Kurier

„Ich hoffe, dass Gott mir hilft“

In einem Flüchtling­slager bei Rom trifft man auf Schicksale, die von der Sahara bis Österreich führen

- AUS ROM IRENE MAYER-KILANI

Hamda aus Somalia hat eine Odyssee hinter sich. Nach einer lebensgefä­hrlichen Flucht aus Somalia über Libyen und das Mittelmeer landete sie in Graz, wo sie ein Jahr lebte. Dort kam auch ihr mittlerwei­le eineinhalb­jähriger Sohn Abdi zur Welt. Die junge Frau lernte bereits Deutsch – bis sie eines Tages nach Italien zurückgesc­hoben wurde, weil dort nach der Landung auf Sizilien ihre Fingerabdr­ücke abgenommen wurden.

An diesem drückend schwülen Nachmittag trifft der KURIER die junge Mutter in der vom Roten Kreuz betreuten Flüchtling­sunterkunf­t in der Via Frantoio an der nördlichen Peripherie Roms. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Ich warte und hoffe, dass Gott mir hilft“, sagt sie gelassen.

Gerade wird Essen ausgeteilt, eine Cateringfi­rma hat Omelettes, Karottensa­lat und Pizza gebracht. Abdi streckt seine kleinen Hände aus und greift hungrig zu. Im Nebenraum schläft Hamdas neugeboren­e Tochter Annisa. Ihr Name bedeutet Freude.

Zur Mittagszei­t treffen sich alle in der Mensa. Zur Zeit finden im voll belegten Lager 85 Leute Unterschlu­pf. Die meisten kommen aus Eritrea, Somalia, Mali, Gambia und bleiben einige Monate. Familien, junge Frauen, viele Männer stellen sich in der Schlange an.

„Jeder hier hat eine unglaublic­he Geschichte, mit denen man Bücher füllen könnte“, staunt Giorgio De Acutis, der örtliche RotKreuz-Leiter. Er zieht an seiner Zigarette. Zuvor hat er noch ein paar Glimmstäng­el verschenkt an schnorrend­e „ospiti“, seine Gäste, wie er die Leute im Camp nennt.

Demos gegen Afrikaner

An diesem Freitag macht sich Nervosität breit. Die Straßen vor dem rosa gestrichen­en Rot-Kreuz-Haus wurden von der Polizei hermetisch abgeriegel­t.

Am Nachmittag ruft die neofaschis­tische Bewegung Casa Pound zur Anti-Ausländer-Demo. Sie protestier­en gegen die Vertragsve­rlängerung der Flüchtling­sunterkunf­t, die im Juni geschlos- sen werden sollte. Am anderen Straßenend­e haben sich die Unterstütz­er des Flüchtling­shauses versammelt.

„Die wahren Probleme des Viertels sind nicht die Migranten“, betont eine Teilnehmer­in. Tiburtino III zählt zu den sozial schwächste­n Vierteln Roms. Jeder zweite hier ist arbeitslos, 25 Prozent der Jugendlich­en sind Pflichtsch­ulabbreche­r, Drogenhand­el und Kriminalit­ät prägen den Alltag.

„Unsere Gäste machen keine Probleme im Viertel, es gab bisher weder Aggression­en noch Streit“, erzählt De Acutis. „Wir wollen die Bewohner mit unseren Leuten zusammenzu­bringen. Wenn man sich kennt, gibt es weniger Probleme,“weiß De Acutis aus Erfahrung. Er bittet die eritreisch­en Frauen, für „die uns wohlgesonn­enen Demonstran­ten euren köstlichen Kaffee zuzubereit­en“.

Wer in einem der überfüllte­n offizielle­n Auffanglag­er keinen Platz bekommt, findet bei Baobab Unterschlu­pf. Am Parkplatz der Piazzale Est der Bahnstatio­n Tiburtina stößt man am Ende der Straße zwischen Autos und Müll auf ein brachliege­ndes Gebiet. „Hotel Afrika“nennt man inzwischen das einsturzge­fährdete Gebäude. Hier hat der Flüchtling­sverein Baobab das neue Lager aufgeschla­gen. Aktuell nächtigen hier 150 Männer großteils aus Eritrea, Somalia, Sudan. Auch ein paar minderjähr­ige Burschen sind darunter. Paul von der Elfenbeink­üste begrüßt die Helfer mit einer herzlichen Umarmung.

Hilfe über Facebook

„Du bist mein Engel“, sagt der junge Afrikaner zu der Aktivistin Raffaella Bracale, die jeden Tag im Camp vorbeischa­ut. „Wir besorgen dreimal am Tag essen, alles von Freiwillig­en über Facebook und Mundpropag­anda organisier­t“, sagt Bracale.

Täglich gilt es 150 Essen zu besorgen, in Spitzenzei­ten 500 Portionen täglich. In dem improvisie­rten Lager gibt es weder Strom, noch Wasser, noch ein Dach über dem Kopf und nur wenige Matratzen unter freiem Himmel in der prallen Sonne. „Wir arbeiten mit Ärzten, Psychologe­n und Juristen zusammen, die die Leute über ihre Rechte auf klären,“sagt Bracale.

Die Eritreer, die vor der Diktatur f liehen, hätten Recht auf Aufnahme in das „Relocation“-Programm. Das interne EU-Umverteilu­ngsprogram­m scheitert jedoch in der Praxis.

Baobab wurde erst vor wenigen Tagen zum zwanzigste­n Mal von der Polizei geräumt. „Sie warfen alles weg: Gespendete Zelte, Isomatten, Schlafsäck­e und persönlich­e Gegenständ­e“, ärgert sich Raffaella: „Wir beginnen jedes Mal wieder von Null.“

Bei der letzten Razzia legte sich Paul vor das Auto der Exekutive. „Mein Blut ist genauso rot wie eures und nicht grün oder schwarz“, verteidigt sich der Afrikaner gegen die Polizeiübe­rgriffe.

Eine Gruppe vertreibt sich die Zeit beim Fußballspi­elen. Ein paar andere machen sich mit Plastikkan­istern auf Richtung Wasserquel­le, die sich einige hunderte Meter vom Camp weg befindet. Sie nutzen auf dem Weg die Kanister als Trommel und bewegen sich singend im Rhythmus: „Es ist nicht viel anders als in Afrika hier, wo wir weite Wege zur Wasserquel­le zurücklege­n. Rom ist ein hartes Pflaster“meint Ahmed, ein hühnenhaft­er Somalier.

Die Stadt Rom versagt bei der Flüchtling­sunterbrin­gung kläglich. Nicht nur weil Bürgermeis­terin Virginia Raggi keine Flüchtling­e mehr aufnehmen will. „Sie bekommt Geld vom Staat für die Unterbring­ung. Ich frage mich, wo das landet“, ärgert sich Bracale. Der Rot-Kreuz-Mann pflichtet ihr bei: „Eine DreiMillio­nen-Stadt kann durchaus 7000 bis 8000 Menschen, die vor Krieg und Verfolgung f liehen, Schutz bieten“. Von einem Notstand zu sprechen hält er für übertriebe­n. Ein Skandal hingegen sei, dass Leute auf der Straße landeten. So wie Hamda, die bis kurz vor der Niederkunf­t ihrer Tochter bei Baobab im Freien am Boden schlief.

 ??  ?? Flüchtling­salltag am Rand von Rom: Hier leben Schwarzafr­ikaner oft ohne Dach über dem Kopf, ohne Wasser und ohne Perspektiv­e
Flüchtling­salltag am Rand von Rom: Hier leben Schwarzafr­ikaner oft ohne Dach über dem Kopf, ohne Wasser und ohne Perspektiv­e
 ??  ?? Aus Österreich abgeschobe­n: Hamdi und ihr kleiner Sohn sind in Rom auf der Straße gelandet
Aus Österreich abgeschobe­n: Hamdi und ihr kleiner Sohn sind in Rom auf der Straße gelandet
 ??  ?? Helferin Raffaella mit Paul. Der Westafrika­ner lebt seit Wochen in dem improvisie­rten Camp
Helferin Raffaella mit Paul. Der Westafrika­ner lebt seit Wochen in dem improvisie­rten Camp
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„Es gäbe mehr Plätze“: Rot-Kreuz-Leiter De Acutis

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