„Nur mit Zuversicht werden wir
Afrika. „Aufregend war es immer“heißt das Buch, in dem der frühere KURIER-Chef Hugo Portisch aus seinem Leben berichtet. Aber er blickt auch in die Zukunft und schlägt einen Marshall-Plan für Afrika vor, den er im Gespräch mit Helmut Brandstätter erörtert
Herr Dr. Portisch, in Ihrem Buch schreiben Sie den Satz: „Wer Europa retten will, muss Afrika retten“. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Gedanke „Wer Amerika retten will, muss Europa retten“zum Marshall-Plan. Wir sind also auf ein funktionierendes Afrika angewiesen? Hugo Portisch: Ja, wir sind darauf angewiesen, wenn wir die Einwanderung nach Europa halbwegs in den Griff bekommen wollen. In Afrika leben mehr als eine Milliarde Menschen, viele davon wollen nach Europa. Im Jahr 2050 sind es vielleicht zwei Milliarden. Wenn wir wollen, dass sie nicht nach Europa drängen, dann müssen wir ihnen zeigen, dass es sich lohnt, in Afrika zu bleiben. Ein Satz im Buch hat mich überrascht: „Afrika ist kein so hoffnungsloser Kontinent.“Es gibt dort keine funktionierende Demokratie, aber viel Korruption. Woher nehmen Sie Ihre Hoffnung?
Ich habe in Afrika eine Journalistenschule mitbegründet, in Nairobi, allerdings ist Kenia einer der fortschrittlichsten afrikanischen Staaten. Wir haben in dieser Schule 50 Leute aufgenommen und sie mussten Vorleistungen erbringen, also die Matura haben. Das ist in Afrika schon eine seltene Leistung. Sie mussten zwei Jahre Praxis vorweisen in einer Redaktion, die bereit war, ihren Lebensunterhalt zu bezahlen. Waren das nur Kenianer?
Nein, das war für alle englischsprachigen Afrikaner, von Äthiopien bis Südafrika. 3000 Bewerber haben diese Bedingungen erfüllt. Und man sage mir nicht, dass das in einem chaotischen, hoffnungslosen Kontinent möglich ist. Das ist lange her, aber das Potenzial ist ja nicht kleiner geworden. Das Wirtschaftswachstum wird stark von den Chinesen angetrieben. Sie investieren dort, wo Rohstoffe sind – werden aber nicht für Demokratie sorgen oder für einen Marshall-Plan.
Ja, sie wollen die Rohstoffe haben, aber sie bauen auch die Eisenbahnen aus, sie bauen Sportstadien. Sie waren immer schon große Konkurrenten in Afrika, schon vor langer Zeit. China und Russland haben die Amerikaner und Europäer stellenweise schon übertroffen, in der Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Der Marshall-Plan kam in ein zerstörtes Europa, wo es aber industrielle Erfahrung gab und wo sich die Erzfeinde Deutschland und Frankreich aussöhnen wollten. Es gab also auch eine politische Grundlage.
Ich habe den Marshall-Plan nur genannt als Mechanismus. Der Mechanismus war ja sehr einleuchtend: Ein Land schenkt die Güter her, aber beauftragt die Regierung, die sie bestellt, sie intern zu verkaufen – an die Bauern und die Baufirmen. Diese bekommen sie auf Kredit auf zehn Jahre, fast zinsenlos, und verdienen mit den Maschinen ihr Geld und mit diesem Geld bezahlen sie ihre eigenen Regierungen. Und die Regierung investiert dieses Geld wieder in die Wirtschaft. Was bis heute wirkt, weil es den ERP-Fonds und die Mittel davon ja bis heute gibt ...
Ja, und die laufen weiter. Das wird immer wieder in die Wirtschaft gesteckt. Und die zweite Idee hinter dem Marshall-Plan war, dass die Empfängerstaaten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit gezwungen wurden. So wurde die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa“gegründet, im Endeffekt war das die Gründung der Europäischen Union. Weil aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde die EWG und aus der EWG wurde die Europäische Union. Beim Marshall-Plan waren wir dabei, aber die EWG war für Österreich verschlossen.
Mit der EWG mussten wir warten, bis die Sowjetunion zugrunde ging. Ich war bei Bundeskanzler Raab 1957, als die EWG-Verträge in Rom unterschrieben wurden, zu einem Kaffeeplausch. Und Raab sagte, „also wir gehen dazu“. Ich fragte ihn „wozu?“Er sagte, zur EWG. Ich habe aber gewusst, dass die Russen schon Wochen vorher vehement gegen die EWG aufgetreten sind. So fragte ich Raab, was denn die Russen dazu sagen. Und er sagte „die werden nicht gefragt“. Und er hat auch nicht gefragt, aber ein paar Wochen später haben die Sowjets schon ein Veto eingelegt, falls wir die Absicht hätten, zur EWG zu gehen. Die Begründung war ganz einfach: Ein Beitritt zur EWG wäre ein Anschluss an Deutschland. Und der Anschluss an Deutschland ist im Staatsvertrag verboten. Der Stalin hat auch allen kommunistischen Ländern verboten, dem Marshall-Plan beizutreten. Zurück nach Afrika, wie soll ein Marshall-Plan dort funktionieren?
In Afrika muss man das ganz neu denken. Zuerst braucht es dort funktionierende Regierungen – das ist schon mal sehr schwer. Aber ich glaube, wenn man ihnen genügend Perspektiven gäbe, fände man auch genügend Potenzial. Und in Afrika muss man Aufpasser neben die Regierung stellen. Aber das Prinzip bleibt: Wir schenken ihnen was und damit helfen wir ihnen, selbst eine Perspektive zu entwickeln. 80 Dollar pro US-Bürger sind damals in den Marshall-Plan investiert worden, also 13 Milliarden. Bei 500 Millionen Europäern und 200 Euro pro Europäer wären das 100 Milliarden Euro.
Mit 100 Milliarden kann man eine gigantische Organisation auf bauen, und zwar eine, die in europäischen Händen bleibt, bis die Afrikaner so weit sind, dass sie sich selbst verwalten können. Aber vorerst müssen wir uns noch was für die Flüchtlinge überlegen.
Da sind wir jetzt beim ganz anderen Thema. Was ich aufgezählt habe, das ist eine Utopie, die aber machbar wäre, wenn wir uns alle anstrengen. Aber es bedarf sehr sorgfältiger Vorbereitungen, eines großartigen Willens der Europäer, das auch zu tun, der fehlt zurzeit noch. Der Marshall-Plan hat ja auch eine zweite Seite, die man immer vergisst. Er hat ja Amerika selbst geholfen, denn das Steuergeld für den Marshall-Plan, das die Amerikaner gezahlt haben, blieb in Amerika. Sie haben ja nicht Geld nach Europa gegeben, sondern sie haben die Güter, die in Europa gebraucht wurden, in Amerika herstellen lassen, erzeugt, und dort bezahlt, und erst dann nach Europa geliefert. Die Amerikaner wussten, dass nur ein wirtschaftlich florierendes Europa wieder demokratisch werden kann?
Auch wollten sie einen Handelspartner und Verbündete damit auf bauen. Sie haben gewusst, wenn man das zerstörte Europa sich selbst überlässt, wird der Kommunismus siegen. Er hätte auch gesiegt. Denn in Frankreich und Italien waren die kommunistischen Parteien fast schon regierungsreif. Das hätte nicht lang gedauert. Nach 1949 ist dann endgültig klar geworden, der Kommunismus siegt nicht mehr. Weil der amerikanische Wohlstand und die mitgebrachte Demokratie war bedeutend attraktiver. Aber ohne Marshall-Plan wären wahrscheinlich die Kommunisten siegreich gewesen. Werden wir erst dann begreifen, dass wir in Afrika aktiv werden müssen, wenn noch viele Millionen Flüchtlinge gekommen sind?
Es kommen schon jetzt Ideen dieser Art auf, selbst in Deutschland wird geliebäugelt mit einem gemeinsamen Plan für Afrika. Aber ich glaube, die Europäer brauchen immer ziemlich lang, bis sie kapieren, was in ihrem eigensten Interesse zu liegen hat. Wenn es wirklich stimmt, dass man die Mittelmeerroute schließen kann, wenn die Anzahl der Flüchtlinge deutlich reduziert wird, dann wird der Druck auf Europa aber wieder weniger.
Ich weiß nicht, wie man den Druck deutlich reduzieren kann ohne Gewalt. Es ist ja eigentlich auch die Balkanroute mit Gewalt geschlossen worden. Man hat die Flüchtlinge zurückgedrängt nach Griechenland, die Griechen sind da ordentlich drangekommen und kommen noch immer ordentlich dran. Mit Menschenrechten hatte das nichts zu tun, die Balkanroute zu schließen. Aber der Plan ist ja, die Mittelmeerroute zu schließen und in Afrika Flüchtlingslager zu bau-