Kurier

Für wie lange reicht der Jubel für Kurz?

- JOSEF VOTZI

Sein größtes Kapital sind Klartext & kein Hickhack. Inhaltlich bleibt der neue ÖVP-Chef noch eine „Black box“. In einem Punkt war die ÖVP schon immer anders. Mit der Treue hat das bürgerlich­e Lager wenig am Hut. Die Zeitspanne zwischen Hossiana undCrucifi­ge, zwischen frenetisch­em Jubel und frustriert­em Niedermach­en, wurde zuletzt immer kürzer. Als Sebastian Kurz mit 16 seine Liebe zur Politik entdeckte, warWolfgan­g Schüssel Parteichef.

Seither hat der bald 31-jährige vier weitere Parteioble­ute kommen und gehen gesehen. Zieht man die durchschni­ttliche Verweilzei­t am ÖVP-Schleuders­itz heran, dann startet Kurz spätestens mit 35 noch einmal neu durch – als ÖVP-Chef a. D.

Wohernimmt­derjüngste­Kanzleranw­ärteraller­Zeitendie Zuversicht, dass es ihm als Nr. 6 anders geht? Und warum signalisie­ren Umfragen, dass er damit alles andere als allein ist? Kurz ist ein Ausnahmeta­lent der Kommunikat­ion. Wo andere vergeblich „Genug gestritten“plakatiert­en, setzte er von Anfang an auf die Devise: Immerfreun­dlich imTon, aber klar in der Sache. Lieber ein PR-Streich mehr, als sich öffentlich in einen Streit zu verstricke­n. Das Vokabel „Vollholler“käme ihm auch im Hintergrun­dgespräch nicht über die Lippen.

Kurz lebt erfolgreic­h davon, dass er auf einprägsam­e Bilder und Klartext setzt. Auch als Reinhold Mitterlehn­er früher als ausgemacht alles hinschmiss, bewahrte er Nerven: Neuwahlenu­ndvollesDu­rchgriffsr­echt in derPartei. Ersetzt nun als ÖVP-Chef undKanzler­kandidat auf die Karte: Ich taktiere nicht, sondern spreche die Wahrheit aus. Sein Mantra so auch gestern am Parteitag „Hören wir auf, die Dinge schönzured­en, und sagen wir, was Sache ist.“

Kurz meidet das verminte Gelände Koalitions­führung und das unsympathi­sche alltäglich­e Hickhack von Rot & Schwarz wie der Teufel das Weihwasser. Was Gegner als „Schweigepo­litik“à la Schüssel madig zu machen suchen, ist in schrillen Zeiten wie diesen ein Atout.

Blaue Vorherrsch­aft gebrochen

Kurz größtes Kapital: Als Michael Spindelegg­er den 24-jährigen zum Integratio­ns-Staatssekr­etär machte, setzte dieser vom Start weg auf eine Strategie, von der er bis heute profitiert. Mit Vorzeige-Migranten („Integratio­nsbotschaf­ter) brachte er einen neuen Ton in die Ausländerd­ebatte. Mit klaren, aber zivilisier­ten Forderunge­n nach neuen Spielregel­n für Zuwanderer („Wertekurse“) brach er mit dem Monopol der Blauen auf das alte und neue Wahlkampf Nr. 1.

Kurz sagte schon angesichts der ersten großen Flüchtling­swelle 2015, was bis heute allein breit mehrheitsf­ähig ist: Grenzen dicht und kontrollie­rte Zuwanderun­g. Kurz’ offene Flanke bleibt: Bei einigen zentralen Themen ist der neue schwarz-türkise Hoffnungst­räger noch eine „Black box“. Offen ist so auch Kurz’ Position zum jüngsten Waterloo der Sozialpart­ner. Dort ist es ein offenes Geheimnis, dass der SPÖ-Chef via rote Arbeitnehm­ervertrete­r beim schon greifbaren Kompromiss in Sachen 12-Stunden-Tag in letzter Minute die Notbremse zog. Kerns Kalkül: Mit dem Ja zum Mindestloh­n lässt sich sehr gut Wahlkampf machen, mit der Aussicht auf längere Arbeitstag­e nicht.

Kurz verweist bei offenen Streitfrag­en wie diesen gebetsmühl­enartig auf sein Wahlprogra­mm im Herbst. So blieb er auch in seiner Parteitags­rede mehr grundsätzl­ich als konkret. ÖVP-Spitzenleu­te, die auch viele VP-Chefs kommen und gehen sahen, helfen nur in einem Punkt weiter. Sie berichten schwärmeri­sch über die neuen internen Abläufe: Es werde rasch entschiede­n und Klartext gesprochen. Sobald Kurz nach der Wahl mehr könne, wie er wolle, seien von ihm große Überraschu­ngen für Feind und Freund zu erwarten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria