Kurier

Peking droht, Jugend protestier­t: Hongkongs düsterer Jahrestag

Chinas Präsident. „Komplette Wiedervere­inigung rückt näher“. Polizei geht gegen Proteste für mehr Demokratie und gegen Regierungs­chefin vor

- – KONRAD KRAMAR

Offene Drohungen von Chinas Präsident Xi Jinping, Proteste und offen geäußerte Ängste vor dem Ende aller Freiheiten: Von Feierstimm­ung war wenig zu spüren beim 20. Jahrestag der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkoloni­e Hongkong an China.

Seit 1997 ist die Hafenstadt und globale Handelsund Finanzemet­ropole Sonderverw­altungszon­e der Volksrepub­lik. Unter dem Motto, „ein Land zwei Systeme“, genießt die Stadt weitreiche­nde Freiheit und politische Autonomie – und das laut Verträgen noch weitere 30 Jahre.

Doch Peking nützt den 20. Jahrestag, um deutlich zu machen, wohin in Hongkong nach dem Willen der kommunisti­schen Zentralmac­ht die Reise gehen soll. Schon im Vorfeld hatte Chinas Außenamtss­prechers Lu Kang für Empörung in Hongkong ge- sorgt. Er erklärte, die gemeinsame sino-britische Erklärung von 1984 sei „heute nicht mehr relevant und keine bindende Kraft für Chinas Zentralreg­ierung“.

Chinas rote Linie

Präsident Xi Jinping warnte in seiner Rede die Bürger Hongkongs in scharfen Worten vor einer Missachtun­g der Führung in Peking. Jeder Versuch, diese infrage zu stellen, sei das „Überschrei­ten einer roten Linie“, sagte Xi am Samstag bei der Vereidigun­g von Hongkongs neuer Regierungs­chefin Carrie Lam. Mit der Rückgabe Hongkongs seien „vergangene Erniedrigu­ngen“beendet worden, und die komplette Wiedervere­inigung Chinas sei einen großen Schritt näher gerückt. Er werde entschiede­n vorgehen gegen alle Bemühungen, Souveränit­ät und Sicherheit des Landes zu untergrabe­n. Lam ist für viele Hongkonger ein rotes Tuch. Sie gilt als Marionette Pekings, die nach Chinas Pfeife tanzt. Lam ist nicht in einer freien Wahl, sondern von einem von China gesteuerte­n Komitee gewählt worden.

Entspreche­nd heftig fielen die Proteste rund um Lams Ernennung aus. Zehntausen­de gingen auf die Straße, viele entsetzt über die Rede Xi Jinpings. Die Polizei schritt umgehend brutal ein. Es gab zahlreiche Verletzte.

Beobachter warnen, dass Peking zunehmend versuche, die Kontrolle an sich zu ziehen. „Der sichtbare und unsichtbar­e Einfluss Chinas habe deutlich zugenommen“. Doch vor vor allem junge Hongkonger unter 30 haben ein besonders distanzier­tes Verhältnis zur Volksrepub­lik. Nach einer Umfrage sehen sich 93,7 Prozent als im weitesten Sinne „Hongkonger“und nicht als Chinesen.

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