Handzahm – oder doch Konflikt?
Generationenwechsel. In Berlin gehen Peymann und Castorf, in Wien kommt Peymann-Fan Martin Kušej
Abschied nehmen kann er: Erinnert sich noch jemand an den letzten Tag von Claus Peymann als Burgtheaterdirektor, 1999? Wer bei diesem gigantisch inszenierten, großartigen Trauerakt dabei war, musste den Eindruck gewinnen, die Burg, ach was, ganz Wien, ach was, die ganze Welt würde am nächsten Tag abgetragen.
Heute, Sonntag, verabschiedet sich Peymann, 80, als Intendant des Berliner Ensembles. Gespielt wird ein Programm namens „Der Abschied“, neben Schauspielstars von Klaus Maria Brandauer abwärts gibt es auch Beiträge von Herbert Grönemeyer und Nina Hagen, Claus Peymann wird es sich nicht nehmen lassen, von sich selbst schwer beeindruckt zu sein.
Verwalter?
Peymanns Nachfolger ist Oliver Reese, 53, der beim Schauspiel Frankfurt als moderner Theatermanager Erfolg hatte. Peymann bemühte sich, Reese öffentliches Schlammcatchen anzutragen, etwa mit der Aussage, Reese sei „Repräsentant einer Generation von gescheiten, gut informierten, aber handzahmen Verwaltern“.
Reese – und das dürfte den alten Profistreithansel Peymann am meisten getroffen haben – ignorierte seinen Vorgänger nicht einmal und ließ solche Provokationen einfach unbeantwortet (Streiten verweigern – ist das in der Theaterbranche überhaupt erlaubt?).
Reeses erste Spielzeit trägt den schönen Titel „Zeit für Drama“, glänzt mit Zeitgenössischem und enthält einen besonderen Coup (und gleichzeitig eine ausgesucht elegante Gemeinheit gegenüber Peymann): Reese verpflichtete nämlich Peymanns alten Erzrivalen Frank Castorf für eine Inszenierung pro Spielzeit ans Berliner Ensemble. Als erstes wird Castorf Victor Hugos „Les Misérables“in Szene setzen.
Für Castorf, 65, ist das eine Genugtuung, denn er muss ebenfalls dieses Wochenende Abschied nehmen – vom zweiten Berliner Traditionshaus. Am Samstag gab es die letzte Aufführung seiner 25 Jahre dauernden Ära als Intendant der Schaubühne. Und auch Castorf weiß, wie man feiert: Gegeben wird Ibsens „Baumeister Solness“, die Vorstellung wird live vors Haus übertragen, dazu gibt es ein Straßenfest.
Castorf muss Chris Dercon weichen, eine besonders umstrittene Wahl, war Dercon doch bisher kein Theater- leiter, sondern Museumsdirektor. Castorf tobte medial gegen zuviel „Konsens“in der Kunst (Dercon gilt als moderner, ideologiefreier Manager, der einfach das Haus füllen will), man dürfe das Publikum nicht nur lieben, so Castorf, sondern müsse es auch „hassen“, Konflikt sei wichtig.
In diesem Zusammenhang ist die Neubestellung des Burgtheaterdirektors besonders bemerkenswert: Martin Kušej ist ein Theaterdirektor alter Schule, er will das Haus wieder „politischer“machen, er scheut den Skandal nicht – und beruft sich ausdrücklich auf Peymann.