Kurier

Schwarzer Jubeltag für Kurz

ÖVP kürt Sebastian Kurz mit 98,7 Prozent zum neuen Chef. Seine neue Parole: „Ich will mit euch dieses Land verändern.“

- VON DANIELA KITTNER UND RAFFAELA LINDORFER

Die Krawattend­ichte hat eindeutig abgenommen. In der von der Jungen ÖVP gekaperten Volksparte­i ist offener Hemdkragen angesagt. „Ich habe meine nur zu Hause vergessen, ich kenne mein Geburtsdat­um“, scherzt Innenminis­ter Wolfgang Sobotka über die unbeabsich­tigte Anpassung an die neuen Zeiten.

Im Linzer DesignCent­er beim ÖVP-Parteitag ist an diesem Samstag gute Laune angesagt. Es herrscht Auf bruchstimm­ung. Alles ist in Türkis, Seniorenbu­ndchefin Ingrid Korosec hat farblich passende Stücke aus dem Kleidersch­rank hervor gekramt. Das Bühnendeko­r besteht aus Containern mit offenen Türen – Reise, Auf bruch, Offenheit. „Ein Stück des Weges mit Sebastian Kurz gehen“– der alte Spruch von Bruno Kreisky wird auf diesem ÖVP-Parteitag mehrmals zitiert.

Angereist sind alle Parteioble­ute seit Erhard Busek (mit Ausnahme von Wolfgang Schüssel, der bei Helmut Kohls Verabschie­dung ist). Edith Mock nimmt den Applaus für ihren verstorben­en Ehemann Alois Mock entgegen. Wilfried Haslauer unterbrich­t seine Hochzeitsr­eise, um in Linz dabei zu sein.

Änderungen im Schnellver­fahren

Es ist tatsächlic­h ein ungewöhnli­cher Parteitag. Die Reden sind kurz, es gibt keine Delegierte­ndiskussio­n, das übliche Parteitags­programm wird in Schnellver­fahren abgespult. Drei Abstimmung­en in wenigen Minuten – und damit sind weitreiche­nde Statutenän­derungen in der ÖVP vollzogen. Kurz darf in Zukunft die Bundeslist­en eigenhändi­g besetzen, nicht nur für die Nationalra­tswahl, sondern für die EU-Wahl. Er hat ein Vetorecht gegen Landeslist­en. 50 Prozent der Kandidaten müssen Frauen sein – außer der Wähler reiht sie durch Vorzugssti­mmen um.

Reinhold Mitterlehn­er wird mit demonstrat­ivem Applaus für seine Verdienste geehrt. „Ich bin dabei, mich zu resozialis­ieren, zurück auf dem Weg aus der Politik in die Normalgese­llschaft“, erzählt Mitterlehn­er. Er ermahnt seine Partei zu mehr Geduld. „Ich bin der vierte Obmann in Folge, der seine vierjährig­e Funktionsp­eriode nicht fertig macht. Bei uns muss man keine Funktionsb­eschränkun­g, sondern eine Mindestdau­er einführen.“Zum Schluss wünscht Mitterlehn­er „Sebastian und der Partei“alles Gute und wird mit Standing Ovations verabschie­det.

Edith Mock geht nicht auf die Bühne, sondern spricht zum Parteitag in einem Videointer­view: „Die Politiker müssen immer an die kleinen Leute denken, sagte mein Mann. Wir sind alle kleine Leute, nur einige stehen halt öfter in der Zeitung.“

Es ist an Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner, den Höhepunkt des Tages einzumoder­ieren. Mit den Worten „Kurz hat Charakters­tärke, Mut und Durchsetzu­ngskraft“bittet er den Jungstar auf die Bühne.

Kurz kommt vor Jubel kaum zum Reden. Was er sagt, ist unspektaku­lär. Zurückhalt­end und artig wie gewohnt steht er auf der Bühne. Es gibt keine Angriff auf andere Parteien, nicht einmal einen Seitenhieb. Er gelobt, dies im Wahlkampf durchhalte­n zu wollen.

Kurz erzählt Anekdoten aus seinem Partei- und Politikerl­eben. Er spricht von seinen Eltern, die sich erstmals der Öffentlich­keit zeigen. Von seinem Programm verrät Kurz nur das Bekannte: 40 statt derzeit 43,4 Pro-

zent Steuer- und Abgabenquo­te, mehr Sparsamkei­t beim Ausgeben von Steuergeld, mehr Freiraum für den Einzelnen. Die restlichen Programmpu­nkte spart sich Kurz auf – der Wahlkampf ist noch lang und wird erst im September so richtig in Schwung kommen.

Eines macht Kurz jedoch klar: Er will „verändern“. „Wir reden uns in Österreich die Dinge gern schön. Wir geben nicht gern Probleme zu. Ich liebe dieses Land, aber wenn man es gut mit diesem Land meint, sollten wir uns nicht zufrieden geben. Wer aufs Mittelmaß zurück fällt, ist schnell weg vom Fenster.“

„Mit Eurer Hilfe will ich Kanzler werden“, hatte Wolfgang Schüssel den ÖVP-Delegierte­n im April 1995 zugerufen. Kurz lässt die Kanzlerans­age aus. Er sagt es anders: „Ich will gemeinsam mit Euch dieses Land verändern.“

Kurz wiederholt, dass die Mittelmeer­route geschlosse­n werden muss, „damit nicht Jahr für Jahr mehr Menschen ertrinken“. Er fordert ein, dass es in Österreich „gemeinsame Grundwerte“geben müsse – Leistung, Gleichstel­lung von Mann und Frau sowie Null Toleranz für (islamische­n) Extremismu­s. „Auch Multi-Kulti-Fans müssen zur Kenntnis nehmen, dass eine Gesellscha­ft ohne gemeinsame Grundwerte nicht funktionie­rt.“

Volksfest als Startschus­s

Neu ist das Drumherum des Parteitags. Rund ums DesignCent­er ist für ein Volksfest hergericht­et: Bierbänke und Tische mit Sonnenblum­en, Grillhuhn und Getränke. Große Videowalls und eine Bühne für die Musik. Es ist gerammelt voll, viele kommen, um Sebastian Kurz zu sehen. Der stößt nach seiner Wahl zum Obmann symbolisch die Türen der Parteitags­halle auf und geht hinaus. Der Start der „Bewegung“ist gut inszeniert. Stargäste wie Kiews Bürgermeis­ter Vitali Klitschko auf der Bühne, der von Ö3 ab-engagierte Profi-Entertaine­r Peter Eppinger sorgt für Stimmung, die Musikkapel­le spielt. Kurz geht nur für wenige Minuten auf die Bühne und bittet artig die Anwesenden um Unterstütz­ung. Dann geht er demonstrat­iv ins Publikum und schaut gemeinsam mit den anderen von unten auf die Bühne hinauf.

In all dem Jubel erhebt sich dann doch noch eine mahnende Stimme. Ex-Gemeindebu­ndpräsiden­t Helmut Mödlhammer warnt: „Vorsicht mit diesem Hype. Ein bissl mehr Demut wäre angebracht.“

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Der eigentlich­e ÖVPParteit­ag im Linzer DesignCent­er dauerte nur knapp zwei Stunden. Danach wurde Sebastian Kurz und sein Ergebnis von 98,7 Prozent der Delegierte­n-Stimmen ausgiebig gefeiert
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APA / HANS PUNZ
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 ??  ?? Kurz-Freundin Susanne und Eltern: Erstmals geht die Familie vor die Kameras
Kurz-Freundin Susanne und Eltern: Erstmals geht die Familie vor die Kameras
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Der mit 30 Jahren jüngste ÖVP-Chef soll den Weg ins Kanzleramt ebnen

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