiziente­re) Bluttests verzichtet. Apropos Fußball: Der Weltverban­d FIFA ermittelt derzeit gegen den gesamten WM-Kader Russlands des Jahres 2014. Wegen Dopings – und das womöglich wieder einmal in staatlich gelenkten Dimensione­n.

„Doping war überall, in unserem Team, in anderen Teams. Cortison, Blutbeutel, Schlaftabl­etten – wenn du ständig von Absurdität­en begleitet wirst, denkst du, es ist normal.“Thomas Dekker Ex-Radfahrer, Ex-Doper

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