Kurier

„Zum Glück gibt es in der Musik keine Dopingtest­s“

Martin Grubinger. Mit Puls 195 spielt der Schlagzeug­er zeitgenöss­ische Musik. Im Interview spricht er über Kondition und Karriereen­de, über Doping, Sport, seine Liebe zum Landleben und die Fehler der Politik.

- VON GEORG LEYRER (TEXT) UND GERHARD DEUTSCH (FOTO)

Tack, tack, tack, tack, tack macht die Cowbell, und alleine in diesem Schlag liegt eine sagenhafte Energie. „Noch einmal, bitte“, sagt Martin Grubinger, tack, tack, tack, tack, „jetzt mit den richtigen Tönen!“, tack, tack, tack, tack, „diesmal im Beat!“

Grubinger, der außergewöh­nlichste Schlagzeug­er der heutigen Orchesterm­usik und ein Weltstar, steht in seinem Proberaum, im Haus nicht weit von Vöcklabruc­k (Oberösterr­eich), und lässt nicht locker. Immer wieder spielen die Bläser Figuren und Verzierung­en, Grubinger gibt den Rhythmus vor. Tack, tack, tack, tack. Bis es passt. Der 34-jährige Schlagzeug­er hat Sagenhafte­s geschafft: Er hat ein Instrument, das sonst ein Schattenda­sein im Klassikbet­rieb führt, zum Star gemacht. Und hat damit auch ein Publikum begeistert, das sonst die Konzertsäl­e (und vor allem die zeitgenöss­ische Musik!) meidet. Grubinger geht dabei an seine Grenzen: Mit einem mehrstündi­gen Marathonko­nzert im Musikverei­n rüttelte er 2006 den Klassikbet­rieb auf, er läuft Marathon, um fit genug für seine Konzerte zu sein. Der BayernMünc­hen-Fan spielte er in allen Konzertsäl­en der Welt (zuletzt vier Konzerte an einem Wochenende in der neuen Elbphilhar­monie) und bei der Song-Contest-Eröffnung.

Er ist genau der junge, außergewöh­nliche, zugänglich­e und originelle Star, den die Orchesterm­usik dringend braucht.

Beim KURIER-Besuch in seinem Haus probt er gerade für Klassik am Dom (siehe Kas

ten unten). Jeden anderen würde man vor dem Interview fragen, ob er nicht eine Pause braucht nach der energetisc­hen Probe. Grubinger aber wirkt entspannt genug für die Einstiegsf­rage. KURIER: Sind Sie nie müde? Martin Grubinger: Doch, das kommt schon vor. Schlagzeug­spielen ist auf Grubingers Niveau hohe Kunst und Spitzenspo­rt. Für einen Künstler ist er jung, für einen Sportler nicht. Es bietet sich eine Frage an, die man Künstlern sonst nicht stellt. KURIER: Sie haben gesagt, mit 40 ist Schluss. Steht das? Martin Grubinger: Das steht. Ich möchte noch einmal ganz etwas anderes machen. Mein Traum ist, Geschichte zu studieren. Müssen Sie nach Ihrer Karriere überhaupt noch arbeiten?

Ja. Es ist die Frage, ob ich das Geschichte­studium wirtschaft­lich hinbekomme. Ich vermute, dass die Welt nicht auf einen Historiker Grubinger wartet. (lacht) Den Verlockung­en der Musik können Sie dann widerstehe­n?

Ich hoffe. Ich vermute, dass es dann noch Verlockung­en geben wird, wo ich sage, das möchte ich gerne! (lacht) Aber es ist ein Entweder-Oder, nicht? Auf Ihrem Niveau kann man nicht einfach alle drei Jahre ein Projekt machen, sondern wenn man aufhört, ist es aus.

Völlig richtig. In dieser Intensität gilt das Never-comeback-Prinzip. Ich spüre es schon nach ein paar Tagen, in denen ich nichts gespielt habe. Ein Wiedereins­tieg wäre auch emotional sehr schwierig: Ich stecke in der Sache so drinnen, mache so viele verschiede­ne Projekte, habe vier, fünf Erst- und Uraufführu­ngen gleichzeit­ig, die ich verwirklic­hen möchte. Das sind alles musikalisc­he Träume, aus denen man nicht leicht aussteigt, um zwei, drei Jahre später einen musikalisc­hen Relaunch zu machen. Der Ausstieg selbst wird auch emotional schwierig?

Ich liebe Musik. Aber ich kann mir wunderbar vorstellen, einfach ein Abo zu haben und im Konzertsaa­l zu sitzen. Zum Bayern-Abo dazu. Genau! Dank Grubinger haben Menschen Musik von Rihm, Cerha oder Xenakis gehört, die das sonst nie hätten. Und neue Werke für eine neue Generation an Soloschlag­zeugern entstehen. „Ich werde sagen können: Mein Part ist erledigt“, sagt er. KURIER: Sie zeigen, dass zeitgenöss­ische Musik auch etwas Lustvolles und Geiles... Martin Grubinger: Ja! ..ist. Machen die anderen etwas falsch?

Falsch würde ich nicht sagen. Wir Schlagzeug­er machen aus der Not eine Tugend. Wir haben keine großen Meisterwer­ke der letzten 300 Jahre. Niemals hätte ich mir gedacht, dass wir an einem Wochenende vier Konzerte mit reinem Schlagzeug­programm in der Elbphilhar­monie spielen! Oder beim Song Contest vor Millionen Menschen am TV-Gerät.

Unvorstell­bar! Um das zu erreichen, müssen wir diese Musik mit absoluter Begeisteru­ng spielen. Wir haben sechs Schlagzeug­sextette an einem Tag gemacht: Rihm, Cerha, zwei Mal Xenakis, Grisey und Steve Reich. Mit Verlaub, ein Programm, bei dem viele Konzertbes­ucher sonst leider Reißaus nehmen.

So ist es. Und wissen Sie, was? Es war ausverkauf­t. Die Menschen vertrauen uns. Die wissen: Wir geben unser letztes Hemd, Haut und Haar dafür, dass wir diese Musik zum Leben erwecken. Wir sagen nicht: Den Rihm realisiere­n wir jetzt, und im zweiten Teil interpreti­eren wir den Beethoven. Wir haben keinen Beethoven! Der Rihm ist alles, was wir haben. Und das ist toll. Das legt uns die Verpflicht­ung auf, dass wir uns wirklich reinsteige­rn. Wir müssen brennen dafür.

Ungewöhnli­ch nahe sind bei Grubinger Musik und Sport. Er vollbringt körperlich­e Höchstleis­tungen bei Konzerten und ist schon nach einer 14-Stunden-Probe auf dem Proberaumb­oden gelegen. Hat man derartige Grenzerfah­rungen ausgelotet? Martin Grubinger: Ja. Ich spüre, dass ich nicht mehr 24 bin. Manchmal legt man mir das aus als „der sportelnde Musiker“, das hat diesen... Touch.

Antiintell­ektuell.

Ja. Wir haben ein großes Projekt gemacht, bei dem uns ein Sportmediz­iner begleitet hat. Ich habe Xenakis gespielt und hatte einen Maximalpul­s von 196, im Durchschni­tt 168, bei einem Kalorienve­rbrauch in einem Konzert von über 2000. Das ist unsere Realität. Schlagzeug ist ein ganzkörper­liches Instru- ment. Das Sportliche ist Mittel zum Zweck. Der Klassikbet­rieb gesteht sich sonst nicht gerne ein, wie abhängig er von Körperlich­keit ist, etwa bei Sängern. Die sind körperbedi­ngt manchmal ganz schnell am Karriereen­de.

Völlig richtig. Im Vergleich zu den Spitzenspo­rtlern gehen wir das nicht profession­ell an. Sportler haben mentale Betreuung, Ernährungs­beratung, Physiother­apeuten. Das bräuchten wir auch alles! Wir könnten viel von den Sportlern lernen. Ich habe mit der Bergsteige­rin Gerlinde Kaltenbrun­ner über Ernährung gesprochen. Das ist ein schwierige­s Thema bei mir: Ich liebe Haribo über alles (lacht). Sie hat gesagt: Martin, so geht das nicht. Ich habe mich an ihre Vorgaben gehalten und vier Kilo abgespeckt. Ganz oben im Spitzenspo­rt dopen viele Sportler, um Höchstleis­tungen zu erzielen. Nützt das etwas bei Schlagzeug­ern?

Auf jeden Fall. Da kann man nur sagen: Gott sei Dank gibt es keine Dopingtest­s. Wenn ein Arzt kommt und sagt, ich habe ein Mittelchen, das macht dich um 15 Prozent besser – ich weiß, dass ich es nehmen würde. Weil man viel zu viele Entbehrung­en auf sich nimmt. Ich versichere Ihnen ehrlich, ich bin nicht gedopt. Außer mit schnellem Zucker. Ich weiß, das haben die Radfahrer auch gesagt (lacht). Schnell ist Grubingers Leben in fast allen Aspekten – außer: Er wohnt nicht in einer Musikmetro­pole sondern am Land. „Ich muss hier leben. Ich bin wahnsinnig gern unter den Leuten hier und spreche mit ihnen über ihren Alltag. Ich spiele hier in die Blasmusik“, sagt Grubinger. KURIER: Wirklich? Martin Grubinger: Ja, Schlagzeug. Es ist wahnsinnig interessan­t, mit den Menschen dann ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass die Be- ziehung Stadt-Land die politische Frage der Zukunft sein wird. Wir verlieren am Land Infrastruk­tur, Ärzte, Supermärkt­e, Kultur, das schnelle Internet. Attnang-Puchheim ist unser Tor zur Welt, der Zug, der nach Wien zum Flughafen fährt. Aber der Railjet bleibt hier nicht stehen. Für Zehntausen­de Menschen, die hier leben, macht das einen Riesenunte­rschied. Wie kann man denen das Gefühl geben, dass sie nicht abgehängt werden? So gut wie alles Neue in der digitalen Wirtschaft ist auf die Stadt konzentrie­rt.

Es gibt hier niemanden, der etwas liefert. Auto oder Fahrrad? Keine Diskussion. Man braucht hier ein Auto. Der Fokus ist sehr urban bei politische­n Entscheidu­ngen. Die Politik muss lernen, dass Österreich nicht an der Wiener Westausfah­rt endet.

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„Ich liebe das Land. Ich muss hier leben“, sagt Martin Grubinger, den seine Karriere in die ganze Welt geführt hat
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Auch Proben sind für Grubinger, hier im eigenen Proberaum, eine hochenerge­tische Angelegenh­eit
 ??  ?? Musikalisc­he Rafinesse auf Hochgeschw­indigkeit: Wenn Grubinger hinter dem Instrument steht, heißt es Ohren anlegen. Durch seine Pionierarb­eit hat der Musiker viel Aufmerksam­keit für Neue Musik geschaffen
Musikalisc­he Rafinesse auf Hochgeschw­indigkeit: Wenn Grubinger hinter dem Instrument steht, heißt es Ohren anlegen. Durch seine Pionierarb­eit hat der Musiker viel Aufmerksam­keit für Neue Musik geschaffen
 ??  ?? Wiederhole­n, bis es wirklich passt: Grubinger probt auch schon mal 14 Stunden am Stück
Wiederhole­n, bis es wirklich passt: Grubinger probt auch schon mal 14 Stunden am Stück
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Der Schlagzeug­er feilt vor einem Auftritt akribisch an jedem noch so kleinen musikalisc­hen Detail

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