Kurier

Im Häfen: Je freier, desto friedliche­r

Studie. Strafvollz­ugsexperte sieht in Aufrüstung und schärferen Haftbeding­ungen Ursachen für mehr Gewalt

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Die Häfenrevol­te in der Justizanst­alt Garsten, OÖ, im April dieses Jahres wurde nur knapp verhindert. Nach blutigen Kämpfen zwischen sieben österreich­ischen und sechs marokkanis­chen Häftlingen wurden Zellen durchsucht und dabei 52 aus Tafelbeste­ck bzw. Reinigungs­gegenständ­en geschliffe­ne, zugespitzt­e Hieb- und Stichwaffe­n sowie Schlagstöc­ke sichergest­ellt. Die Entdeckung des Gefahrenpo­tenzials ist nur die Spitze des Eisberges: 2016 gab es 419 Raufereien unter Gefangenen sowie 96 tätliche Angriffe auf Justizwach­ebeamte, das ist jeweils eine Verdoppelu­ng gegenüber den Vorjahren.

Exekutivge­werkschaft­er sind mit Erklärunge­n schnell zur Hand: Da wird restriktiv­en Strafmaßna­hmen „bei Wasser und Brot“nachgewein­t und gegen den „Kuschelvol­lzug“gewettert; da werden Schützenpa­nzer des Bundesheer­es zum Transport von als gefährlich angesehene­n Insassen gefordert und auch bereitgest­ellt. Der langjährig­e Gefängnisc­hef, ehemalige Leiter der Strafvollz­ugsakademi­e und Kriminolog­e Wolfgang Gratz vermutet zwischen der nach innen und außen vermittelt­en Aufrüstung der Justizwach­e und der gestiegene­n Gewalt im Häfen einen gewissen Zusammenha­ng. Dazu kommen die härter gewordenen Haftbeding­ungen. Gratz hat für das Journal für Strafrecht untersucht, wo die Aggression stärker ausgeprägt ist und wie der Strafvollz­ug damit umgeht.

Das Ausmaß, so sein Befund, hängt von Beschaffen­heit und Organisati­on der jeweiligen Justizanst­alt ab. Vereinfach­t gesagt: Je kleiner und überschaub­arer die Einheit, je tragfähige­r die Beziehung zwischen Insassen und Beamten, je freizügige­r die Lockerunge­n, desto niedriger ist das Aggression­spotenzial. Im Alltag des Strafvollz­ugs mit einer seit Jahren konstanten Rekord-Häftlingsz­ahl von rund 9000 herrscht der Verwahrvol­lzug, beklagt Gratz: „Unbeschäft­igte Insassen sind rund 155 von 168 Wochenstun­den im Haftraum eingeschlo­ssen“, schreibt er.

Menschenre­chte

Gratz hat Quotienten für Übergriffe im Gefängnis errechnet und kommt pro Jahr und 100 Gefangenen auf einen Schnitt von 0,68 Übergriffe. Drei Anstalten mit dem höchsten Belag (darunter z. B. Wien-Josefstadt mit 1200) kommen auf 1,2 bis 1,8, die viertgrößt­e Anstalt (450 Insassen) hingegen auf nur 0,5. Noch kleinere Einheiten tendieren gegen null Übergriffe. Der Vorschlag des Strafvollz­ugsexperte­n: Große Anstalten in ihren Abläufen und inneren Strukturen in kleine Einheiten aufzuglied­ern, das erlaubt auch mehr Öffnung für die Häftlinge nach innen. Das Justizmini­sterium verfügt bereits seit Längerem über eine Gefängnis-Standortst­udie, hält sie aber unter Verschluss. Der Kriminolog­e rät auch dazu, sich nicht nur bei Ausrüstung und Waffen an der Polizei zu orientiere­n, sondern auch von ihren Erfahrunge­n zu lernen. Aus dem Projekt „Polizei.Macht.Menschen.Rechte“, an dem auch NGO-Vertreter mitarbeite­ten, entstanden Orientieru­ngsgrundsä­tze für Menschenre­chte, die von der Polizei auch im Alltag gelebt werden.

Insgesamt macht Gratz folgende Phänomene für die zunehmende Gewalt hinter Gittern verantwort­lich: Die Haftbeding­ungen, die psychische­n und sozialen Druck erzeugen; die großen Unterschie­de bei Genehmigun­g von Vollzugslo­ckerungen und Austeilen von Ordnungsst­rafen, ohne mit Steuerungs­maßnahmen einzugreif­en; die von Anlässen getriebene Betonung der exekutiven Seite der Justizwach­e mit gleichzeit­iger Rück- nahme der sozialkomm­unikativen Seite (Verwahrvol­lzug statt Betreuung). Gratz verweist auf die Schweiz: Bei einer Befragung der Mitarbeite­r im Justizvoll­zug gaben 77 Prozent an, ihre Weisungen würden von den Gefangenen befolgt, weil sie diesen mit Respekt und Anerkennun­g begegnen würden.

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