Im Wiener Kaffee wird umgerührt
Umdenken. Gerade hat das Griensteidl geschlossen. Ist die Kaffeehauskultur in Gefahr?
Auch wenn man es gar nicht übersehen könnte, weil ein Foto und ein goldenes Schild darauf hinweisen, wird Manfred Staub nicht müde zu erklären: „Das war der Platz, an dem einst Franz Lehár gesessen ist.“„Und an dem später seine Witwe geheult hat“, ergänzt Monika Staub.
Das vom Ehepaar Staub geführte Café Sperl in der Gumpendorfer Straße in Wien-Mariahilf ist der Inbegriff des Wiener Traditionskaffeehauses. 1880 eröffnet, ist es noch immer original ausgestattet. Die ThonetStühle aus dem Jahr 1880, genauso die Polsterüberzüge und die Marmortische. Niemals wurde etwas renoviert, immer nur restauriert.
Seit vergangenen Mittwoch das Café Griensteidl am Michaelerplatz zugesperrt hat, ist die Wiener Kaffeehauskultur wieder im Gespräch. Der Verlust des Griensteidl wird bedauert, wenngleich – ganz wienerisch – nicht ohne ein bisschen nachzutreten: Der Kaffee in so manchem Traditionsbetrieb sei wässrig und überteuert, die Kellner unfreundlich und die Mehlspeis’ nicht selbst gemacht – lautet der Vorwurf. Steckt die Wiener Kaffeehauskultur, die seit 2011 zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO zählt – in der Krise?
Frisch gekocht
„Nein“, sagt Manfred Staub. „Menschen, die nach Wien kommen, wollen ein Traditionscafé sehen.“Seit 1968 betreibt der mittlerweile 96-Jährige das Sperl. Er hat schon einige Kaffeehäuser eingehen sehen. „Schad’ ist es um jedes“, sagt Staub.
Im Sperl wird noch jeden Tag frisch gekocht und gebacken: Sachertorte, Apfelstrudel und natürlich die Sperl-Schnitte. Die Säfte sind frisch gepresst – auch der Zitronensaft für das Mineral. „Das tun sich halt viele nicht mehr an“, sagt Staub.
Auch das mit dem wässrigen Kaffee sei nicht ganz von der Hand zu weisen. „Auch wir haben eine Zeit lang mit dem Kaffee gekämpft“, erzählt Monika Staub. „Aber wir haben lange getüftelt und schließlich gewechselt.“Und jetzt schmecke er wieder, der Kaffee.
Nachwievorist die Wiener Kaffeehauskultur eines der wichtigsten Aushängeschilder für den Wien-Tourismus. „Natürlich lebt Wien von der Tradition“, sagt Stadträtin Renate Brauner (SPÖ). „Aber Wien ist auch Vielfalt.“
Damit ist unter anderem die Vielzahl an neuen sogenannten Third-Wave-CoffeeShops gemeint. „Wir sind die moderne Übersetzung des traditionellen Kaffeehauses“, sagt Werner Savernik. Gemeinsam mit Evelyn Priesch betreibt er seit 2011 das Café „CoffeePirates“in der Spitalgasse. Auch dort sitzen die Gäste auf Thonet-Stühlen, aber statt altehrwürdiger Holzvertäfelung zieren ungeschliffene Bretter die Wände. Und anstelle eines Franziskaners trinkt man dort einen „Flat White“.
Handwerk
Während die Zahl der Kaffeehäuser zurückgeht, steigt jene der Röstereien. Auch die „CoffeePirates“rösten ihren Kaffee im Lokal. Mindestens ein Mal im Jahr fahren sie zu den Bauern, die ihren Kaffee anbauen, die Milch kommt vom Bauernhof in Niederösterreich und der Kuchen wird selbst gebacken.
Es ist mehr Handwerk als Gastronomie, was viele Third-Coffee-Shops machen. „Die Menschen haben ihr Bewusstsein für Qualität wiedergefunden“, sagt Kaffeepiratin Evelyn Priesch. „Sie kaufen wieder auf dem Markt ein, schätzen den Bäcker und den Fleischer.“
Auch die „CoffeePirates“finden es „schade, wenn alte Kaffeehäuser schließen. Aber heute hat man oft das Gefühl, man geht nicht mehr ins Café, sondern ins Museum. Und dafür zahlt man Eintritt“, sagt Werner Savernik.
Doch einen „Umbruch“gibt es laut Norbert Kettner, Geschäftsführer des Wien Tourismus, auch bei vielen traditionellen Kaffeehäusern. „Ich erkenne ein Problembewusstsein bei den Cafétiers und auch einen Willen, sich da zu verändern“, sagt Kettner. „Die Qualitätsdiskussion wird ernsthaft ge- führt, oft auch von der Nachfolgegeneration.“
Was laut Cafétier Manfred Staub jedenfalls nicht als Qualitätskriterium eines Kaffeehauses angeführt werden sollte, sind grantige Kellner. „Da muss man schon von Format sein, um den Gast mit Witz sekkieren zu können“, sagt Staub. Aber weil das ja kaum jemand könne, habe er seinen Obern „von Haus aus verboten, auch nur ansatzweise grantig zu sein.“Seine Gäste seien schließlich „keine Masochisten.“