Schul-Guru Salcher: „Neun Wochen Sommerferien sind zu lang“
Schlechtes Zeugnis. Autor Andreas Salcher erklärt, für wen die Ferien zu lange sind und warum das Reformpaket enttäuschend ist.
KURIER: Herr Salcher, die Schulkinder freuen sich über die neun Wochen Ferien. Ist diese lange Pause sinnvoll? Andreas Salcher: Wir sollten nicht vergessen, dass die neun Wochen Ferien aus einer Zeit stammen, als die Bauernkinder ihren Eltern im Sommer in der Landwirtschaft helfen mussten. Heute sind neun Wochen vor allem für die Kinder aus bildungsfernen Familien zu lange. Denn Tatsache ist, dass Kinder aus bildungsfernen Familien in den Ferien auf keine Reit-, Tennis- oder Sprachkurse geschickt werden. Dadurch bleiben die Kinder in einem Art Lernprozess. Die Kinder aus bildungsfernen Familien haben diese Chance nicht. Die Mädchen müssen putzen und die Burschen hängen herum. Vieles, was die Kinder im Unterricht mühevoll erlernt haben, vergessen sie in den Ferien. Welche Gegenmaßnahmen sollte man setzen?
Es braucht attraktive Lernangebote für diese Schichten auch in den Ferien. Die Infrastruktur in den Schulen und bei den Sportvereinen ist ja vorhanden. Generell braucht es aber mehr, um die bildungsfernen Familien aus der Misere zu holen. Wir benötigen eine Halbierung der Gruppengrößen in den Kindergärten und akademische Ausbildung der Kindergartenpädagogen. Dann brauchen wir Vorschulen, die Deutsch vor Eintritt in die Volksschulen intensiv vermitteln und verpflichtende echte Ganztagsschulen. Gehen wir zur Schulreform. Ein hochrangiger ÖVP-Politiker meint, die Schulreform ist ein Nullum. Wie beurteilen Sie das Paket?
Dieses Urteil ist richtig. Wer das SchulautonomiePakt auspackt, dem geht es wie dem Buben zu Weihnachten, der sich eine Playstation erhofft und ein Holzpferd bekommt. Warum so hart im Urteil?
Man hatte ambitionierte Pläne vor zweieinhalb Jahren, die ich auch unterstützt habe. Damals plante man, dass die Direktoren nur auf Zeit bestellt werden, aber dafür an ihren Standards gemessen werden, die die Schule erreicht. Sie bekommen pädagogische Budgets, dürfen sich ihr Lehrpersonal aussuchen und auch kündigen. Was ist übrig geblieben? Die Länder haben durchgesetzt, dass sich Österreich weiterhin neun Schulverwaltungen leistet. Dafür bleibt das riesige Bildungsmi- nisterium unangetastet. Es wird kein einziger Posten eingespart. Das einzig Neue ist, dass die Bildungsdirektoren jetzt gemeinsam, von der Bildungsministerin und dem jeweiligen Landeshauptmann, bestellt werden. Damit ist er Diener zweier Herren. Nicht einmal die Pflichtschulinspektoren wurden wirklich abgeschafft. Sie sind weiter die Vorgesetzten der Direktoren. Das ist ja ein Widerspruch zur Schulautonomie. Die Direktoren bekommen Freiheiten wie Mehrstufenklassen, Projektunterricht, das Lockern der 50-Minuten-Unterrichtseinheiten ohne Extrabewilligung. Ist das kein Fortschritt?
Ja, die 50-Minuten-Stunde darf unter sehr restriktiven Auflagen aufgelöst werden. Es gibt weiterhin für einen Direktor keine realistische Möglichkeit, sich von einem Lehrer zu trennen. Diese heilige Kuh bleibt unangetastet. Das heißt, die Autonomie ist eine Mogelpackung?
Wenn mansich den Gesetzestext durchliest, dann stehen bei der Autonomie gefühlte 25 Bedingungen, wer aller zustimmen muss, damit Autonomie stattfinden kann. Und dann heißt es noch, die Umsetzung wird zehn Jahre lang dauern. Da ist nichts drinnen, was realistisch in den Klassenzimmern etwas verbessern könnte. Erstmals wird die 25 Klassenschülerhöchstzahl in die Verfassung geschrieben. Ist das kein Erfolg?
Die Senkung von 30 auf 25 Schüler in den Klassen kostet den Staat 330 Millionen pro Jahr. Die Reduzierung der Klassengröße hat in punkto Lernerfolg aber nichts gebracht, was niemand verwundern sollte. Sie landet erst an 106. Stelle von 135 Einflussfaktoren in der JohnHattie-Studie. Wenn man wirklich einen Erfolg etwa in Brennpunktschulen erzielen will, muss der Direktor die Flexibilität haben, die Schülerzahl auf 12 zu senken. Eine Volksschullehrerin meinte erst kürzlich in einem ORFInterview, dass acht von 25 Kindern kaum dem Unterricht folgen können. Hier braucht man dringend kleinere Klassen. Erst bei dieser Schülerzahl von 12 können die Lehrer ihre Pädagogik ändern. Aber in einem gutbürgerlichen Bezirk, wo ohnehin die Eltern mit den Kindern lernen und Nachhilfe an der Tagesordnung steht, ist es nicht entscheidend, ob 25 oder 30 Kinder Frontalunterricht bekommen. Auch wenn jetzt einige aufschreien, das beweisen alle Studien. Dann müsste die Christian-KernForderung von 5000 zusätzlichen Lehrern goldrichtig sein.
Das ist falsch. Im Jahr 1971 hatten wir 1,241.536 Schüler und 68.342 Lehrer. Im Jahr 2015 hatten wir 1.113.937 Schüler und 125.011 Lehrer. Einfach formuliert: Die Zahl der Schüler ist in den letzten 44 Jahren um 128.000 gesunken, die Zahl der Lehrer hat sich fast verdoppelt. Trotzdem reden alle vom Lehrermangel. Warum?
Einerseits wegen der Senkung der Klassenschülerhöchstzahl auf 25. Dann schickt man noch Generationen von Lehrern in die Hacklerpension und dann wundert man sich, wenn es zu wenige gibt. Wie der Rechnungshof aufgedeckt hat, gingen 95 Prozent aller österreichischen Landeslehrer von 2008 bis 2013 entweder mit der Hacklerregelung oder wegen Berufsunfähigkeit in die Frühpension. Ganze fünf Prozent erreichten das gesetzliche Pensionsalter von 65, im ganzen Burgenland übrigens ein einziger. An manchen Pädagogischen Hochschulen scheitern fast die Hälfte der Bewerber als Volksschullehrerinnen am Rechtschreibtest. Ich höre, dass es Pädagogische Hochschulen gibt, an denen 40 Prozent der zukünftigen Volksschullehrerinnen die Bildungsstandards in Mathematik für die vierte Volksschule nicht schaffen. Fazit: Die Zahl der guten Lehrer lässt sich nicht beliebig steigern. Das Interview in voller Länge lesen Sie auf kurier.at