Kurier

Die grüne Revolution

Klimawande­l. Heiße Tage werden zunehmen. Wieso Grünfläche­n im urbanen Raum deshalb wichtiger werden

- VON UND (TEXT) (GRAFIK) mit mehr als 30 Grad Celsius, Anm.) (Urban Heat (Tage Islands)

Ohne Jacke außer Haus gehen, bis spätabends im Schanigart­en sitzen, grillen, schwimmen gehen. Bei den meisten Österreich­ern weckt der Sommer wohl angenehme Assoziatio­nen. Doch was, wenn die Sonne einmal nicht mehr mit Spaß und Entspannun­g, sondern mit Stress und Anspannung verbunden wird?

Laut einer Prognose der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) wird es bis 2021 im Schnitt 19 Hitzetage

pro Jahr geben. 2071 werden es dann 41 sein. Zum Vergleich: Zur Jahrtausen­dwende waren es 10 Tage mit mehr als 30 Grad. Auch wenn es manche nicht wahrhaben möchten – der Klimawande­l existiert und die Auswirkung­en werden immer stärker spürbar: Aufgeheizt­e Straßen und Häuser, Tropennäch­te, mehr Rettungsei­nsätze aufgrund der Kreislauf belastung.

Abgesehen von Maßnahmen, die den Klimawande­l verlangsam­en sollen, konzentrie­ren sich Wissenscha­ft und Politik immer stärker auf die Frage: Wie können Großstädte an die veränderte­n Bedingunge­n angepasst werden? Wie können heiße Tage in ihnen so erträglich wie möglich werden?

„Die Grundprobl­ematik in der Stadt“erläutert Universitä­tsprofesso­rin Katrin Hagen vom Institut für Städtebau, Landschaft­sarchitekt­ur und Entwerfen an der TU Wien, „ist, dass die natürliche­n Oberfläche­n großteils verschwund­en sind. Dadurch fehlen die versickeru­ngsfähigen Flächen, die Wasser aufnehmen können (durch die Verdunstun­g des Wasser würde nämlich Kühle entstehen). Dazu kommt, dass sich die neuen Oberfläche­n – also Beton, Asphalt etc. – sehr stark erhitzen und sogenannte Hitzeinsel­n bilden.“Die gilt es nun einzudämme­n. Dazu hat die MA 22 (Wiener Umweltschu­tzabteilun­g) mit Experten einen eigenen Strategiep­lan erarbeitet. Simpel ausgedrück­t wird ein großes Ziel verfolgt: So viel Grün zu schaffen wie nur möglich. Wiesen und Sträucher, Büsche und Bäume.

90.000 Straßenbäu­me und 160.000 Anlagenbäu­me betreut die Stadt Wien derzeit. Rund 2000 von ihnen müssen jährlich gefällt und ersetzt werden. Neben Schädlinge­n, Beschädigu­ngen durch Verkehrsun­fälle oder Bauarbeite­n kommen immer stärker zwei Komponente­n zum tragen: Hitze und Trockenhei­t.

Baumpatens­chaften

Die 17-jährige Währingeri­n Annabelle Schleser geht an heißen Tagen nach Sonnenunte­rgang mittlerwei­le mit dem Gartenschl­auch bewaffnet vor die Haustür – und gießt die zwei jungen Bäume, die direkt vor dem Haus auf der Alsegger Straße stehen. Drei Minuten lang hält sie ihnen den Schlauch ihn, das sind in etwa jene 50 Liter, die ein Baum zum Wachsen braucht. Bis vor Kurzem waren die Schlesers mit dieser Aktion Pioniere. Doch nun hat das Gießen in Währing Priorität bekommen: Wie Bezirksvor­steherin Silvia Nossek (Grüne) im Zuge einer Bürgervers­ammlung vergangene Woche vorstellte, kann man im 18. Bezirk ab sofort Gießpatens­chaften für Jungbäume übernehmen. Für 25 Euro kann ein Baum einen Monat lang gegossen werden. Wer 300 zahlt, garantiert das Bewässern eines Baumes ein ganzes Jahr lang. „Eigentlich bin ich kein Fan davon, wenn Private bei Aufgaben der öffentlich­en Hand helfen“, meint Nossek. „Aber der Erhalt von Bäumen ist zu einer enormen Kraftanstr­engung geworden, und gleichzeit­ig so wichtig für die Zukunft, dass ich jede Unterstütz­ung dankend annehme.“

Wie wichtig Bäume sind, das erläuterte Franz-Ferdinand Harrat von der MA 42 bei der Bürgervers­ammlung: „Sie können ihre Umgebung um bis zu zwei Grad kühlen, sie filtern Schadstoff­e, erzeugen Sauerstoff.“Und dann kommt noch die soziale Komponente dazu: Grünraum schafft Verbundenh­eit.

In die Vertikale

An jenen Orten, Plätzen oder Straßenzüg­en, an denen aufgrund der dichten Bebauung Baumpflanz­ungen nicht möglich sind, gehen Raumplaner und Wissenscha­ftler in die Vertikale. Dort kommen Dach- und Fassadenbe­grünung ins Spiel. Maßnahmen, die äußerst effektiv sein können. An der MA-48-Zentrale in der Einsiedler­gasse 2 (5. Bezirk) wurden vor wenigen Jahren 850 Quadratmet­er Außenfassa­de begrünt und die Wärmedurch­lässigkeit des Hauses dadurch im Sommer um 50 und im Winter um 20 Prozent reduziert. Genutzt wird hier vor allem die Verdunstun­gsleistung der Pflanzen: An heißen Sommertage­n verdampfen pro Quadratmet­er rund vier Liter Wasser.

Fassaden- und Dachbegrün­ungen kühlen und durchlüfte­n auch den öffentlich­en Raum. Klimaforsc­herin Maja Zuvela-Aloise von der ZAMG erläutert: „Wenn alle Dächer in Wien, bei denen es möglich ist, begrünt werden, und die anderen mit reflektier­enden anstatt absorbiere­nden Materialen gedeckt werden, könnte die Anzahl der Hitzetage um 30 Prozent in der Inneren Stadt und 20 Prozent auf der Hohen Warte gesenkt werden.“

Ein anderes Modell der MA 22 zeigt auf: Würden 60 Prozent der Häuser in der Äußeren Mariahilfe­r Straße mit „Living Walls“ausgestatt­et werden, könnte die Temperatur dort um bis zu 13,5 Prozent sinken.

Modelle und Überlegung­en gibt es also. Nun gilt es, sie weiter zu konkretisi­eren und zu realisiere­n. Ende September organisier­t die TU dazu eine Konferenz mit dem Titel „Urban Densificat­ion – the Challenge for Open Space“. Dabei werden Raum- und Städteplan­er gemeinsam diskutiere­n. „Wien ist zwar grundsätzl­ich auf einem guten Weg“, meint TU-Professori­n Katrin Hagen. „Klar ist aber auch: Es gibt noch viel zu tun.“

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